Donau Zeitung

Worpswede‰Runde: Durch die Weite zum Weltdorf

Vier Flüsse, Himmelsthe­ater über dem Teufelsmoo­r und mittendrin eine Künstlerko­lonie.

- VON WOLFGANG STELLJES

Worpswede ist beliebt. Kunstfreun­de aus aller Welt begeben sich in der ehemaligen Künstlerko­lonie auf Spurensuch­e. Es sind Hunderte, an manchen Tagen sogar Tausende, die den Ort nordwestli­ch von Bremen besuchen, Tagestouri­sten vor allem. Und fast alle kommen mit dem Auto. Dabei ist eine Annäherung mit dem Fahrrad nicht nur umweltfreu­ndlicher, sondern auch sonst empfehlens­wert. So taucht man doch ein in eine Landschaft, die einst schon so unterschie­dliche Künstler wie Fritz Mackensen und Paula Modersohn-Becker fasziniert­e.

Die Gebrauchsa­nweisung für einen nachhaltig­en Worpswede-Ausflug geht so: Man fahre mit dem Zug nach Bremen, leihe sich ein Rad und starte zu einer 62 Kilometer langen Rundfahrt, die sich „Stadt, Land, Kunst“nennt und für die man sich mindestens einen, besser aber zwei oder drei Tage Zeit nehmen sollte. Direkt hinter dem Bremer Hauptbahnh­of taucht bereits der erste Wegweiser auf: ein weißer Torfkahn auf rotem Grund. Wobei man oft gar keine Schilder braucht, sondern einfach nur dem Lauf eines Flusses folgt, in diesem Fall sind es sogar gleich vier: Wümme, Hamme, Beek und Wörpe. Zunächst führt der Weg durch den Bremer Bürgerpark, früher eine baumlose Viehweide, bis der Landschaft­sgärtner Wilhelm Benque hier in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts eine grüne Oase schuf.

Verweilen im Grünen

Wer sonst nichts sieht von Bremen, der könnte die Stadt für eine riesengroß­e Parkanlage halten, wären da nicht, nur ein paar Radumdrehu­ngen weiter, eine Autobahn und ein Müllheizkr­aftwerk. Wobei dieser Hinweis kleinlich ist angesichts dessen, was folgt. Denn plötzlich

steht man vor einem schier endlosen Grün, genauer: dem Blockland, lauter Feuchtwies­en, durchzogen von langen Entwässeru­ngsgräben. Holländisc­he Siedler haben das Land an der Wümme vor Jahrhunder­ten urbar gemacht, sieben der alten Wohnwarfte­n sind noch vorhanden. Auf einer thront der Hof Bavendamm, ein Biobetrieb mit angeschlos­senem Café. Wenn es hier Heißgeträn­ke und Kuchen gibt, ist auf den Radwegen noch mehr los als sonst, vor allem an Wochenende­n. In der Nebensaiso­n ist man dagegen gut beraten, sich vorab über die Öffnungsze­iten zu informiere­n.

Eigentlich bräuchte man in dieser flachen Gegend kein E-Bike, würde der Wind nicht immer wieder steif von vorn kommen, wie der

Norddeutsc­he zu sagen pflegt. Und der Weyerberg, die einzige nennenswer­te Erhebung weit und breit, kommt ja noch. Ansonsten ist man bestenfall­s beim Wümmedeich gefordert. So radelt man still vor sich hin, mal leicht erhöht auf dem Deich, mal hinter dem Deich, bis in der Ferne die rote Spitze eines Kirchturms aus dem satten Grün ragt: Heiliger Georg im Lande der Gräser – ein großer Name für die eher kleine Kirche der Kirchengem­einde St. Jürgen. Bereits im 12. Jahrhunder­t errichtete­n hier Siedler ein Gotteshaus auf einer Warft.

Per Boot zum Gottesdien­st

Noch bis weit in das 20. Jahrhunder­t hinein konnte die Kirche oft nur mit dem Boot erreicht werden, weil das umliegende Niedermoor unter Wasser stand. „Es gibt alte Fotos, da laufen die Leute vor der Kirche Schlittsch­uh“, sagt Pastor Wildrik Piper. Mit etwas Zeit im Gepäck lassen sich im Kircheninn­ern die dezenten Malereien, darunter ein Bildnis des Teufels, oder auch die Inschrifte­n der alten Grabsteine angemessen studieren. Weites Land, hoher Himmel Die nächste Station: Tietjens Hütte. Hier kann der geneigte Radfahrer bei Bratkartof­feln über das schwere Los der Moorbauern sinnieren, die früher mit ihren Kähnen auf der Hamme unterwegs waren. Auf dem Fluss transporti­erten sie den Torf, den sie im Teufelsmoo­r gestochen hatten, nach Bremen – Brennstoff für die Hansestädt­er. Tietjens Hütte war eine von sieben Hütten, an denen sie Rast machten.

Kleiner, uriger und bis heute ohne Strom ist Melchers Hütte ein paar Kilometer flussaufwä­rts. Früher, erzählt Besitzer Wolfgang Teichmeier, haben viele Torfbauern ihre Einkünfte in der Hütte gleich wieder umgesetzt. Heute lassen sich vor allem Radfahrer gern unter den Bäumen im Biergarten nieder.

Ab Melchers Hütte macht der Weg eine Schleife durch die Hammeniede­rung. Das Naturschut­zgebiet vermittelt eine Ahnung davon, wie das Teufelsmoo­r einst aussah. Der Blick geht selbst für norddeutsc­he Verhältnis­se unendlich weit, bleibt höchstens mal hängen an einem Heuballen oder an grasenden Rindern und wird ansonsten nur durch einen Sandrücken begrenzt, auf dem sich ein paar Windräder drehen. Und

in Gewässern wie der Beek tummeln sich Fische mit so eigentümli­chen Namen wie Schlammpei­tzger und Moderliesc­hen.Worpswede liegt am Fuße des Weyerbergs, der gut 54 Meter aufragt und im Grunde auch nur ein sandiger Geestrücke­n ist. Es geht leicht bergauf, vorbei an Bauernhöfe­n im alten Ortskern, vorbei am Worpsweder Bahnhof, den der Jugendstil­künstler Heinrich Vogeler einst entwarf, vorbei auch an der Kirche, in der Blumenmoti­ve von Paula Modersohn-Becker die Pfeiler der Empore schmücken.

Beliebter Künstlertr­eff‰ punkt

Und dann mitten hinein in das Herz des selbst ernannten „Weltdorfes“mit seinen sechs Museen und den ungezählte­n Galerien und Ateliers.

Allen Radlern, die keine Übernachtu­ng gebucht haben, schwant spätestens jetzt, dass das ein Fehler gewesen sein könnte.

Man kann Tage damit verbringen, den Spuren der Künstler zu folgen. Fritz Mackensen war der erste, ein bedürftige­r Kunststude­nt noch, der 1884 der Einladung einer Worpsweder Kaufmannst­ochter folgte. Mackensen war begeistert von Landschaft und Licht. Er blieb. Viele andere folgten. Die Worpsweder Kolonie wurde zum Treffpunkt bedeutende­r Künstler des Impression­ismus, des Jugendstil­s, des Expression­ismus. Kolonie-Mitbegründ­er Otto Modersohn, der Paula Becker heiratete, war mit Rainer Maria Rilke befreundet, den es ebenfalls nach Worpswede zog. Doch die Künstlerge­meinschaft bekam später Risse. Mackensen diente sich den braunen Machthaber­n an, Vogeler starb verarmt in der Sowjetunio­n. Dass das Land zwischen Hamme und Wümme trockenen Fußes betreten werden kann, ist Jürgen Christian Findorff zu verdanken. Der „Vater aller Moorbauern“hat das Teufelsmoo­r vermessen und entwässert. Und ab 1751 insgesamt 42 neue Dörfer gegründet. Südwede ist so ein Dorf, schnurgera­de und von Birken gesäumt wie viele andere im Teufelsmoo­r. In fast gerader Linie geht es zur Wörpe, früher eine Art Zubringer für Torfkähne. Dort, wo die Wörpe in die Wümme mündet, erregt eine eigentümli­che Holzkonstr­uktion Aufmerksam­keit. Es ist ein Nachbau des einstmals größten Observator­iums Europas. Johann Hieronymus Schroeter, Oberamtman­n in Lilienthal, schuf das Spiegeltel­eskop um 1793. Schroeter machte sich internatio­nal einen Namen als Astronom. Nun noch über die Wümme, eine der längsten der vielen Brücken auf dieser Route, und man ist wieder im Land Bremen.

 ?? ?? Wohn‰ und Atelierhau­s des Mitbegründ­ers der Worpsweder Künstlerko‰ lonie Heinrich Vogeler: der Barkenhoff.
Wohn‰ und Atelierhau­s des Mitbegründ­ers der Worpsweder Künstlerko‰ lonie Heinrich Vogeler: der Barkenhoff.
 ?? Foto: Wolfgang Stelljes ?? Unterwegs auf dem Wümmedeich in Richtung Alter Hof.
Foto: Wolfgang Stelljes Unterwegs auf dem Wümmedeich in Richtung Alter Hof.
 ?? ?? Traditions­reichstes Museum im Ort: die Worpsweder Kunsthalle.
Traditions­reichstes Museum im Ort: die Worpsweder Kunsthalle.

Newspapers in German

Newspapers from Germany