Mützenich: „Zum Teil eine widersprüchliche Politik“
Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion ist in Nördlingen zu Gast. Kreishandwerksmeister Werner Luther konfrontiert ihn mit den Sorgen nordschwäbischer Betriebe.
Nördlingen Er genießt in der Öffentlichkeit zwar nicht den Bekanntheitsgrad wie beispielsweise Bundeskanzler Olaf Scholz. Dennoch gilt Rolf Mützenich, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, als mindestens genauso einflussreich im Berliner Politikbetrieb, wie der Regierungschef. Vorige Woche war der sozialdemokratische Spitzenpolitiker in Nördlingen.
Er hat sich quasi selbst ins Ries eingeladen, in dem er dem nordschwäbischen SPD-Bundestagsabgeordneten Christoph Schmid angeboten hat, bei passender Gelegenheit seinen Wahlkreis zu besuchen und dort eine Veranstaltung zu machen. In den Räumen des Technologie Centrums Westbayern ging es bei einer Diskussionsrunde mit Vertretern der regionalen Industrieund Handwerksbetriebe um deren Probleme und Anliegen. Im Zentrum standen dabei die geplanten Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung zur Bewältigung der großen Herausforderungen auf dem Energiesektor. „In dieser hochdynamischen Krise müssen wir die Signale aus der Wirtschaft ernst nehmen und darauf reagieren. Der gegenseitige Austausch ist daher jetzt sehr wichtig“, sagte der Chef der 206 SPD-Bundestagsabgeordneten.
Der Geschäftsführer der Nördlinger Bauunternehmung Eigner, Werner Luther, sprach in erster Linie den massiven Fachkräftemangel an, der mittlerweile auch Nordschwaben erreicht habe und die Unternehmen quer durch alle Branchen vor größte Probleme stelle. Eine besondere Not herrsche in den „Berufen des täglichen Bedarfs“wie Bäcker oder Metzger. Luther forderte in diesem Zusammenhang, die berufliche Bildung künftig stärker in den Fokus zu rücken und dafür mehr Geld seitens des Staates aufzuwenden. Zudem müsse es dringend Erleichterungen bei der Einwanderung von Fachkräften geben, um die Misere wenigstens einigermaßen kompensieren zu können.
Neue Förderinstrumente brachte Kreishandwerksmeister Luther für den zurückgehenden Wohnungsbau ins Gespräch. Das Ziel der Bundesregierung, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen, sei aus seiner Sicht allerdings unrealistisch. Als Dauerthema würden Industrie und Handwerk weiterhin die Forderung nach weniger Bürokratie sehen. Nahezu alle Wirtschaftsbereiche litten unter viel zu vielen Vorschriften und zu langen Verfahren. Hier bedürfe es dringender Abhilfe. Rolf Mützenich betonte, er verstehe die Sorgen und Nöte der Wirtschaftsbetriebe sehr gut und verwies auf die Bemühungen der Ampelkoalition, die eingetretenen Härten für Unternehmern sowie Bürgerinnen und Bürger durch die gestiegenen Preise mit Entlastungspaketen abzufedern. In der kommenden Sitzungswoche des Bundestages würden die entsprechenden Gesetze verabschiedet.
Bei der künftigen Energieversorgung Deutschlands gehe es unter anderem darum, diese durch langfristige Lieferverträge mit anderen Staaten, beispielsweise für Flüssiggas, abzusichern. In dem Zusammenhang sprach Mützenich einen bemerkenswerten selbstkritischen Satz aus: „Wir machen hier zum Teil eine widersprüchliche Politik, die moralisch nicht hundertprozentig vertretbar ist.“Was er damit meinte: Deutschland schließt Abkommen mit Staaten, in denen die Menschenrechte mitunter massiv verletzt würden – LNG aus Katar, Gas aus Aserbaidschan. Wichtig sei es, auf diese Widersprüche öffentlich hinzuweisen.
In der von Stadt- und Kreisrat Georg Wiedemann (Oettingen) moderierten Diskussionsrunde kam die Frage auf, wie sich diejenigen Haushalte verhalten sollten, die noch mit Öl heizen würden und kurzfristig keine Alternativen hätten? Im Zuge der Entlastungspakete werde es für diese Fälle aus einem Sondertopf auch Finanzhilfen geben, kündigte der SPD-Mann an. Ob denn die Übergewinne wirklich so hoch wie vorgesehen besteuert werden müssten, lautete eine weitere Frage aus dem Publikum. „Wo der Markt außer Rand und Band geraten ist, müssen wir als Regierung eingreifen“, machte der Sozialdemokrat deutlich.