Die ersten des Kontinents
Auf Marokko wartet ein Treffen mit der Vergangenheit
Doha So unterschiedlich können Tränen motiviert sein: Der eine weinte, weil sein Traum vom WMTitel zerstört wurde und der andere, weil sich sein Traum schon jetzt erfüllt hat: Ronaldo war am Boden zerstört und Bono im sieben Himmel. Der überragende Torhüter der Marokkaner schrieb mit seinem Team WM-Geschichte: Als erstes afrikanisches Team überhaupt stehen die Atlas-Löwen nach dem 1:0 gegen Portugal in einem WMHalbfinale.
„Wir haben Geschichte für Afrika geschrieben, Afrika ist auf der Landkarte des Fußballs“, sagte Trainer Walid Regragui nach dem großen Kampf seiner Löwen. Für ihn war es die Leistung des Teams: „Wir zeigen gerade der ganzen Welt, was man mit Leidenschaft, Gier und Überzeugung erreichen kann“, verkündete der Coach, den vor der WM niemand kannte und den seine Spieler nach der Abwehrschlacht minutenlang in die Höhe bugsiert hatten. Gefeiert von gefühlt 40.000 Fans, die von der ersten bis zur letzten Minute für einen Höllenlärm sorgten.
Geerdet war der Trainer aber nach dem Höhenflug in der Pressekonferenz immer noch nicht: „Wenn du der Kleine bist, musst du groß denken und an deinen Träumen bleiben“, sagte der 47-Jährige, der gleich eine Botschaft an den nächsten Gegner sendete, den er zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte: „Egal, wer auf uns treffen wird, er wird es sehr, sehr schwer haben. Inzwischen fühlen wir uns unschlagbar, auch weil wir in Bono einen der besten Torhüter der Welt haben.“In der Tat: Yassine Bounou, den alle nur Bono nennen, war erneut der Held vieler Helden, die in der zweiten Halbzeit eine wahre Abwehrschlacht erfolgreich überstanden. Mit seinen gehaltenen Elfmetern gegen Spanien hatte Bono in Marokko bereits Heldenstatus bekommen, am Samstagabend unterstrich er erneut, warum er in der vergangenen Saison als bester Torhüter Spaniens gewählt wurde: Der Torhüter des FC Sevilla hielt, was mitunter nicht zu halten war. Eine seiner leichterten Übungen: In der 91. Minute entschärfte er einen Schuss Ronaldos.
Wenige Minuten später heulten beide. „Es ist das erste Mal, dass ich nach einem Spiel geweint habe, aber wenn du ins Halbfinale der Weltmeisterschaft kommst, dann kann ich die Tränen nicht halten“, sagte Bono, der seine Auszeichnung als Spieler des Spiels an den Torschützen Youssef En-Nesyri symbolisch weiterreichte.
Der Stürmer vom FC Sevilla hatte sich in der 42. Minute in die Höhe geschraubt und machte sich mit seinem Kopfball in der afrikanischen Welt unsterblich. Portugals Torhüter Diogo Costa hatte das Spielgerät verfehlt. In der 51. Minute dann der vermutlich letzte Auftritt auf großer Weltbühne für Cristiano Ronaldo, der für Ruben Neves ins Spiel kam. Trotz Unterzahl, Cheddira war fünf Minuten vor Schluss mit Gelb-Rot vom Platz geflogen, überstanden die Marokkaner das Anrennen der Portugiesen. Durch den Sieg stehen die Löwen als erstes afrikanisches Land in einem WM-Halbfinale. Marokko trifft am Mittwoch auf Weltmeister Frankreich. Für Trainer Regragui kein Grund zur Panik. „Warum sollte Marokko nicht den World Cup gewinnen?“, hatte er nach dem Spanien-Spiel so gesagt, dass alle Zuhörer das für eine Übertreibung halten konnten. Am Samstag hat sich das geändert.