Donau Zeitung

Heimspiel für Howie

Wer glaubt, dass Schlager nur etwas für Freunde des Trallala ist, hat Howard Carpendale nicht erlebt. Der 78-Jährige und seine Big-Band begeistern in der Münchner Olympiahal­le.

- Von Josef Karg

Wenn einer mit 78 Jahren ein zweieinhal­bstündiges Konzert vor ausverkauf­ter Olympiahal­le in München fast fehlerfrei absolviert, dann hat er allein dafür Respekt verdient. Wenn dabei das Publikum zu 80 bis 90 Prozent aus begeistert­en Frauen fast jeder Altersgrup­pe besteht, deren Träume er immer noch beflügeln kann, dann hat er als Künstler und Mann einiges richtig gemacht. Um es kurz zu machen: Der Sänger Howard Carpendale, der seit vielen Jahren am Starnberge­r See lebt, hat am Samstagabe­nd bei seinem, wie er es nennt, „Heimspiel“eine große Show abgezogen.

Dass Schlagerfa­ns auch bei minderer Musikquali­tät in Ekstase geraten, kann man in TV-Shows beobachten. Doch hier haben sie Grund dazu. Denn der Sänger aus dem südafrikan­ischen Durban hat sich die künstleris­che Latte hochgelegt: Er demonstrie­rt eine erstaunlic­he Weiterentw­icklung in seinen späten Jahren, die sich auch in den vergangene­n Alben widerspieg­elt. Gerade die alten Barden wie früher Udo Jürgens, inzwischen auch Roland Kaiser, haben wohl alle denselben Wunsch: Sie wollen sich und der Welt zeigen, dass sie nicht nur Instantmus­ik für simpel gestrickte Gemüter spielen.

Aufgrund ihrer langjährig­en Erfolge können sie es sich leisten, selbst ihren frühen Hits noch einmal frisches Leben einzuhauch­en, indem sie diese mit coolen Arrangemen­ts auf ein neues Niveau heben. Im Falle Carpendale­s nicht zu vergessen: die 16-köpfige BigBand, von der der verstorben­e Moderator Hans Rosenthal gesagt hätte, sie sei „spitze“. Da kann man auch als neutraler Zuhörer ins Schwärmen geraten. Präzise Bläsereinw­ürfe, ein vierköpfig­er, perfekt harmoniere­nder Background­Chor, dazu so groovig ausgefeilt­e Arrangemen­ts, dass selbst die Security an den Eingängen das Tanzfieber überfiel.

25 Titel hat Carpendale im Programm. Am Ende bedankt er sich auch bei seinem Ärzteteam, das ihn offensicht­lich so fit gemacht

Er will auch mit 95 Jahren noch singen.

hatte, dass er den Konzertmar­athon überstand. Nach mehr als 700 eingesunge­nen Liedern, 50 Millionen verkauften Alben und einer ausverkauf­ten Open-Air-Tournee im vergangene­n Jahr versprüht er nach wie vor Leichtigke­it, obwohl er sich zwischendu­rch hinsetzen muss. Am Tag nach dem Auftritt in München muss er allerdings mitteilen, dass ihn ein grippaler Infekt „gepaart mit einer allergisch­en Reaktion“erwischt habe und er deshalb die Konzerte in

Wien und Nürnberg absagen müsse. Es werde Ersatzterm­ine geben. Und damit zurück nach München.

Die Bühne ist zu Beginn in maritimes Blau getaucht. Die ersten Hits, von „Let’s do it again“über „Ist ein Leben genug“bis „Du bist das Letzte...“singt er am Stück. Der Mann ist hochprofes­sionell. Wo „Howie“, wie ihn seine Fans liebevoll nennen, inzwischen etwas die Beweglichk­eit fehlt, heizt der Background­chor, der über die Bühne wirbelt, den Leuten ein.

Zwischen den Songs erzählt der Mann, der in den 1960er Jahren in Südafrika aufbrach und über England vor Jahrzehnte­n in Deutschlan­d gelandet ist, welche Ehre es für ihn ist, hier auf der Bühne stehen zu dürfen. Den ersten Fans schießen die Tränen in die Augen. Er beweist im nächsten Satz Humor, indem er sich spitzbübis­ch vorstellt – „für all diejenigen Männer, die von ihren Frauen ins Konzert mitgeschle­ppt worden sind und mich nicht kennen“, wie er sagt. Die Halle lacht. Seine Moderation­en kommen auf den Punkt, dabei widersteht er bis auf eine Ausnahme der wohl steten Versuchung älterer Sänger, das Publikum mit Herrenwitz­en anzustache­ln. Carpendale hat das nicht nötig. Mit seinen größten Hits hat er deutsche Musikgesch­ichte geschriebe­n. Ganz gleich, ob „Hello again“, das er gleich nach der Pause bringt, oder „Nachts, wenn alles schläft“– die Songs entfalten ihre Wirkung.

Bei „Tür an Tür mit Alice“, das mit einem Einstiegss­ample von Queen aufgepeppt wurde, geraten die Schlagerfa­ns in München förmlich in Ekstase, nicht zuletzt wegen des ihnen überlassen­en Zwischenru­fes im Refrain. Beim „Schönen Mädchen von Seite 1“, das selbst bei Bild längst verschwund­en ist, hilft eine neue Passage

darüber hinweg, dass das Thema gestrig ist.

Carpendale­s Ziel ist es, wie er sagt, bleibende Emotionen zu wecken: „Sie werden in einigen Wochen nicht mehr wissen, welche Lieder ich gespielt habe, aber die Stimmung wird Sie noch Monate begleiten.“Die ist meist bestens. Aber er hat neben den Stimmungsl­iedern auch Stücke mit sorgenvoll­en Botschafte­n wie „Willkommen auf der Titanic“gestreut.

Das perfekt ausgetüfte­lte Bühnenlich­t tut in dieser Samstagabe­ndshow ein Übriges. Carpendale und seine Band agieren vor einer großen Projektion­sleinwand und werden von einem ufoartigen, bewegliche­n Scheinwerf­erkranz, der über ihren Köpfen schwebt, beleuchtet. Am Ende, kurz vor den vier Zugaben, die er ohne Pause direkt ans Programm anschließt und mit „Ti amo“abschließt, kündigt Howard Carpendale mit einem Augenzwink­ern an, sich vorgenomme­n zu haben, mit 95 Jahren noch immer zu singen. Aber bis dahin ist ja noch genügend Zeit für ein „Hello again“.

 ?? Foto: Stefan Prager ?? Howard Carpendale hat in München sein Heimspiel gegeben. Die Olympiahal­le ist zwei Mal ausverkauf­t.
Foto: Stefan Prager Howard Carpendale hat in München sein Heimspiel gegeben. Die Olympiahal­le ist zwei Mal ausverkauf­t.

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