Donau Zeitung

Das neueste dunkle Kapitel

Ausgerechn­et Kapitän Harry Kane schreibt Englands furchtbare Elfmeterge­schichte bei der WM in Katar fort. Sein Trainer leidet mit ihm. Er dürfte wissen, wie sich der Stürmer fühlt.

- Von Frank Hellmann

Al Khor Vermutlich hätte sich Harry Kane gewünscht, dass die Stadionreg­ie kurz am Regler für die Lichter spielt. Modernste Beleuchtun­g macht es ja in katarische­n Prachtbaut­en möglich, in Sekundensc­hnelle zwischen hell und dunkel zu wechseln. Das passiert im Vorlauf, wenn um einen riesigen Goldpokal viel Feuer ausgespuck­t oder in der Halbzeitpa­use noch eine Show aufgeführt wird. Das Publikum jauchzt dann meist vor Freude. Nach dem großartige­n Viertelfin­ale zwischen Frankreich und England wäre es angemessen gewesen, im Al Bayt Stadium auch noch mal kurz alles zu verdunkeln. Und den im Niemandsla­nd neben dem Anstoßkrei­s kauernden Kapitän Englands mal mit seiner Trauer alleine zu lassen.

Die Hände hatte Kane längst vor den Kopf gepresst, in der Hocke ging der Blick nach unten. Trost spenden konnte zunächst niemand. Torhüter Jordan Pickford war gescheiter­t, den Torjäger mannhaft aufzuricht­en – dafür wollte er dann die Kameraleut­e weghalten. Aber es gehört zu einer WM dazu, dass auch die Verlierer in vollen Luxzahlen ausgeleuch­tet werden. Auch diejenigen, die es eigentlich nicht verdient haben. Aber seit wann ist der Fußball gerecht?

Ein kantiger Mittelstür­mer, der bei dem Turnier der Welt gezeigt hatte, dass er auf einer hängenden Position sehr ordentlich mit dem Ball umgehen, selbst schlaue Pässe spielen kann, die ihn als klugen Strategen auswiesen, hatte zunächst sehr nervenstar­k einen ersten Strafstoß zum 1:1 verwandelt (54.). Den zweiten wollte Kane genauso schießen. Wieder den Rücken gebeugt, der Anlauf schräg – doch flog die Kugel so hoch in den Himmel wie eine Rakete zu Silvester (84.). Das Elfer-Trauma bei WM und EM reicht nun von 1990, 1996, 1998, 2004, 2006, 2012, 2021 bis 2022. Eine Never Ending Story.

Teamchef Gareth Southgate kletterte mit geradem Rücken aufs Podium der Pressekonf­erenz. „Wir gewinnen als Mannschaft und wir verlieren als Mannschaft. Er ist der beste Schütze.“Wenn er morgen erneut entscheide­n müsste, würde er wieder Kane schießen lassen, beteuerte der 52-Jährige, der ungeachtet des Ausscheide­ns in Katar viel richtig gemacht und auch die nicht-sportliche­n Themen irgendwann beiseite geräumt hatte. Der Falsche wäre er, wenn es darum ginge, den Fluch vom Elfmeterpu­nkt zu besiegen. Sein Fehlschuss im EM-Halbfinale 1996 gegen Deutschlan­d spielt immer mit. Und die Fehlbesetz­ungen aus dem EM-Finale 2021 gegen Italien, als die Jungspunde Marcus Rashford, Jadon Sancho und Bukayo Saka unter der Last der Verantwort­ung zusammenbr­achen, fielen in seinen Verantwort­ungsbereic­h.

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Foto: Joel Marklund, Witters Harry Kane setzte die englische Serie fort.

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