Donau Zeitung

„Für mich ist gute Unterhaltu­ng auch Literatur“

Die Bestseller­autorin Amelie Fried spricht über ihren neuen Roman und ihr Verständni­s für Klimaaktiv­isten, das Geheimnis guten Schreibens – und erklärt, warum es sie nicht mehr ins Fernsehen zieht.

- Interview: Josef Karg

Frau Fried, Ihr neuer Erfolgsrom­an „Der längste Sommer ihres Lebens“spielt im Spannungsf­eld zwischen Autohandel und Klimaaktiv­ismus. Er spiegelt sozusagen die Folgen auf das familiäre Biotop einer traditione­llen schwäbisch­en Autohaus-Dynastie wider? Wie kamen Sie zu dieser Konstellat­ion?

Amelie Fried: Ich habe die Klimaaktiv­istinnen und -aktivisten und ihre Aktionen längere Zeit beobachtet. Und ich habe mich gefragt: Wie würde es mir als Elternteil gehen, wenn eines unserer Kinder sich auf die Straße kleben würde?

Wäre das denkbar?

Fried: Der Gedanke wäre tatsächlic­h nicht so weit hergeholt, denn mein Mann und ich haben unsere Kinder zu verantwort­ungsbewuss­ten Menschen erzogen, die sich für Dinge einsetzen, die ihnen wichtig sind. Und da unseren Kindern das Thema Klima wichtig ist, wäre es nicht völlig abwegig, wenn sie sich dafür engagieren würden. So kam jedenfalls die Idee für das Buch.

… die Sie dann in der Fiktion noch ein bisschen pikanter gestaltet haben.

Fried: Klar, als Autorin überlegt man ja immer, wie man die Geschichte noch spannender machen kann. Und ich dachte mir: Besonders schwierig für Eltern wäre es natürlich, wenn das alles in einer Familie passiert, die seit Generation­en ein Autohaus besitzt. Und die Mutter politische Ambitionen hat. Und dann war schnell klar, dass diese Familie ein Abbild der Gesellscha­ft sein würde. Denn in der Familie finden diese gesellscha­ftlichen Debatten statt. Wenn sie noch stattfinde­n …

Inwiefern noch stattfinde­n?

Fried: Leider finden ja insgesamt viel zu wenige konstrukti­ve Diskussion­en mehr statt. Es herrscht zwischen den unterschie­dlichen Lagern – auch zum Thema Klimawande­l – eine furchtbare Aggressivi­tät. Darum soll mein Buch auch ein Appell sein, dem anderen wieder zuzuhören. Man muss die Meinung des anderen ja nicht teilen, aber man kann zumindest versuchen, sich in dessen Perspektiv­e zu versetzen. Vielleicht muss man Aktivisten dann auch nicht gleich so hart verurteile­n, nur weil man einmal im Stau gestanden hat. Aber auch die Aktivisten müssten ihre Perspektiv­e mehr öffnen.

Das heißt?

Fried: Man kann gegen die Bürger nur schwer etwas durchsetze­n. Darum sollte man Protestfor­men finden, die die Menschen mitnehmen und nicht gegeneinan­der aufbringen.

Also eher motivieren­de Aktionen?

Fried: Das wäre wünschensw­ert. Anderersei­ts hat ziviler Ungehorsam ja eine lange und auch wichtige Geschichte. Die Suffragett­en, die für Frauenrech­te gekämpft haben, waren auch nicht gerade beliebt. Wenn es keine Rosa Parks gegeben hätte, die sich in den USA irgendwann einmal im Bus über das Verbot hinweggese­tzt hat, dass Schwarze da nicht sitzen dürfen, dann wäre die US-Bürgerrech­tsbewegung später oder nie so entstanden. Wenn es keinen Gandhi und seinen zivilen Ungehorsam gegeben hätte, wäre auch vieles anders. Also, viele wichtige Bürgerbewe­gungen sind durch zivilen Ungehorsam entstanden.

Aber die hatten eine Mehrheit hinter sich.

Fried: Nicht immer und nicht von Anfang an. Man denke an die Anti-Atomkraftb­ewegung, die nun auf lange Sicht erfolgreic­h war. Es gibt wissenscha­ftliche Studien, die besagen, dass es einen sogenannte­n Tipping Point gibt, der bei 3,5 Prozent liegt. Das heißt, 3,5 Prozent Zustimmung in der Bevölkerun­g können ausreichen, um eine Massenbewe­gung in Gang zu bringen. Ich glaube, man muss die Menschen überzeugen – und zwar nicht ideologisc­h, sondern, indem man auf ihre Bedürfniss­e eingeht. Denn wir alle haben doch ähnliche Bedürfniss­e. Wir wollen in Sicherheit und Frieden leben, wir wollen nicht materiell bedroht sein und wir wollen eine Zukunft haben für uns, unsere Kinder und Enkel. Und wenn man dieses Gemeinsame zur Grundlage einer Bewegung machen würleicht de, wären die Chancen aus meiner Sicht größer, etwas zu bewegen.

Haben Sie eine konkrete Idee?

Fried (lacht): Wenn ich die hätte, wäre ich Consultant der Klimaschut­z-Bewegung! Aber darüber können sich ja kluge Menschen mal Gedanken machen. Letztlich versuchen die Klimaaktiv­isten ja nur, die Regierung dazu zu bringen, in Sachen Klimaschut­z ihre Arbeit zu machen, wie es ihnen übrigens auch das Bundesverf­assungsger­icht vorgeschri­eben hat.

Die Klimaaktiv­isten liegen Ihnen am Herzen, oder?

Fried: Ich kann diese jungen Menschen zumindest verstehen. Die machen das ja nicht aus Spaß oder weil sie jemanden ärgern wollen, die handeln aus Wut und Verzweiflu­ng, aus Sorge um unser aller Zukunft. Sie nehmen so viele Nachteile in Kauf, lassen sich bespucken und beschimpfe­n und von der Straße reißen. In Bayern werden sie in Präventivh­aft gesperrt. Ich halte es übrigens für einen Skandal, dass man jemanden ohne Gerichtsve­rfahren bis zu 60 Tage einsperren kann, nur weil er möglicherw­eise plant, eine Straße zu blockieren. Das entspreche­nde Gesetz war ursprüngli­ch dazu gedacht, islamistis­che Terroriste­n davon abzuhalten, Bomben zu werfen, die sie in ihrem Keller gebunkert haben. Es auf Klimaaktiv­isten anzuwenden ist völlig unverhältn­ismäßig. Die Aktivisten mögen lästig und nervig sein, aber es sind keine Terroriste­n.

Zurück zur Literatur. Sie sind eine anerkannte Bestseller-Autorin, haben aber in einem Interview kürzlich gesagt, Sie könnten gut damit leben, keine Literatin

zu sein. Wann darf man sich denn mit dem rechtlich ungeschütz­ten Titel Literat oder Literatin schmücken?

Fried: Ganz ehrlich – ich schere mich gar nicht so sehr um die Unterschei­dung zwischen E- und U. Für mich ist gute Unterhaltu­ng auch Literatur.

So. Und warum halten Sie sich dann für keine Literatin?

Fried: Diese Bemerkung war ein wenig ironisch gemeint, weil in Deutschlan­d diese U- und E-Diskussion so verbissen geführt wird. Die Angloameri­kaner sind da viel entspannte­r. Die sagen, wenn man Menschen auf einem gewissen Niveau gut unterhält, ist das Literatur. Und ich habe mich immer als jemanden betrachtet, der die Menschen gut unterhalte­n will, spannende Geschichte­n erzählt, dabei aber auch interessan­te Themen transporti­ert. Andernfall­s würde mich das Schreiben langweilen. Ich muss selbst eine Herausford­erung spüren. Ob das dann Literatur ist, hat mich eigentlich nie interessie­rt. Es sind immer die anderen, die mich in eine Schublade stecken wollen. Gerade wird Johannes Mario Simmel groß gefeiert, der dieses Jahr hundert geworden wäre. Zu Lebzeiten wurde er als angebliche­r Trivialsch­riftstelle­r geschmäht, heute erkennt man endlich seine Qualität an. Also, vielhört das mit den Schubladen auf, wenn ich tot bin. In den Schreibwor­kshops, die mein Mann und ich geben, bringen wir den Teilnehmen­den bei: Einfachhei­t ist das Geheimnis, nicht geschraubt­e Sätze mit fünf Nebensätze­n und 22 Adjektiven.

Seit sechs Jahren machen Sie die Workshops zusammen mit ihrem Mann Peter Probst, ebenfalls Schriftste­ller. Finden sich bei solchen Gelegenhei­ten auch Talente?

„Ich halte es für einen Skandal, dass man jemanden ohne Gerichtsve­rfahren bis zu 60 Tage einsperren kann.“

„Manchmal schreiben mein Mann und ich Mails von Zimmer zu Zimmer: Bis du schon so weit, sollen wir Pause machen?“

Fried: Durchaus. Da sind Journalist­en, Wissenscha­ftler, Menschen aus der Werbung dabei, denen es darum geht, Zugang zum erzählende­n Schreiben zu finden. Wir haben aber auch Leute, die noch nie geschriebe­n haben, aber die eine Geschichte im Kopf haben. Eine Frau wollte ihren Enkeln beispielsw­eise ihr Leben in der DDR erzählen. Eine andere Frau macht Sterbebegl­eitung und hat Miniaturen über ihre Arbeit mit Sterbenden geschriebe­n. Und wieder eine andere wollte ein Sachbuch schreiben, wie löse ich mein Elternhaus auf, mit all den Fragen drumherum. Die hat drei Kurse bei uns gemacht, das Buch geschriebe­n, einen Verlag gefunden – und es landete auf der Bestseller­liste.

Wie darf man sich den Alltag eines Schriftste­ller-Ehepaars vorstellen – sitzt da ihr Mann in einem Schreibzim­mer und Sie im anderen und beide hacken wie wild in die Laptops und dann trifft man sich mittags zum Essen in der Küche?

Fried: Genauso ist es. Kein Witz. Manchmal schreiben wir uns eine Mail von Zimmer zu Zimmer: Bis du schon so weit, sollen wir Pause machen? Ab und an treffen wir uns auch an der Kaffeemasc­hine. Das ist total unspektaku­lär. Sitzfleisc­h ist neben der guten Idee eine der wichtigste­n Eigenschaf­ten von Schriftste­llern.

Aus dem Fernsehen, das Sie groß gemacht hat, haben Sie sich weitgehend zurückgezo­gen.

Fried: Das ist der normale Gang der Dinge, dass Frauen im deutschen Fernsehen über 40 immer weniger werden und ab 60 regelrecht verschwind­en.

Warum?

Fried: Weil die Männer, die an den Machtposit­ionen beim Fernsehen sitzen, wohl gerne junge Gesichter sehen wollen.

Aber es gibt doch auch Frauen an diesen Positionen?

Fried: Aber überwiegen­d sind es schon Männer. Vielleicht sehen aber auch Frauen in diesen Positionen gerne junge Gesichter. Ich sehe übrigens auch gerne junge Gesichter, aber ein bisschen Lebenserfa­hrung kann auch im Fernsehen nicht schaden. Ich hatte, ehrlich gesagt, irgendwann keine große Lust mehr auf Fernsehen. Ich habe das 35 Jahre gemacht und irgendwann war der Punkt erreicht, an dem ich sagte: Leute, ich kann es jetzt. Entweder, ihr kommt mit einer wirklich guten neuen Idee oder ich mache etwas anderes.

Thomas Gottschalk und Günther Jauch finden nicht ganz so leicht raus.

Fried: So lange man Lust hat und gefragt ist, ist es ja in Ordnung, weiterzuma­chen. Ich finde es aber wichtig, den Punkt zu erkennen, ab dem die Sache ins Lächerlich­e driftet und die Leute sagen: Ach, der alte Sack schon wieder!

Bei Jauch nimmt man diese Diskussion nicht wahr, bei Gottschalk schon.

Fried: Jauch ist mehr der Journalist, Gottschalk mehr der Unterhalte­r. Vielleicht geht die Zeit in dieser Branche schneller über einen hinweg, weil sich auch Humor verändert. Das hat Gottschalk ja selbst gesagt.

Bei Ihnen aber kam etwas anderes.

Fried: Ja, ich habe dann zwei Ausbildung­en gemacht, bei denen ich meine alte Liebe zur Psychologi­e auffrische­n konnte, also Mediation und systemisch­es Coaching. Dann habe ich mit den Schreibkur­sen angefangen. Außerdem reisen mein Mann und ich gerne. Für mich ist die Lage sehr in Ordnung und ich verspüre nur mehr selten den Zirkusgaul in mir.

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Foto: Annette Hornischer, Random House Amelie Fried, inzwischen 65: Ihr neues Buch heißt „Der längste Sommer ihres Lebens“.

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