„95 Prozent wollen ein Einfamilienhaus mit Garten“
Bundesbauministerin Klara Geywitz hat ihr Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr krachend verfehlt. Die SPD-Politikerin erklärt, wie die Marke doch erreicht werden soll und wie der Traum vom Eigenheim zu retten ist. Sie verrät auch, was an Weihnachten
Frau Geywitz, als Bundesbauministerin sind Sie für das große Thema Wohnen zuständig. Wie wohnen Sie eigentlich selbst?
Klara Geywitz: Ich wohne in der Potsdamer Innenstadt, in einem Haus, in dem noch ein Laden mit drin ist. Meine Kinder haben immer kritisiert, dass man da nicht mit dem Teller ums Haus laufen kann. Im Gegensatz zum Haus meiner Mutter, das war ihre Empfehlung, wenn die Suppe zu heiß war. Das geht bei einem Stadthaus nicht und deswegen finden sie das doof.
Wohnen Sie zur Miete oder im Eigentum?
Geywitz: Weder noch. Ich wohne mit in der Wohnung meines Lebensgefährten.
Jetzt sind Sie ein Jahr im Amt und werden an der Zahl 400.000 Wohnungen gemessen. So viele wollte die Bundesregierung bauen, doch das ist nicht annähernd zu schaffen. Wie frustrierend ist das für Sie?
Geywitz: Wir haben jetzt natürlich extrem schwierige Rahmenbedingungen. Die Zinsen sind gestiegen, und aufgrund des furchtbaren Krieges von Putin in der Ukraine gibt es am Bau Lieferengpässe. Zudem haben wir einen Fachkräftemangel, der sich noch mal verstärkt hat. Aber wenn wir auf das letzte Jahr zurückblicken, sehen wir, dass wir jenseits dieser tagesaktuellen Faktoren ein strukturelles Problem haben. Denn da hatten wir historisch niedrige Zinsen, noch keine Sanktionen gegen Russland, wir hatten eine milliardenschwere, sehr breit aufgestellte Förderung über das damalige Wirtschaftsministerium Altmaiers. Und trotzdem hatte Horst Seehofer, mein Vorgänger, in seinem letzten Amtsjahr eine Bilanz von unter 300.000 fertiggestellten Wohnungen.
Das Zauberwort für massenhaft mehr Wohnungen heißt serielles Bauen. Häuser eines Typs aus vorgefertigten Elementen werden in Serie auf die Grundstücke gepflanzt. Das klingt nach Großsiedlungen, wie sie ab den 1960er Jahren entstanden. Braucht es angesichts des schieren Mangels wieder mehr solcher Projekte?
Geywitz: Beim seriellen Bauen sage ich immer wieder: Dieser Wohnungsbau ist schön und individualisierbar. Wir müssen endlich unser Bild vom Fertigbau ändern.
Das mag nach einer Kleinigkeit aussehen, ist aber für die Akzeptanz in unseren Köpfen entscheidend. Und dann: Nein, es wird keine Satellitenstädte per Rationalisierungserlass geben. Das war mal. Heute macht man eine andere Städteentwicklung, würde nicht mehr auf der grünen Wiese eine homogene Bevölkerungsstruktur mit 20.000 Wohneinheiten hinsetzen und dann noch 100 Prozent sozialer Wohnungsbau. Das führt zu sozialen und städtebaulichen Missständen. Wir haben jetzt die große Aufgabe, industrielle Vorproduktion zu nutzen und gleichzeitig in bestehenden Siedlungen nachzuverdichten. Wir müssen auch in die Lücken-Bebauung gehen, weil der Flächenverbrauch nicht mehr so hoch sein darf, wie das früher der Fall war.
Das serielle Bauen hängt auch an der Vereinheitlichung der Bauordnungen. Das haben schon Ihre Vorgänger versucht, die Bundesländer da unter einen Hut zu bekommen. Bisher ist das nicht gelungen. Kann das im kommenden Jahr etwas werden?
Geywitz: Es muss sich ändern. Das wissen auch die Länder, die es verantworten. Das haben sie auf der letzten Bauministerkonferenz noch mal bekräftigt. Das serielle Bauen war in den letzten Jahren eine Nische, zumindest im Mehrfamilienbereich. Beim Einfamilienhaus sagt man ja dazu Fertighaus. Da gibt es schon viele, die das machen. Der Druck auf tatsächliche Änderungen von Gesetzen war in den letzten Jahren nicht so besonders stark, denn die Nachfrage war so hoch, dass man die Preise umgehend umlegen konnte. Jetzt haben wir eine Verknappung, sodass wir, wenn wir so weiterbauen, die 400.000 nur schwer erreichen können. Und wir werden ein Preisniveau bei der Kaltmiete haben, das die Leute nicht mehr bezahlen können.
Was sind die nächsten Schritte?
Geywitz: Alle Beteiligten werden sich jetzt mit den Empfehlungen, den 187 Maßnahmen auseinandersetzen, die wir im Bündnis bezahlbarer Wohnraum für die nächsten Jahre festgelegt haben. Wir als Bund sind für das Baugesetzbuch zuständig, da machen wir nächstes Jahr eine große Novelle. Wichtig werden hier der Klimajetzt schutz und die Digitalisierung. Das Baugesetzbuch muss jetzt eiligst in die Gegenwart geholt werden. Das klingt jetzt nicht nach einem Partykracher, ist aber ungemein wichtig für unsere Bauvorhaben und die Zukunft.
Sie hatten einmal mit einer Aussage für Aufregung gesorgt, die so aufgefasst wurde, als wäre für Sie die Zeit des Einfamilienhauses vorbei. Für viele Menschen ist der Traum vom eigenen Haus aber ein sehr lebendiger ...
Geywitz: Ich habe, um es genau zu sagen, gesagt, es ist ökonomisch und ökologisch unsinnig, wenn jede Generation neben den einzelnen Häusern der Vorgängergeneration ihre eigenen baut. Was steckt dahinter? Früher war das ganz normal, dass man in sein Elternhaus gezogen ist. Dann hat man noch mit der Schwiegermutter zusammengelebt, und dann hat man das als Familie für die eigenen Bedürfnisse umgebaut. Kaum jemand wäre auf die Idee gekommen, das Elternhaus leer stehen zu lassen und auf der Wiese daneben ein neues Haus zu bauen. Das Problem ist, dass dieser Kreislauf, dieses Vererben der Häuser über die Generationen hinweg, nicht mehr funktioniert. Die allermeisten von uns leben nicht mehr in dem Dorf ihrer Eltern. Und wenn man selber ein Haus will, denkt man als Erstes natürlich an ein neues Haus.
Daran ist ja auch nichts verkehrt ...
Geywitz: Sie haben recht. Ich bin oft mit Besuchergruppen, etwa Schülern, zusammen. Wenn Sie da fragen, wenn ihr euch das aussuchen könntet, wie ihr leben wollt, dann wollen in der Regel 95 Prozent ein Einfamilienhaus mit Garten. So, und
müssen wir einfach gesellschaftlich sehen, wie wir das zusammenpacken. Mathematisch ist das ganz klar. Wenn wir jetzt noch drei, vier Generationen weiterdenken, können wir nicht alle nebeneinander diese Einfamilienhausgebiete haben. Darum müssen wir diesen Kreislauf der Nutzung der Häuser wieder in Gang kriegen und ganz viel in Sanierungsförderung stecken. Ebenso müssen wir darüber sprechen, dass man, wenn man ein eigenes Haus haben will, auch mal schaut, was es schon im Bestand gibt. Ein Einfamilienhaus ist ja ein Lebensabschnittsgebäude. Wir haben eine wunderbare Flächenauslastung von 150 Quadratmetern Einfamilienhaus, wenn Sie und Ihre Frau und Ihre drei Kinder da drin wohnen. Doch die Kinder ziehen irgendwann aus und Sie sind zu zweit auf 150 Quadratmetern.
...während junge Familien keine ausreichend große und trotzdem bezahlbare Wohnung finden. Gerade der soziale Wohnungsbau, das müsste Ihnen ja als Sozialdemokratin richtig wehtun, kommt nicht voran. Mehr Wohnungen fallen aus der Sozialbindung heraus, als neu hinzukommen. Sie wollten 100.000 haben, die sind nirgends in Sicht. Warum?
Geywitz: Das ist schnell erklärt. In den vergangenen Jahren hatten wir für den sozialen Wohnungsbau wenig Geld zur Verfügung, etwa eine Milliarde pro Jahr. Gleichzeitig hatten wir eine hochattraktive Förderung für effiziente Wohngebäude, für die man anschließend so viel Miete nehmen konnte, wie man wollte. Das war die besagte Förderung von Peter Altmaier. Und dann wundern sich jetzt alle, warum die Projektentwickler gesagt haben, ich mache keine Sozialwohnungen. Wir haben jetzt für einen ganz starken Aufwuchs der Mittel des sozialen Wohnungsbaus gesorgt. Wir sind jetzt nächstes Jahr bei 2,5 Milliarden Euro, dann geht es auf drei, dann auf dreieinhalb Milliarden, sodass wir insgesamt bis 2026 den Ländern 14,5 Milliarden zur Verfügung stellen. Und ein zweites Element kommt hinzu: die Wohngemeinnützigkeit, an der wir gerade arbeiten. Das wird ein Steuermodell, wo dauerhaft Sozialwohnungen preisgebunden gehalten werden.
Im Neubau werden aktuell vielerorts Mieten zwischen 14 und 18 Euro pro Quadratmeter verlangt. Das ist für einen Großteil der Bevölkerung nicht zu bezahlen. Eigentlich müsste der Staat doch jetzt den Wohnungsbaugenossenschaften Flächen überlassen, damit sie dort Sozialwohnungen bauen.
„Nein, es wird keine Satellitenstädte per Rationalisierungserlass geben. Das war mal. Heute macht man eine andere Städteentwicklung.“
Geywitz: Das Problem ist weniger, dass man jetzt neue Flächen ausweisen müsste. Wir haben ja einen Bauüberhang von 750.000 Wohnungen, die sind schon genehmigt. Mehr Wohnraum schafft Entlastung, definitiv. Aber weil Bauen nichts ist, was total schnell geht, müssen wir jetzt auch über andere Wege Mieten dämpfen. So können die Länder beim sozialen Wohnungsbau auch vorhandene Wohnungen dafür ankaufen und für Mieten um die 6,50 Euro pro Quadratmeter belegen. Weil die Lage so angespannt ist, haben wir ja die historisch größte Reform des Wohngeldes gemacht. Für zwei Millionen Haushalte gibt es im Durchschnitt 370 Euro Zuschuss, um die Wohnung zu bezahlen. Das ist richtig viel. Wir kommen jetzt von durchschnittlich 190 Euro für 600.000 Leute.
Verraten Sie uns zum Abschluss noch, wie Ihr Weihnachtsfest aussieht?
Geywitz: Ich verbringe meine Weihnachtsferien mit meiner Familie. Es gibt vollkommen überraschungsfrei für eine Brandenburgerin Kartoffelsalat und Würstchen.
Zur Person
Klara Geywitz ist Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, so ihr kompletter Titel. Die 46-jährige Sozialdemokratin ist die erste Ministerin seit Ende der 90er Jahre, die sich dezidiert um den Bau neuer Wohnungen kümmert. Geywitz stammt aus Potsdam, wo sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und den drei Kindern lebt. Im Jahr 2019 hatte sie sich gemeinsam mit Olaf Scholz erfolglos um den SPD-Vorsitz beworben.