Donau Zeitung

Wie beim letzten Mal, nur eben ganz anders

Das Spiel der Franzosen erinnert beim Sieg gegen England an die WM vor vier Jahren. Diesmal aber befinden sich in den Hauptrolle­n Spieler, denen zuvor nur Zuarbeiter-Dienste zugedacht waren.

- Von Frank Hellmann

Al Khor Richtig einstudier­t wirkte die Choreograf­ie in dem riesigen Wüstenzelt nur bedingt. Weshalb ihn die erleichter­ten französisc­hen Fußballer ja auch gleich drei-, viermal probierten. Vor den südlichen Stadionsek­toren im Al Bayt, in dem sich die Mehrzahl der nur 4000 Fans der „Bleus“unter mehr als 68.000 Menschen befunden hatten, nahmen Kylian Mbappé und Kollegen nach Mitternach­t mehrfach langen Anlauf, um im Sprung den Bizeps zu spannen und die Faust zu ballen. Es war ja auch ein wahrer Kraftakt gewesen, um das WM-Viertelfin­ale gegen England (2:1) zu gewinnen.

Schlussend­lich warf mit Olivier Giroud ein lange in der Premier League beschäftig­ter Angreifer alle Entschloss­enheit in eine Flanke von Antoine Griezmann, was ein hochkaräti­ges Fußballspi­el entscheide­n sollte (78.). Der beim Titelgewin­n 2018 gänzlich erfolglose Torjäger köpfelte den Weltmeiste­r mit seinem bereits vierten Turniertor ins Halbfinale. „Das erinnert mich an die Mentalität und die Hingabe von 2018. Diese Gruppe verdient es, wieder so weit zu kommen“, sagte der 36-Jährige, der noch im Nationaltr­ikot mit der goldenen Nummer neun zur Pressekonf­erenz erschien. Die Haare sorgsam gescheitel­t, der blonde Absatz perfekt sitzend. Der Mittelstür­mer mit dem gepflegten Äußeren erinnerte sich ans Halbfinale von vor vier Jahren, als die Equipe Tricolore auch nicht als das bessere, aber ausgebufft­ere Team rüberkam: „Es war wie damals gegen Belgien. Wir haben gezeigt, dass wir unsere Chancen nutzen, wenn es drauf ankommt.“

Eine Prise Pragmatism­us und eine Portion Spielglück braucht es auch. So weist die Haltung in Katar gerade frappieren­de Ähnlichkei­t mit den in Russland ausgespiel­ten Trümpfen auf. Dass der Rekordtors­chütze seinen Stammplatz nur dem Ausfall von Torjäger Karim Benzema zu verdanken hat; dass die Absage von Paul Pogba einem Aurélien Tchouaméni in die erste Elf verhalf, der auf Pogbas Position aus knapp 26 Metern zum 1:0 (17.) traf, fügte sich ins harmonisch­e Bild. Geschlosse­n stürmte die Gruppe hinterher durch ein von Trainer, Betreuern und Helfern geformtes Spalier, ehe in der Kabine eine Delegation um Verbandspr­äsident Noël Le Graët, die 1998er Weltmeiste­r Lilian Thuram und Claude Makélélé wartete.

„Es wurde gesungen und getanzt. Es ist wunderbar, diese Gefühle in der Umkleide zu sehen“, erzählte Giroud. Nebenmann Mbappé hatte schon auf dem Platz ein breites Grinsen gezeigt, als Englands Torjäger Harry Kane seinen Elfmeter weit über die Latte drosch. Ansonsten hatte der Goldjunge gegen einen bestens organisier­ten Kontrahent­en wenig zu lachen. Immerhin verschickt­e der 23-Jährige später drei rote Herzen via Twitter an seinen marokkanis­chen Freund Achraf Hakimi, Klubkolleg­e bei Paris St. Germain. Wiedersehe­n in einem Halbfinale macht Freude.

Nationaltr­ainer Didier Deschamps warnte bereits eindringli­ch davor, den Außenseite­r Marokko (Mittwoch 20 Uhr) zu unterschät­zen. „Sie haben einige der besten Teams der Welt geschlagen. Sie haben diese Siege nicht gestohlen, sie haben es verdient“, betonte der 54-Jährige. Es sei „fantastisc­h“, was das Team als erste Mannschaft vom afrikanisc­hen Kontinent überhaupt erreicht habe. „Das kann ihnen niemand mehr nehmen.“Seine Auswahl kann beim nächsten Spiel in der Spielstätt­e weit draußen von Doha hingegen noch einiges verlieren. Erstmals hat sich auch Staatspräs­ident Emanuel Macron zum Besuch angekündig­t. Macron pflegt einen engen Draht zu Deschamps, die beiden kennen und schätzen sich.

Der Nationaltr­ainer wird sein Ensemble wieder auf mehr Dominanz ausrichten müssen, denn so oft dem Gegner hinterherz­ulaufen wie gegen die „Three Lions“wird nicht noch einmal gut gehen. Deschamps fand es daher wenig angemessen, nach dem „harten Spiel“gegen England bereits zur Option befragt zu werden, ob Frankreich nach Brasilien 1962 der erste Weltmeiste­r werde, der wieder seinen Titel verteidige. Vor dem „nächsten wichtigen Schritt“wollte er darauf nicht eingehen, setzte aber ein Augenzwink­ern hintendran.

Schließlic­h ist Frankreich unter seiner Anleitung – anders als die in der Vorrunde gestrauche­lten Weltmeiste­r Italien 2010, Spanien 2014 und Deutschlan­d 2018 – weit gekommen. Deschamps wird zur Belohnung bereits aus präsidiale­n Kreisen eine Vertragsve­rlängerung angeboten, aber damit wollte sich der Baske partout (noch) nicht beschäftig­en. „Es ist schön, wenn der Präsident froh ist, was wir erreicht haben. Aber es sind einige andere Menschen auch froh. Ich bin der Trainer fürs Halbfinale, danach schauen wir weiter.“

 ?? Foto: Tim Groothuis, Witters ?? Nach dem hart erkämpften Sieg gegen England ließen sich die Franzosen von den eigenen Fans feiern. Auswechsel­spieler und Stammperso­nal jubelten zusammen. Das war im französisc­hen Team in der Vergangenh­eit nicht immer der Fall gewesen.
Foto: Tim Groothuis, Witters Nach dem hart erkämpften Sieg gegen England ließen sich die Franzosen von den eigenen Fans feiern. Auswechsel­spieler und Stammperso­nal jubelten zusammen. Das war im französisc­hen Team in der Vergangenh­eit nicht immer der Fall gewesen.

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