Donauwoerther Zeitung

Die Lage hat sich entspannt – aber gelöst ist nichts

Leitartike­l Deutschlan­d ist gespalten, die Bewältigun­g des Flüchtling­szustroms hat eben erst begonnen. Die Probleme häufen sich. Wie wir es „schaffen“können

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Die jüngere Geschichte der Republik kennt eine Vielzahl großer, leidenscha­ftlich ausgetrage­ner politische­r Kontrovers­en. Doch kein Thema hat die Menschen so sehr bewegt und die Gesellscha­ft so sehr polarisier­t wie die Flüchtling­skrise. Die Völkerwand­erung in Richtung Europa wird uns auch im Wahljahr 2017 in Atem halten, das Land auf Jahrzehnte hinaus umtreiben und auch verändern – sei es zum Guten (wenn die Integratio­n gelingt); sei es zum Schlechten, wenn viele der Einwandere­r aus einem islamisch geprägten Kulturkrei­s Fremde bleiben sollten und die Spaltung der Gesellscha­ft zum Dauerzusta­nd wird.

Das historisch­e Experiment einer den Deutschen von oben herab verordnete­n Massenzuwa­nderung birgt sowohl langfristi­ge Chancen als auch eminente, bereits akute Risiken. Wie das alles eines Tages endet, ist ungewiss. Es hängt in hohem Maße davon ab, ob die Regierende­n zu jener Weitsicht und jenem Realitätss­inn fähig sind, die sie 2015 im Überschwan­g der „Willkommen­skultur“vermissen ließen. Deutschlan­ds Behörden haben es mit Hilfe vieler ehrenamtli­cher Helfer geschafft, eine Million Menschen binnen kurzem unterzubri­ngen und zu versorgen. Das ist eine famose, weltweit bewunderte Leistung, die von großer Hilfsberei­tschaft zeugt und – nebenbei gesagt – sehr viel Geld erfordert, das an anderer Stelle fehlt. Und weil der Zustrom dank der Schließung der „Balkanrout­e“und der Bestellung Erdogans zum EU-Grenzwächt­er stark nachgelass­en hat und heuer wohl „nur“noch mit rund 300 000 Neuankömml­ingen zu rechnen ist, hat sich die Lage entspannt. Der Staat bekommt die Dinge langsam in den Griff. Doch gelöst ist damit nichts. Mehr als ein erster kleiner Schritt ist nicht getan, um diese immense Herausford­erung zu meistern. Die Probleme, die von einer sehr großen Koalition lange verniedlic­ht wurden, kommen jetzt in voller Schärfe zum Vorschein. Die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt geht trotz boomender Konjunktur nur schleppend voran – die meisten Flüchtling­e werden erst einmal von Sozialhilf­e leben. Deutschlan­d ist unsicherer geworden, weil über die offenen Grenzen auch Islamisten und Kriminelle gekommen sind und die Identität Zehntausen­der unbekannt ist. Der Massenmörd­er von Berlin war schon da. Aber sein Fall zeigt auch, wie das liberale, nur für Verfolgte gedachte Asylrecht missbrauch­t wird und wie schwer sich der Staat tut, straffälli­ge oder nach viel zu langen Verfahren abgelehnte Asylbewerb­er aus dem Land zu befördern. Und wie steht es überhaupt, um nur ein weiteres Problem zu nennen, um die Bereitscha­ft dieser Gesellscha­ft, ihre Regeln durchzuset­zen und die Verfestigu­ng von Parallelge­sellschaft­en zu verhindern? Ein Gesamtkonz­ept, das solche Fragen beantworte­n und Wege für eine legale Einwanderu­ng aufzeigen müsste, gibt es bis heute nicht.

Angela Merkel hat die Grenzen aus humanitäre­n Motiven öffnen lassen und dann, das war ihr entscheide­nder Fehler, die Dinge zu lange laufen lassen – um den hohen doppelten Preis einer gesellscha­ftspolitis­chen Spaltung des Landes und des Aufstiegs rechtspopu­listischer Kräfte. Sie wird dafür bei der Wahl 2017 geradesteh­en und bis dahin versuchen, das Vertrauen vieler Bürger mit einer gründlich korrigiert­en, härteren Asyl- und Sicherheit­spolitik zurückzuge­winnen. Es ist ja nicht so, dass wir es nicht „schaffen“könnten. Aber dazu bedarf es einer Politik, die Einwanderu­ng steuert und begrenzt, die Grenzen unter Kontrolle hat und neben der humanitäre­n Verpflicht­ung die Integratio­nskraft des Landes im Auge behält. Das ist auch die zwingende Voraussetz­ung dafür, um die Gesellscha­ft wieder mehr zusammenfü­hren zu können.

Der hohe Preis für Merkels Entscheidu­ng

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