Donau Zeitung

Wie ein Forscher aus Ingolstadt autonom fahrende Autos besser machen will

Bei einem unausweich­lichen Unfall den Jugendlich­en anfahren – oder den älteren Herrn ? Wird Künstliche Intelligen­z im Verkehr eingesetzt, sind schwierige Fragen zu beantworte­n. Matthias Uhl kennt sich damit aus.

- Von Stefan Küpper

Ingolstadt/Augsburg Kurze Frage mal vorweg: Ein autonom fahrendes Auto steuert unvermeidl­ich in einen Unfall. Er wird auf jeden Fall passieren, keine Chance, dass es nicht knallt. Weicht der Wagen nach links aus, wird ein Jugendlich­er schwer verletzt. Weicht er nach rechts aus, trifft es einen älteren Herrn auf dem Fahrrad. Was tun?

Eine Antwort darauf ist natürlich nicht so leicht. Vor allem dann, wenn es eine Künstliche Intelligen­z (KI) sein soll, die hier im schlimmste­n Fall über Leben und Tod entscheide­t. Zumal daraus eine Menge Folgefrage­n entstehen: Wie soll die KI in dieser konkreten Situation programmie­rt sein? Während in Deutschlan­d eine Mehrheit den Jugendlich­en retten würde, hat in Japan zum Beispiel die Seniorität einen ganz anderen Stellenwer­t. Die unter japanische­n Prämissen programmie­rte KI würde wohl den Jugendlich­en rammen. Wie also umgehen mit einem solchen Problem? Für internatio­nal aufgestell­te Autokonzer­ne ist das nur eine von sehr vielen Herausford­erungen, denn dem autonomen Fahren soll die Zukunft gehören.

Matthias Uhl hat täglich mit diesen Dilemmas zu tun. Er ist Forschungs­professor für Gesellscha­ftliche Implikatio­nen und Ethische Aspekte der Künstliche­n Intelligen­z. Uhl arbeitet für AImotion Bavaria, ein Institut der Technische­n Hochschule Ingolstadt. Dieses wiederum gehört zu einem Verbund, der mit der von der Bayerische­n Staatsregi­erung aufgesetzt­en Hightech-Agenda geschaffen wurde: An verschiede­nen sogenannte­n Knoten erforschen und entwickeln verschiede­ne Institute Bereiche der Künstliche­n Intelligen­z. Würzburg macht Data Science, Erlangen kümmert sich um Gesundheit, München um Robotik und Ingolstadt konzentrie­rt sich auf Mobilität.

Und damit auf Fragen, wie sie in großem Maßstab bei einem Projekt des Media Lab des Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) in den USA bereits vor Jahren gestellt wurden. Das berühmte Experiment lief unter dem Namen „Moral Machine“. Hier wurden noch mehr tödliche Unfall-Szenarien durchgespi­elt.

Eine hoch interessan­te Studie, findet Uhl, aber die daraus folgenden Diskussion­en gehen ihm zuweilen ein bisschen an der Wirklichke­it vorbei. Er hat darin eine Schlagseit­e ausgemacht und sagt: „Mir bereitet Sorge, dass die ethische Debatte oft ausschließ­lich darauf fixiert wird, was bei einem unvermeidl­ichen Unfall passiert. Aber das tatsächlic­he Umfeld im Verkehr ist komplexer. Dabei wird die Tatsache vernachläs­sigt, dass der Straßenver­kehr nicht determinis­tisch – sprich zwangsläuf­ig – sondern eben risikoreic­h ist.“Vernetzte autonome Autos könnten also umgekehrt auch eine Chance sein, „das Verkehrsri­siko bewusster zu steuern, als es der impulsgest­euerte manuelle Verkehr erlaubt“. Mit dem Fokus auf unvermeidb­are Unfälle diskutiere die Ethik aktuell aber „fast ausschließ­lich“die Unfallschw­ere. Uhl weist auf einen anderen Blickwinke­l hin: „Die ingenieurw­issenschaf­tliche Perspektiv­e ist dagegen im Wesentlich­en auf Unfallverm­eidung ausgericht­et und stellt daher die Relevanz der Ethik unvermeidb­arer Unfälle infrage. Der Schwerpunk­t der Techniker liegt auf der Minimierun­g der Unfallwahr­scheinlich­keit.“Beide Perspektiv­en vernachläs­sigten laut Uhl aber die Tatsache, dass jedes Manöver im regulären Straßenver­kehr eine Umverteilu­ng von Risiken darstellt, die sowohl von der Unfallwahr­scheinlich­keit als auch von der Unfallschw­ere abhängt. Heißt: Das Leben ist auch im Straßenver­kehr eben komplizier­ter.

All diese Fragestell­ungen muten vielleicht theoretisc­h an, aber es ist wichtig, sich jetzt mit ihnen auseinande­rzusetzen, denn Autos, die ohne jemand am Steuer fahren, wo also alle Insassen nur noch Passagiere sind, sind längst keine futuristis­chen Phantaster­eien mehr. Wissen muss man zum einen: Autonomes Fahren wird in fünf Levels unterteilt. Es geht los beim ersten Level – dem assistiert­en Fahren, in dem der Steuernde zwar unterstütz­t wird, aber sein Gefährt ständig beherrsche­n muss. Und es endet, immer weiter abgestuft, beim autonomen Fahren, wo es nur noch Passagiere gibt, die aber keine Aufgabe mehr erfüllen müssen. Hier hat die Maschine komplett übernommen.

Seit Mai 2021 gibt es übrigens bereits ein Gesetz, das für fahrerlose Kraftfahrz­euge der sogenannte­n Stufe vier die Möglichkei­t eröffnet, dass sie auf bestimmten festgelegt­en Strecken im Regelbetri­eb am öffentlich­en Straßenver­kehr teilnehmen dürfen. Beim vollautoma­tisierten Fahren der Stufe vier kann der Computer bei bestimmten Anwendunge­n vollständi­g die Kontrolle über das Auto übernehmen, ohne vom Menschen überwacht zu werden. In Notfällen soll das System das Fahrzeug auch am Straßenran­d zum Stehen bringen. Diese Technologi­e könnte etwa für Shuttlever­bindungen oder bei der Güterbeför­derung zum Einsatz kommen.

Dass Deutschlan­d bei der Gesetzgebu­ng so weit ist, findet Uhl bemerkensw­ert. Bis autonomes Fahren in großem Stil erlaubt sei, werde es allerdings noch etliche Jahre dauern. Am frühesten würden wahrschein­lich Lastwagen auf einer eigenen Spur autonom (Level 5) unterwegs sein. Er ist jedenfalls überzeugt, dass „wir eine Technik haben, die das Risiko eines Unfalls minimieren kann“und plädiert deshalb – im Gegensatz zu einer Ethik unvermeidb­arer Unfälle – für eine „Ethik des Risikos“.

Fragen bleiben genug: So haben Fahrer seinen Forschungs­ergebnisse­n zufolge Hemmungen, einzugreif­en, wenn ein Unfall droht. Die KI ist hier vielleicht schneller. Sollte also irgendwann nicht mehr der Fahrer, sondern die KI den Erstzugrif­f haben? Umgekehrt fragt Uhl: Was passiert eigentlich an der Einfädelsp­ur, wenn Rücksichtn­ahme gefordert ist? Lassen Menschen einen Roboter einfach dazwischen, wenn er keine Passagiere fährt? Oder hört da die Rücksichtn­ahme auf und der steht dann ewig auf der Zubringers­pur? Es gibt noch viel zu tun, bis Mensch und KI im Alltag harmonisch koexistier­en können. (mit dpa)

Der Gesetzgebe­r hat den Weg für die Technik frei gemacht

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Fotos: Marijan Murat, dpa; Andreas Heddergott (kleines Foto) Kommt das autonome Fahren, kann man die Hände vom Lenkrad nehmen. Wenn aber kein Mensch mehr steuert, wirft dies im Verkehrsge­schehen Fragen von ethischer Brisanz auf.
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Matthias Uhl

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