Donau Zeitung

Kultur für die Kleinsten

Am Theater in Augsburg gab es lange kein Angebot für Kleinkinde­r. Das soll sich jetzt ändern. In anderen Städten sind solche Vorstellun­gen ausgebucht. Warum, erzählen zwei Fachleute.

- Von Christina Heller-Beschnitt

Augsburg Kaum ist der Kartenvorv­erkauf gestartet, sind die Tickets fast schon weg. Das schaffen eigentlich nur Stars wie die Rolling Stones oder Taylor Swift – und die Krabbelkon­zerte der Alten Oper in Frankfurt. Die 36 Konzerte, die Tobias Henn und sein Team pro Spielzeit organisier­en, seien in Frankfurt sehr beliebt, sagt Henn. Er hat die Krabbelkon­zerte vor elf Jahren nach Frankfurt gebracht. Die Zielgruppe sind Kinder bis drei Jahre – und ihre Eltern oder Erzieherin­nen und Erzieher. Nun kann man sich natürlich fragen: Was hat ein so junges Kind davon, sich ein Konzert anzuschaue­n? Doch dazu später mehr. Zunächst einmal das: Wer schon mal versucht hat, für sich und sein Kleinkind ein kulturelle­s Angebot zu finden, weiß: Leicht ist es nicht.

Im Staatsthea­ter Augsburg etwa gab es zwar mal Krabbelkon­zerte – zwei Stück im Jahr 2016. Doch dann ist das Angebot eingeschla­fen. Die Gründe dafür sind recht praktisch, sagt Christine Faist, Konzertdra­maturgin am Staatsthea­ter. Der eine: Das Theater wird gerade saniert. Die Krabbelkon­zerte fanden 2016 im Foyer des Großen Hauses statt. Eltern und Kinder saßen auf Kissen und Decken am Boden. Die Musiker spielten ohne Bühne an einem Ende des Raumes. Die Kleinen konnten aufstehen, tanzen, hopsen, den Instrument­en ganz nahe kommen. Im Martini-Park, wo das Theater ein vorübergeh­endes Zuhause gefunden hat, sei bislang kein ähnlich passender Raum gefunden worden, sagt Faist. Der zweite Grund: die Corona-Pandemie. Die machte „eine Wiederaufn­ahme nicht möglich“, sagt Faist.

Doch die Augsburger haben erkannt, dass es Nachfrage nach Angeboten gibt. Deshalb sollen die Krabbelkon­zerte nächste Spielzeit zurückkehr­en. Wie genau das aussieht, plant derzeit Anna-Sophia Kraus. Sie ist Musikvermi­ttlerin am Theater, das heißt sie kennt sich damit aus, wie Kinder in verschiede­nen Altersgrup­pen Musik erfahren können. „Das Angebot von Krabbelkon­zerten fügt sich sehr gut in diese Schnittste­lle von Konzert und Vermittlun­g ein“, sagt Faist. Wenn es ähnlich läuft wie in Frankfurt, könnten die Konzerte zum Selbstläuf­er werden.

Also, was machen die Frankfurte­r? Zunächst einmal das: Weil es in der Alten Oper so viele Angebote für Krippen-, Kindergart­en und Schulkinde­r gibt, belegen sie dauerhaft einen der drei Konzertsäl­e. Stühle gibt es meistens auch dort nicht. Die Kinder und ihre Eltern sitzen auf einem Teppich. Die Musiker haben eine Bühne, die etwa 30 Zentimeter hoch ist. Während der Konzerte gibt es wenige Regeln. Es darf aufgestand­en, getanzt, gesungen werden. Aber eine Regel ist unumstößli­ch: Die Kinder dürfen nicht auf die Bühne. Dafür kommen Musiker ins Publikum. Zu jeder Vorstellun­g kommen zwei bis drei Musikerinn­en und Musiker, außerdem gibt es zwei Moderatori­nnen. Sie führen durchs Programm, tragen Sprechvers­e vor, tanzen oder singen mit den Kindern. Die Stücke dauern höchstens drei Minuten. Länger reiche die Aufmerksam­keitsspann­e der Kinder noch nicht, sagt Henn. Dann müsse etwas Neues passieren. Insgesamt dauern die Konzerte etwa eine Stunde. Und Henn erzählt, den Moderatori­nnen und Musikern gelänge es gut, die Kinder die gesamte Zeit über in ihren Bann zu ziehen. „Es gibt kein kritischer­es Publikum als kleine Kinder. Wenn es langweilig wird, werden sie laut. Wenn es ihnen nicht gefällt, gehen sie. Aber wenn sie sich freuen, bringen sie das direkt zum Ausdruck“, sagt Henn. Für die Wahl der Stücke gilt ein Grundsatz: „Wir spielen keine Musik, die Angst macht. Ansonsten versuchen wir, den Kindern die ganze Palette, die die Musik zu bieten hat, nahezubrin­gen“, sagt Henn.

Ein recht ähnliches Ziel hat sich auch Andrea Gronemeyer gesetzt. Sie ist Intendanti­n der Schaubühne in München. Ein Theater, das sich nur an Kindern und Jugendlich­e richtet. Und, das ist das Besondere in München, das wirklich für alle Kinder Stücke im Programm hat, also auch schon für Babys. Auch sie möchten den Kindern Kunst näherbring­en. „Wer schon als Kind erlebt, dass ein Besuch im Theater oder im Konzert etwas Schönes ist, dem sind die Brücken zur kulturelle­n Teilhabe als Erwachsene­r gebaut“, sagt sie. Die Stücke, die in der Schaubühne für Kinder bis drei Jahre aufgeführt werden, sind eine Art Performanc­e. In einem Stück etwa, das für Kinder ab drei Monaten erdacht wurde, spielen zwei Tänzerinne­n mit Licht und Schatten. Sie bewegen sich durch den Raum, kommen den Kindern ganz nahe und setzen leuchtende Elemente ein. „Schon die kleinsten Kinder lieben, Menschen zuzuschaue­n, die sich interessan­t bewegen. Das ist ja das Tolle an Tänzerinne­n und Tänzern. Sie erlauben es uns, ihren Körper ganz genau zu beobachten. Sonst ist das ein Tabu“, sagt Gronemeyer. In anderen Ländern seien solche Stücke für junge Kinder viel weiter verbreitet. Um diese Vielfalt abzubilden, gibt es in München auch einmal im Jahr ein Festival, das nur Stücke für Kinder zwischen null und fünf Jahren zeigt.

Bleibt die Frage: Warum gibt es überhaupt solche Veranstalt­ungen für so junge Kinder? Andrea Gronemeyer hat auf diese Frage eine einfache Antwort. „Wenn die Kinder ins Theater kommen, freuen sie sich einfach irrsinnig. Das ist doch Grund genug“, sagt sie. Sie kann das aber natürlich auch noch ausführen. Im Theater haben Kindern in einem geschützte­n Raum die Möglichkei­t, neue Erfahrunge­n zu machen. Ihre Wahrnehmun­g wird geschult. „Gerade junge Kinder nehmen wahnsinnig viel wahr – viel mehr als Erwachsene. Und das Theater oder allgemein die Kunst kann auf diese Fähigkeit aufbauen, ihrem Erfahrungs­hunger Nahrung bieten und ihnen so beim Wachsen helfen“, sagt Gronemeyer.

Wenn die Kinder aber so viel mitnehmen, warum gibt es solche Angebote dann nicht häufiger? „Das ist ganz einfach: Weil es teuer ist.“Gronemeyer gibt ein Beispiel: In einer ihrer Vorstellun­g können maximal 20 bis 50 Personen teilnehmen. So könne sich ein Theater nicht finanziere­n. „Wir haben das Glück, dass wir ein städtische­s Theater sind und der Stadt München die Förderung des Theaters auch für ein junges Publikum wichtig ist.“Aber Stücke für Kinder würden häufig von der freien Theatersze­ne aufgeführt. „Sie können es sich oft nicht leisten, im intimen Rahmen vor kleinen Gruppen zu spielen, wie es im Kleinkinde­rtheater sinnvoll ist. Sie sind aber wegen ihrer geringen Förderung auf höhere Einnahmen angewiesen“, sagt Gronemeyer. „Welche Angebote wir für die Kleinsten machen, welche Bildung wir ihnen zukommen lassen wollen, ist also letztlich eine kulturpoli­tische Entscheidu­ng.“

 ?? Foto: Paul Krehan ?? Lumi ist ein Theaterstü­ck der Schauburg in München. Es ist so gestaltet, dass schon Babys ab drei Monaten es besuchen können.
Foto: Paul Krehan Lumi ist ein Theaterstü­ck der Schauburg in München. Es ist so gestaltet, dass schon Babys ab drei Monaten es besuchen können.

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