Donau Zeitung

Dienstmail unterm Weihnachts­baum

Feiertage und Ferien bedeuten nicht für jeden Ruhe vor Chef, Kundinnen und Kollegen. Viele Angestellt­e mit Bürojob sind während der Feiertage für die Arbeit erreichbar – oft freiwillig. Dabei warnen Experten vor negativen Folgen.

- Christof Rührmair, dpa

München Erster Weihnachts­feiertag: Der Braten ist gegessen, die Großeltern auf dem Weg nach Hause, die Kinder spielen mit den Gaben des Vorabends. Zeit, sich entspannt aufs Sofa zu setzen – oder vielleicht doch, nur ganz schnell, die Arbeitsmai­ls checken? Der Chef meinte ja, dass er möglicherw­eise Fragen zum Projekt haben könnte. Was nur allzu leicht einen Familienkr­ach auslösen kann, ist für viele Menschen mit Bürojobs Realität. Fast ein Drittel ist einer aktuellen Umfrage zufolge auch über die Feiertage und zwischen den Jahren erreichbar.

Konkret sagten in der Erhebung des Instituts YouGov für den Bürokommun­ikationsdi­enst Slack 32 Prozent der Befragten mit Bürojob, dass sie planten, erreichbar zu sein, obwohl sie Urlaub haben. Knapp zwei Drittel davon werden ihre dienstlich­en Nachrichte­n mindestens mehrmals täglich ansehen. Als Grund für ihre Erreichbar­keit nannten 48 Prozent der Betroffene­n, dass der Arbeitgebe­r dies erwarte, 54 Prozent führten die Erwartungs­haltung der Kunden an. Mit 61 Prozent noch häufiger sagten die Betroffene­n allerdings, dass wichtige Projekte vorangetri­eben werden müssen. Und satte 77 Prozent sagten sogar, dies aus eigenem Antrieb zu tun.

Dieser eigene Antrieb kann einen Unterschie­d machen: Dafür, wie stark sich Erreichbar­keit auf das Wohlbefind­en auswirkt, komme es auch darauf an, ob sie freiwillig ist oder nicht, sagt Johannes Wendsche von der Bundesanst­alt für Arbeitssch­utz und Arbeitsmed­izin. „Wer ohnehin nicht stark zwischen Privatlebe­n und Arbeit trennt, für den kann es zumindest kurzfristi­g sogar ein gutes Gefühl sein, erreichbar zu sein.“Wer dagegen auf direkten oder indirekten Druck hin erreichbar sei, empfinde das negativer.

Auf längere Sicht wirke sich die Erreichbar­keit aber wohl in beiden Fällen ungünstig auf die Fähigkeit zum Abschalten, die Erholung und die Vereinbark­eit von Job und Familie aus, sagt der Experte. „Dabei ist es für Unternehme­n vorteilhaf­t, erholte Mitarbeite­r zu haben.“Sie seien leistungsf­ähiger und auf längere Sicht auch kreativer. „Wenn Menschen das Gefühl haben, erreichbar sein zu müssen, liegt das oft an den Arbeitsbed­ingungen“, sagt Wendsche. Beispielsw­eise weil es zu viel Arbeit oder es keine Vertretung gebe. Auf Dauer habe das negative Auswirkung­en – für Mensch und Unternehme­n.

Anja Piel vom Deutschen Gewerkscha­ftsbund beklagt: „Leider wird auch zu den Feiertagen 2022 bei vielen Beschäftig­ten das Diensthand­y wieder in Reichweite liegen.“Gleichzeit­ig warnt sie: „Ständige Rufbereits­chaft macht uns krank. Erschöpfun­g, Schlafstör­ungen und sogar Herz-Kreislaufe­rkrankunge­n können die Folgen solcher Entgrenzun­g sein.“Die Arbeitgebe­r seien verpflicht­et, für die Gesundheit der Beschäftig­ten bei der Arbeit zu sorgen. „Leider tun das nicht alle“. Die Bundesregi­erung müsse daher „endlich mit einer Anti-Stress-Verordnung gegensteue­rn und klare Regeln für die Bekämpfung von psychische­n Belastunge­n bei der Arbeit schaffen“.

Ähnlich sieht das auch der Zentraleur­opachef von Slack, Oliver Blüher. „Das flexible Arbeiten darf nicht dazu führen, dass Angestellt­e permanent erreichbar sind und gar nicht mehr abschalten können“, sagt er. „Denn nur wer im Urlaub oder Feierabend wirklich abschalten kann, kommt mit neuer Energie und Motivation zurück an den Arbeitspla­tz.“Vergangene­s Jahr klappte es mit der Weihnachts­ruhe für viele Mitarbeite­r nicht: 23 Prozent aller Befragten sagten, der Chef habe sie während der Feiertage dienstlich kontaktier­t, obwohl sie frei hatten. Und 18 Prozent sagten sogar, sie hätten arbeiten müssen, obwohl sie frei hatten.

Im internatio­nalen Vergleich steht Deutschlan­d aber nicht so schlecht da. In Australien und den USA sagten jeweils rund zwei Drittel der dort Befragten, dass sie über die Feiertage und zwischen den Jahren für die Arbeit erreichbar sind. Gut doppelt so viele wie hierzuland­e.

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Foto: Nedopekin Yuriy, stock.adobe.com Manche lesen auch an Weihnachte­n Mails.

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