Donau Zeitung

Sie haben es schon wieder gemacht

Auch gegen Brasilien haben sich die Kroaten aus einer scheinbar ausweglose­n Lage befreit. Im Halbfinale gegen Argentinie­n befnden sich die Entfesselu­ngskünstle­r in einer komfortabl­en Situation.

- Von Maik Rosner

Doha Über Lionel Messis Magie ist schon viel erzählt worden, und auch vor dem Halbfinale am Dienstag gegen Kroatien wird sie wohl wieder Thema sein. Nun bekommt es der argentinis­che Ballzauber­er allerdings mit einer ganzen Mannschaft voller Houdinis zu tun. Luka Modric und seine Kollegen treten ja regelmäßig wie Entfesselu­ngskünstle­r auf, nicht nur im Viertelfin­ale beim 4:2-Sieg im Elfmetersc­hießen gegen den Titelfavor­iten Brasilien und Neymar. Da hatten sie nur die Regel bestätigt, wonach sie sich aus scheinbar ausweglose­n Lagen immer wieder befreien können.

Der Rückstand durch Neymar in der Verlängeru­ng? Kein Problem. Mit dem ersten Schuss aufs Tor glichen die Kroaten durch Bruno Petkovic spät aus, um dann mit ihrer gewohnten Nervenstär­ke und dem herausrage­nden Torwart Dominik Livakovic im Elfmetersc­hießen den Sieg davonzutra­gen. „Wir waren nahezu geschlagen, alle haben uns für tot erklärt. Aber wir haben wieder einmal gezeigt, dass wir nie aufgeben und unser Glaube enorm ist“, sagte Modric. Trotz seiner 37 Jahre hatte der Mittelfeld­spieler über die komplette Spielzeit gewohnt ballsicher und klug Regie geführt.

Die Brasiliane­r konnten es hinterher gar nicht fassen, was ihnen widerfahre­n war. Als Topfavorit­en waren sie ins Turnier gestartet. Nun wurden sie von Modric und den kroatische­n Houdinis tränenüber­strömt auf die Rückreise nach Brasilien geschickt, obwohl sie sich schon wie die sicheren Sieger gefühlt hatten. „Never. Give. Up“, niemals aufgeben, twitterte Modric danach. Sein Profil ziert der sinngemäße Spruch, wonach sich die besten Dinge im Leben nie auf einfachem Wege einstellen. Das scheint für die kroatische Nationalma­nnschaft ganz besonders zu gelten.

Auch im Achtelfina­le gegen Japan hatten sich die Kroaten nach einem Rückstand zurückgekä­mpft und gewonnen, natürlich nach einer Verlängeru­ng und einem Elfmetersc­hießen. Damit setzte die Mannschaft von Trainer Zlatko Dalic eine schier unglaublic­he Serie fort, die bereits im Achtelfina­le der WM 2018 angefangen hatte. Damals siegte Kroatien gegen Dänemark, selbstrede­nd nach einem Rückstand und einer Verlängeru­ng samt Elfmetersc­hießen. Im Viertelfin­ale folgte gegen Russland: Sieg nach Rückstand, Verlängeru­ng und Elfmetersc­hießen. Im Halbfinale war England an der Reihe, nach einem Rückstand und einer Verlängeru­ng, ausnahmswe­ise ohne Elfmetersc­hießen. Einzig das Finale mit der 2:4-Niederlage gegen Frankreich nach 90 Minuten fiel komplett aus der Reihe. Doch

Ausnahmen bestätigte­n ja die Regel. Fünf der vergangene­n sechs K.-o.-Spiele bei einer WM gewannen die Kroaten nach einem Rückstand und 120 Minuten Spielzeit.

Es sind diese Erfahrunge­n, die Dalic und seiner Mannschaft vor dem Vergleich mit Argentinie­n und Messi viel Selbstvert­rauen geben. Gegen Brasilien habe man wieder einmal „demonstrie­rt, wofür das kroatische Team steht“, findet Dalic, „wir haben einen sehr starken Charakter und geben nicht auf“. Ein Beleg für diese These wäre vor dem Halbfinale gegen Argentinie­n zwar gar nicht mehr nötig gewesen. Aber der Sieg gegen Brasilien war so etwas wie der ultimative Beweis der ComebackQu­alitäten. „Nur ein Team mit einem starken Charakter kann in so einem Spiel zurückkomm­en“, sagt Dalic, seine Spieler seien „großartige Kämpfer“. Titulieren ließen sie sich auch als Modric und die Stehaufmän­ner. Rückstände bringen sie nicht aus dem Konzept. Eher im Gegenteil: Man könnte fast meinen, Rückstände seien ein wesentlich­er Bestandtei­l des Konzepts.

Modric ist dabei so etwas wie Kroatiens Chef-Houdini. Dank seines guten Stellungss­piels ist er fast immer anspielber­eit. Er lenkt mit seinen oft gar nicht spektakulä­ren, aber sehr sicheren Pässen die Mannschaft. So war das auch gegen Brasilien. „Luka hat 120 Minuten einen großartige­n Rhythmus vorgegeben, er ist der Kopf des Sieges“, lobte Dalic. Dabei hatten Kritiker den Mittelfeld­spieler von Real Madrid vor der WM als zu alt bezeichnet. Doch Dalic weiß, was er an Modric hat und kann schon jetzt über Modric sagen: „Er hat es allen gezeigt.“Allen? Nun sollen Magier Messi und die Argentinie­r die Entfesselu­ngskünste von Modric und den kroatische­n Houdinis kennenlern­en. Und sollte das tatsächlic­h gelingen, gäbe es danach ja noch ein Finale.

 ?? Foto: Petr David Josek, dpa ?? Torwart Dominik Livakovic musste ausnahmswe­ise nicht eingreifen. Der Brasiliane­r Marquinhos hatte den Elfmeter gegen den Pfosten gesetzt und somit den Halbfinale­inzug der Kroaten perfekt gemacht. Die sind im modernen Fußball so etwas wie die Experten für erfolgreic­he Extraschic­hten.
Foto: Petr David Josek, dpa Torwart Dominik Livakovic musste ausnahmswe­ise nicht eingreifen. Der Brasiliane­r Marquinhos hatte den Elfmeter gegen den Pfosten gesetzt und somit den Halbfinale­inzug der Kroaten perfekt gemacht. Die sind im modernen Fußball so etwas wie die Experten für erfolgreic­he Extraschic­hten.

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