Der mysteriöse Rauswurf von Sam Altman und die Folgen
OpenAI gilt als führendes Unternehmen beim Thema künstliche Intelligenz. Nun stürzt ein Führungsstreit die Erfinder von ChatGPT ins Chaos. Was eine Debatte über die Gefahren von künstlicher Intelligenz damit zu tun hat.
Was sind die größten Attraktionen in London? Wie befreie ich meine Badezimmerfliesen von Kalk? Schreibe einen Brief an den Papst! Aufgaben wie diese haben die Menschen schon dem Computerprogramm ChatGPT gestellt. Und waren erstaunt, wie präzise es sie löste. ChatGPT gilt als eine der besten Anwendungen für künstliche Intelligenz. Entwickelt hat das Programm die Firma OpenAI aus Kalifornien. Dort hat man zuletzt wahre Chaostage erlebt. An der Spitze des Unternehmens stand Sam Altman – bis zum vergangenen Freitag. Der Verwaltungsrat entließ völlig überraschend das Gesicht des Unternehmens. Die Entlassung stürzte die Firma hinter ChatGPT ins Chaos und befeuert zudem eine Grundsatzdiskussion in der Branche. Wohin geht es mit der künstlichen Intelligenz und wo liegen die Grenzen?
Die Mitteilung zur Entlassung Altmans war ungewöhnlich scharf formuliert: Altman, immerhin einer der Gründer des Unternehmens, sei nicht aufrichtig in seiner Kommunikation mit dem Aufsichtsgremium gewesen. „Der Verwaltungsrat hat kein Vertrauen mehr in seine Fähigkeit, OpenAI weiterhin zu führen“, hieß es.
Dabei hatte Altman einen guten Ruf. „Ähnlich wie Steve Jobs hat es Sam Altman geschafft, auch ohne viel technisches Know-how das Gesicht einer technologischen Revolution zu werden“, sagt Autor und KI-Experte Gregor Schmalzried. „Was er hat, ist eine klare Vision, viel politisches Geschick und eine Fähigkeit, Menschen hinter sich zu versammeln.“Als Nachfolgerin kürte der Verwaltungsrat Technologiechefin Mira Murati.
Schnell fand Altman allerdings Fürsprecher: Ein großer Geldgeber von OpenAI ist der Software-Riese Microsoft. Microsoft-Chef Satya Nadella soll sich am Wochenende für eine Rückkehr Altmans zu OpenAI starkgemacht haben. Doch der Verwaltungsrat blieb hart. Und erhob nach kurzer Zeit auch Murati des Amtes, die sich
zwischenzeitlich auf die Seite Altmans geschlagen haben soll. Den Mitarbeitern wurde ein weiterer Interimschef präsentiert: der langjährige Chef des auf Spiele fokussierten Streamingdienstes Twitch, Emmett Shear. Er wurde aus der Elternzeit geholt.
Altman steht dagegen alles andere als arbeitslos da: Er soll mit anderen Ex-Beschäftigten von OpenAI bei Microsoft ein neues Forschungsteam für Künstliche Intelligenz leiten. Und einer Meldung am gestrigen Abend zufolge halte er sogar eine Rückkehr zu OpenAI für möglich. Altman sei in Gesprächen mit dem Verwaltungsrat über eine Rückkehr in die Firma, berichtete der Finanzdienst Bloomberg. Aber bislang gilt natürlich nach wie vor die Kündigung. Und: Rund 700 der 770 Mitarbeiter von OpenAI hätten laut Berichten in Aussicht gestellt, dass sie Altman zu Microsoft folgen. OpenAI würde ausbluten.
Was aber war nun der Grund für
Altmans Rauswurf? Offizielle Details gab es nicht, in der Tech-Industrie setzte ein Rätselraten ein, was vorgefallen sein könnte.
Hilfreich ist es hier, die Bedeutung der Unternehmens OpenAI zu verstehen. Der Chatbot ChatGPT kann in Textform menschenähnlich kommunizieren. Das Programm kann Wissensfragen beantworten, Texte schreiben und übersetzen. Nach dem Start entbrannte ein Hype um künstliche Intelligenz. Der Wert von OpenAI vervielfachte sich und wurde auf 90 Milliarden Dollar geschätzt. Dabei wurde die Firma eigentlich als Non-Profit-Unternehmen gegründet. „Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass künstliche allgemeine Intelligenz der gesamten Menschheit zugutekommt“, heißt es auf der Firmenseite.
Doch schon 2019 wurde daraus ein Zwittermodell. Neben dem nicht-gewinnorientierten Teil entstand ein profitorientiertes Unternehmen namens OpenAI Global,
LLC, deren Anteile zu 49 Prozent Microsoft und zu 49 Prozent Mitarbeitern und Investoren gehören. Die restlichen zwei Prozent liegen beim gemeinnützigen Mutterunternehmen. Bis Freitag verantwortete Altman den gewinnorientierten Teil des Unternehmens.
Diese Kommerzialisierung könnte Berichten zufolge ein Grund für das Zerwürfnis gewesen sein. Ein Teil der Führungsriege bei OpenAI sei der Ansicht gewesen, dass Altman die Software mit einem zu kommerziellen Ansatz auf den Markt bringen wolle. Die Kritiker hätten Verwaltungsrat und Mit-Gründer Ilya Sutskever auf ihre Seite gebracht und den Rauswurf initiiert.
„Noch weiß man nicht genau, was passiert ist, die Ereignisse sind sehr intransparent“, sagt Niklas Kühl, Professor für Wirtschaftsinformatik und humanzentrische künstliche Intelligenz an der Universität Bayreuth. Es gebe jedoch Hinweise, dass OpenAI in zwei Lager
gespalten war. Eine Konfliktlinie dreht sich um die Offenlegung des Programms. „OpenAI war unter der Idee gestartet, dass das Programm der Menschheit dienen soll und jeder den Code des Programms ansehen und daran mitwirken können soll.“Zuletzt habe aber gerade Sam Altman die Strategie geändert, das Programm sollte nicht mehr öffentlich einsehbar sein. Damit habe er sich nicht nur Freunde gemacht, gerade bei Firmen, die Millionen Dollar in die Plattform steckten, um von der Entwicklung zu profitieren.
Ausschlaggebender, schätzt Kühl, könnte aber auch ein anderer Konflikt gewesen sein: Altman trat zuletzt dafür ein, dass das Programm ChatGPT und die Technik auch außerhalb von OpenAI „offline“weiterentwickelt werden könnten. „Damit könnten viele Sperren und Sicherheiten umgangen werden. Beispielsweise schützen solche Sperren davor, sich mit ChatGPT die Bauanleitung für eine chemische Waffe schreiben zu lassen.“Eine Befürchtung geht auch dahin, dass sich eine „Super-KI“verselbstständigt und der Kontrolle durch den Menschen entzieht. War dieser Konflikt ausschlaggebend, dann könnte es einem Teil des Verwaltungsrates darum gegangen sein, sicherzustellen, dass ChatGPT sicher, kontrolliert und „sauber“bleibt.
Wie groß aber ist die Gefahr einer sich verselbstständigenden KI? „Noch sitzen die Menschen am längeren Hebel“, sagt Kühl. „Kritisch wäre ein Punkt, an dem sich Programme autonom weiterentwickeln würden.“
Das Chaos bei OpenAI, meint auch KI-Experte Schmalzried, zeige vor allem eines: „Egal, wie mächtig die KI wird, sie liegt am Ende immer noch in den Händen einzelner Menschen — die möglicherweise auch erratisch oder undurchsichtig handeln.“Vielleicht werde man in Zukunft noch auf die Ereignisse dieser Tage zurückblicken – „als einen Wendepunkt in der Technologie-Geschichte, der Punkt, an dem die Weichen für die Zukunft gestellt wurden. Aber ohne die ganze Geschichte zu kennen, ist es unmöglich zu sagen, wo diese Weichen hinführen.“