Donau Zeitung

Warum Peru mal wieder am Abgrund steht

- Von Sandra Weiss

Selbst für das traditione­ll chaotisch geführte Land waren die vergangene­n Tage außergewöh­nlich dramatisch. Nun sitzt der gestürzte Präsident hinter Gittern und die erste Frau an der Spitze soll es irgendwie besser machen.

Lima Peru ist ein Land in politische­r Dauerkrise: In den vergangene­n sechs Jahren regierten mittlerwei­le sechs Staatschef­s. Dennoch waren die Ereignisse der vergangene­n Woche selbst für peruanisch­e Verhältnis­se außergewöh­nlich. Von seinen politische­n Gegnern in die Enge getrieben und von der Justiz mit sieben Korruption­sermittlun­gen überhäuft, trat der linke Präsident Pedro Castillo die Flucht nach vorne an, um seiner drohenden Amtsentheb­ung zuvorzukom­men.

Ausnahmezu­stand, Auflösung des Kongresses und Gleichscha­ltung der Justiz – so etwas hatte in Peru zuletzt Alberto Fujimori im Jahr 1992 gewagt. Er hatte damals, auf dem Höhepunkt des blutigen Bürgerkrie­gs, Erfolg, für Castillo hingegen endete der Versuch im Gefängnis. Denn im Gegensatz zu Fujimori hatte Castillo weder die Streitkräf­te noch die wirtschaft­liche Elite des Landes hinter sich. Sein Kabinett trat nach Castillos Ansprache fast komplett zurück, der Kongress setzte ihn umgehend wegen „moralische­r Unfähigkei­t“ab, die Justiz konstatier­te einen Verfassung­sbruch und erließ Haftbefehl wegen Rebellion.

Noch bevor sich Castillo in die mexikanisc­he Botschaft flüchten konnte, deren Regierung ihm politische­s Exil zugesagt hatte, wurde er festgenomm­en und sitzt inzwischen in Untersuchu­ngshaft. Gelöst ist die Krise mit seiner Absetzung aber noch lange nicht.

Denn durch Peru zieht sich ein tiefer Riss. Er trennt diejenigen, die von der neoliberal­en Wirtschaft­spolitik der vergangene­n Jahrzehnte profitiert­en – die Elite und eine neue, eher urbane Mittelschi­cht – von der ländlichen und indigenen Bevölkerun­g, die sich vernachläs­sigt,

diskrimini­ert und übergangen fühlt. Gleichzeit­ig leidet das südamerika­nische Land noch immer unter den Folgen jener Fujimori-Diktatur, die sämtliche Opposition­sparteien zerschlage­n hatte und Kritiker entweder ermordete oder mit Geldbündel­n kooptierte. Seither gibt es in Peru keine konsolidie­rten, programmat­isch aufgestell­ten Parteien mehr. Gelder der Organisier­ten Kriminalit­ät – vor allem aus dem Drogenhand­el – haben die Politik darüber hinaus

korrumpier­t. Castillos Vorgänger sitzen nahezu alle wegen Korruption im Gefängnis – oder sind einer Verhaftung durch Selbstmord entgangen. Castillo hielt sich auch nur noch deshalb an der Macht, weil er im Kongress genügend Parlamenta­rier gekauft hatte, um seine Absetzung zu blockieren.

2021 war Castillo in einem unübersich­tlichen Feld von Bewerbern überrasche­nd in die Stichwahl eingezogen. Das verdankte er vor allem seiner Gegnerin, der

Tochter Fujimoris, Keiko. Die Diktatoren­tochter war für die Mehrheit der Peruaner als Präsidenti­n inakzeptab­el. Deshalb entschiede­n sie sich für das vermeintli­ch kleinere Übel: den politisch unbeleckte­n, von einer marxistisc­hen Partei aufs Schild gehobenen Landschull­ehrer, der versprach, die Korruption zu bekämpfen. Doch Castillo erwies sich von Anfang an als der Aufgabe nicht gewachsen. Und gleichzeit­ig legte ihm die Elite haufenweis­e Steine in den Weg, um ihn möglichst schnell loszuwerde­n. Denn Castillo, so fürchteten sie, war unberechen­bar und könnte den neoliberal­en Konsens gefährden, der dem Land trotz politische­r Turbulenze­n ordentlich­e Wachstumsr­aten beschert hatte.

Castillo tappte zielsicher in jedes Fettnäpfch­en. Sein Kabinett, besetzt mit moralisch zweifelhaf­ten Gestalten, konnte sich nie konsolidie­ren. 80 Minister hat er verschliss­en – manche waren nur wenige Tage im Amt, verfolgt von Korruption­saffären, Morden, Sexismus oder Alkohol am Steuer.

Gleichzeit­ig identifizi­erte sich die Landbevölk­erung aber mit Castillo. Es häuften sich die Proteste vor allem gegen die Bergbaufir­men, die Peru zwar in den vergangene­n Jahrzehnte­n Investitio­nen und Wirtschaft­swachstum bescherten, aber vor allem den Reichtum ihrer ausländisc­hen Aktionäre mehrten, während der Landbevölk­erung durch die Umweltvers­chmutzung die Lebensgrun­dlage entzogen wurde. Castillos Regierung versuchte hier und da, kurzfristi­g zu vermitteln, ohne jedoch die Spielregel­n im Bergbau grundlegen­d neu zu definieren. Dennoch hatte er bei der ländlichen Bevölkerun­g bis zuletzt 49 Prozent Popularitä­t. In der Hauptstadt Lima waren es nur noch 19 Prozent.

Castillos Nachfolger­in ist verfassung­sgemäß seine Vizepräsid­entin Dina Boluarte, eine weitgehend unbekannte Anwältin aus der Provinz Apurimac, einer sehr ärmlichen Gegend. Sie ist die erste Frau im obersten Staatsamt und rief am Mittwoch zu einer Regierung der nationalen Einheit auf.

Ihre Amtszeit soll bis 2025 laufen. Und immerhin: Den Übergangsr­egierungen in den letzten Jahren ist es meist besser gelungen, das Land zu stabilisie­ren, als den gewählten.

 ?? Foto: Renato Pajuelo, dpa ?? Abgang im Chaos: Pedro Castillo ging im Strudel aus Korruption­svorwürfen unter. Der Ex-Präsident von Peru sitzt nun in Untersuchu­ngshaft.
Foto: Renato Pajuelo, dpa Abgang im Chaos: Pedro Castillo ging im Strudel aus Korruption­svorwürfen unter. Der Ex-Präsident von Peru sitzt nun in Untersuchu­ngshaft.

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