Wie ein Forscher aus Ingolstadt autonom fahrende Autos besser machen will
Bei einem unausweichlichen Unfall den Jugendlichen anfahren – oder den älteren Herrn ? Wird Künstliche Intelligenz im Verkehr eingesetzt, sind schwierige Fragen zu beantworten. Matthias Uhl kennt sich damit aus.
Ingolstadt/Augsburg Kurze Frage mal vorweg: Ein autonom fahrendes Auto steuert unvermeidlich in einen Unfall. Er wird auf jeden Fall passieren, keine Chance, dass es nicht knallt. Weicht der Wagen nach links aus, wird ein Jugendlicher schwer verletzt. Weicht er nach rechts aus, trifft es einen älteren Herrn auf dem Fahrrad. Was tun?
Eine Antwort darauf ist natürlich nicht so leicht. Vor allem dann, wenn es eine Künstliche Intelligenz (KI) sein soll, die hier im schlimmsten Fall über Leben und Tod entscheidet. Zumal daraus eine Menge Folgefragen entstehen: Wie soll die KI in dieser konkreten Situation programmiert sein? Während in Deutschland eine Mehrheit den Jugendlichen retten würde, hat in Japan zum Beispiel die Seniorität einen ganz anderen Stellenwert. Die unter japanischen Prämissen programmierte KI würde wohl den Jugendlichen rammen. Wie also umgehen mit einem solchen Problem? Für international aufgestellte Autokonzerne ist das nur eine von sehr vielen Herausforderungen, denn dem autonomen Fahren soll die Zukunft gehören.
Matthias Uhl hat täglich mit diesen Dilemmas zu tun. Er ist Forschungsprofessor für Gesellschaftliche Implikationen und Ethische Aspekte der Künstlichen Intelligenz. Uhl arbeitet für AImotion Bavaria, ein Institut der Technischen Hochschule Ingolstadt. Dieses wiederum gehört zu einem Verbund, der mit der von der Bayerischen Staatsregierung aufgesetzten Hightech-Agenda geschaffen wurde: An verschiedenen sogenannten Knoten erforschen und entwickeln verschiedene Institute Bereiche der Künstlichen Intelligenz. Würzburg macht Data Science, Erlangen kümmert sich um Gesundheit, München um Robotik und Ingolstadt konzentriert sich auf Mobilität.
Und damit auf Fragen, wie sie in großem Maßstab bei einem Projekt des Media Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA bereits vor Jahren gestellt wurden. Das berühmte Experiment lief unter dem Namen „Moral Machine“. Hier wurden noch mehr tödliche Unfall-Szenarien durchgespielt.
Eine hoch interessante Studie, findet Uhl, aber die daraus folgenden Diskussionen gehen ihm zuweilen ein bisschen an der Wirklichkeit vorbei. Er hat darin eine Schlagseite ausgemacht und sagt: „Mir bereitet Sorge, dass die ethische Debatte oft ausschließlich darauf fixiert wird, was bei einem unvermeidlichen Unfall passiert. Aber das tatsächliche Umfeld im Verkehr ist komplexer. Dabei wird die Tatsache vernachlässigt, dass der Straßenverkehr nicht deterministisch – sprich zwangsläufig – sondern eben risikoreich ist.“Vernetzte autonome Autos könnten also umgekehrt auch eine Chance sein, „das Verkehrsrisiko bewusster zu steuern, als es der impulsgesteuerte manuelle Verkehr erlaubt“. Mit dem Fokus auf unvermeidbare Unfälle diskutiere die Ethik aktuell aber „fast ausschließlich“die Unfallschwere. Uhl weist auf einen anderen Blickwinkel hin: „Die ingenieurwissenschaftliche Perspektive ist dagegen im Wesentlichen auf Unfallvermeidung ausgerichtet und stellt daher die Relevanz der Ethik unvermeidbarer Unfälle infrage. Der Schwerpunkt der Techniker liegt auf der Minimierung der Unfallwahrscheinlichkeit.“Beide Perspektiven vernachlässigten laut Uhl aber die Tatsache, dass jedes Manöver im regulären Straßenverkehr eine Umverteilung von Risiken darstellt, die sowohl von der Unfallwahrscheinlichkeit als auch von der Unfallschwere abhängt. Heißt: Das Leben ist auch im Straßenverkehr eben komplizierter.
All diese Fragestellungen muten vielleicht theoretisch an, aber es ist wichtig, sich jetzt mit ihnen auseinanderzusetzen, denn Autos, die ohne jemand am Steuer fahren, wo also alle Insassen nur noch Passagiere sind, sind längst keine futuristischen Phantastereien mehr. Wissen muss man zum einen: Autonomes Fahren wird in fünf Levels unterteilt. Es geht los beim ersten Level – dem assistierten Fahren, in dem der Steuernde zwar unterstützt wird, aber sein Gefährt ständig beherrschen muss. Und es endet, immer weiter abgestuft, beim autonomen Fahren, wo es nur noch Passagiere gibt, die aber keine Aufgabe mehr erfüllen müssen. Hier hat die Maschine komplett übernommen.
Seit Mai 2021 gibt es übrigens bereits ein Gesetz, das für fahrerlose Kraftfahrzeuge der sogenannten Stufe vier die Möglichkeit eröffnet, dass sie auf bestimmten festgelegten Strecken im Regelbetrieb am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen dürfen. Beim vollautomatisierten Fahren der Stufe vier kann der Computer bei bestimmten Anwendungen vollständig die Kontrolle über das Auto übernehmen, ohne vom Menschen überwacht zu werden. In Notfällen soll das System das Fahrzeug auch am Straßenrand zum Stehen bringen. Diese Technologie könnte etwa für Shuttleverbindungen oder bei der Güterbeförderung zum Einsatz kommen.
Dass Deutschland bei der Gesetzgebung so weit ist, findet Uhl bemerkenswert. Bis autonomes Fahren in großem Stil erlaubt sei, werde es allerdings noch etliche Jahre dauern. Am frühesten würden wahrscheinlich Lastwagen auf einer eigenen Spur autonom (Level 5) unterwegs sein. Er ist jedenfalls überzeugt, dass „wir eine Technik haben, die das Risiko eines Unfalls minimieren kann“und plädiert deshalb – im Gegensatz zu einer Ethik unvermeidbarer Unfälle – für eine „Ethik des Risikos“.
Fragen bleiben genug: So haben Fahrer seinen Forschungsergebnissen zufolge Hemmungen, einzugreifen, wenn ein Unfall droht. Die KI ist hier vielleicht schneller. Sollte also irgendwann nicht mehr der Fahrer, sondern die KI den Erstzugriff haben? Umgekehrt fragt Uhl: Was passiert eigentlich an der Einfädelspur, wenn Rücksichtnahme gefordert ist? Lassen Menschen einen Roboter einfach dazwischen, wenn er keine Passagiere fährt? Oder hört da die Rücksichtnahme auf und der steht dann ewig auf der Zubringerspur? Es gibt noch viel zu tun, bis Mensch und KI im Alltag harmonisch koexistieren können. (mit dpa)
Der Gesetzgeber hat den Weg für die Technik frei gemacht