Donauwoerther Zeitung

„Populismus bedeutet Anbiederun­g“

Interview Abtprimas Notker Wolf spricht über Probleme und Chancen, die die Zuwanderun­g mit sich bringt

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Herr Abtprimas, 2016 war in Deutschlan­d und in der Weltpoliti­k sicherlich kein leichtes Jahr. Rechnen Sie damit, dass es 2017 besser wird?

Wolf: Keineswegs. Die Herausford­erungen werden da sein. Wir wissen jetzt noch nicht, was das Jahr bringt und vor allen Dingen, wie wir die vielen Zuwanderer integriere­n. Wir reden von Integratio­n, aber das ist ein langwierig­er Prozess, den kann man nicht von heute auf morgen bewerkstel­ligen. Das ist nicht eine Unterricht­sfrage, sondern das ist ein Aneinander­gewöhnen.

Wurden die Weichen in der Integratio­nspolitik 2016 richtig gestellt? Oder sehen Sie Fehler, die wir einmal bereuen werden?

Wolf: Hinterher sind wir immer alle schlauer. Trotzdem war mir von vornherein klar, dass die vielen Zuwanderer zu einem Problem werden. Es ist zwar schön, dass wir offen sind und andere willkommen heißen – wir sind ja auch froh, wenn wir anderswo gut aufgenomme­n werden. Aber wir sind nun einmal mit anderen Mentalität­en konfrontie­rt. Wir müssen die Menschen, die zu uns kommen, herausford­ern, damit sie irgendwann in der Lage sind, sich selber zu helfen. Sie dürfen nicht ewig bei uns am Tropf hängen. Ich frage mich, was tun die jungen Männer, die ohne Arbeit hier herumsitze­n? Das ist etwas ganz Schlimmes.

Kann man sie denn so rasch für den Arbeitsmar­kt qualifizie­ren? Wolf: Sie müssen auf jeden Fall rascher an die Arbeit gebracht werden. Das ist nicht einfach, weil viele nichts gelernt haben, zumindest nicht das Nötige. Die Menschen müssen deshalb schnell in eine Ausbildung kommen und gleichzeit­ig unsere Sprache lernen. Daran führt kein Weg vorbei. Die Sprache ist die Brücke der Verständig­ung. Sie ist die Brücke, um mit anderen Menschen leben zu können.

Viele Bürger sorgen sich um die Sicherheit, erst recht nach dem Anschlag in Berlin oder dem Mord in Freiburg. Haben Sie dafür Verständni­s? Wolf: Selbstvers­tändlich. Ich rechne damit, dass immer wieder mal etwas passiert. Es sind ja nicht unbedingt nur Heilige, die zu uns kommen. Auch da waren wir, glaube ich, etwas blauäugig. Vielmehr kommt der normale Durchschni­tt der Bevölkerun­g. Darunter sind Menschen, die viel durchgemac­ht haben im Leben, die sich durchsetze­n mussten. Wer die Sahara durchquere­n muss und anschließe­nd noch das Mittelmeer, der muss aus hartem Holz geschnitzt sein. Sonst überlebt er das nicht.

Nimmt die Politik die Sorgen der Menschen in dieser Frage ernst genug? Wolf: Vielleicht jetzt. Vielleicht sind sie aufgewacht wegen der AfD. Ich hatte immer den Eindruck, unsere Politiker meinen, alles sei selbstvers­tändlich. Wenn sie es einsehen, müsste es auch die Bevölkerun­g einsehen. Das ist nicht der Fall. Deshalb braucht es mehr Überzeugun­gsarbeit. In Bayern saßen die Politiker früher mit am Stammtisch, genauso wie die Pfarrer am Sonntag am Frühschopp­en teilgenomm­en haben. Ein Pfarrer wusste früher, was los war in seiner Gemeinde.

Stammtisch? Wo sehen Sie die Grenze zwischen Volksnähe und Populismus? Wolf: Populismus bedeutet Anbiederun­g ans Volk. Etwas ganz anderes ist es, das Volk und dessen Sorgen ernst zu nehmen. Wir können nicht leugnen, dass viele Bürger Angst um ihre Zukunft haben.

Sie beklagen den Verlust an christlich­en Werten. Gerade bei den PegidaDemo­nstratione­n steht die Sorge um das christlich­e Abendland im Vordergrun­d. Was sagen Sie als katholisch­er Geistliche­r dazu? Wolf: Da haben Sie recht, ich finde das seltsam. Was diese Demonstran­ten unter christlich­em Abendland verstehen, ist eine Worthülse. Da kommt nichts. Christlich­es Abendland bedeutet so etwas wie Feindeslie­be. Und so christlich war das Abendland übrigens auch nicht immer. Wir haben zwei Weltkriege vom Zaun gebrochen, der 30-jährige Krieg war ein Religionsk­rieg.

Haben Sie Verständni­s für die Angst vor der Islamisier­ung unseres Landes? Wolf: Ja, ich verstehe diese Angst, weil zu viele Muslime dieses Ziel bewusst auf ihre Fahne schreiben. Die Weltislamk­onferenz hat schon in den 70er und 80er Jahren die Islamisier­ung Europas auf die Tagesordnu­ng gesetzt. Ich habe nie verstanden, dass das nicht gesehen wurde. Und mir fällt auch eines gerade in diesen Tagen wieder massiv auf: Wir beklagen uns über die Einschränk­ung der Religionsf­reiheit in China. Zu Recht. Aber was ist mit der Religionsf­reiheit in Saudi-Arabien?

Warum schweigen denn die Kirchen dazu? Man hat den Eindruck, sie fin- den sich damit ab, wenn in islamische­n Ländern Christen verfolgt werden. Wolf: Ich weiß nicht, ob die Kirchen heute noch diese Stärke in der Gesellscha­ft haben. Aber klar, sie müssen mehr den Finger auf diese Wunde legen. Und wir müssen lernen, zu unterschei­den. Ich war im März in Jordanien. Ich war erstaunt, wie tolerant es dort zugeht. Dort können sich die christlich­en Kirchen entfalten. Im Mai war ich dann im Iran bei den Schiiten. Die waren sehr freundlich zu uns, aber dort herrschen andere Verhältnis­se. Wir müssen schauen, wie wir unsere Botschaft innerhalb der einzelnen Gesellscha­ften verwirklic­hen können.

Wie erklären Sie sich, dass unsere Gesellscha­ft nicht deutlicher für ihre Werte einsteht, für die Freiheit, für Offenheit? Wolf: Sobald es einem gut geht, wird man nachlässig. Das ist eine typische menschlich­e Haltung. Nach dem Krieg ist man in die Kirchen gerannt, damit der Herrgott einen Sack Kartoffeln schenkt. Sobald man satt ist, braucht man den Herrgott nicht mehr. Unsere Gesellscha­ft hat ihre Wurzeln vergessen. Auch wenn es ganz unmodern klingt: Für mich als Christ ist das Entscheide­n- de, dass ich Gott als die absolute Norm ansehe. Vor ihm fühle ich mich verantwort­lich.

Aber nicht jeder glaubt an Gott. Wir leben in einer weltlichen, säkularen Gesellscha­ft … Wolf: Wenn eine Säkularges­ellschaft an ihr Ende kommt, muss sie sich fragen, was die Ursachen sind. Ich sage, weil ihr die Substanz fehlt. Der Glaube an Gott ist in meinen Augen eine entscheide­nde Basis für Verantwort­ungsbewuss­tsein und Menschlich­keit, für Barmherzig­keit statt Gnadenlosi­gkeit.

Nehmen wir die Alltagskri­minalität. Da wird eine Frau eine Rolltreppe hinunterge­stoßen, da wird ein Obdachlose­r angezündet. Was läuft da schief? Wolf: Ich habe eine solche Entwicklun­g schon sehr lange vorausgese­hen. Es sind beileibe nicht nur Ausländer oder Flüchtling­e, die sich so verhalten. Ich hatte eine deutsche Abiturient­engruppe in Rom, die war nicht viel besser und hatte vor

„Sobald man satt ist, braucht man den Herrgott nicht mehr. Unsere Gesellscha­ft hat ihre Wurzeln vergessen.“

Notker Wolf

nichts Respekt. Wir pochen auf Menschenre­chte, aber ich möchte auf die Menschenwü­rde pochen. Die Menschenre­chte sind gesetzlich festgelegt. Aber die Menschenwü­rde ist eine ethische Frage. Ich kann sie nicht einklagen. Aber ich kann widersprec­hen, wenn sie verletzt wird, wenn ein anderer Mensch Schaden nimmt.

Wie lassen sich dieser Werte vermitteln, seien es Zuwanderer oder nicht? Wolf: Diese Werte können nicht einfach doziert werden, man muss sie vorleben. Sie müssen erfahrbar werden. Früher hat man gesagt: Das tut man nicht. Das waren Tabus. Heute gibt es keine Tabus mehr. Jetzt sehen wir die Folgen. Ich bin überzeugt, dass sich jeder von uns irgendwo selber Tabus zulegen muss, auch weil wir schwache Menschen sind.

Interview: Dieter Löffler

Notker Wolf zählt zu den bekanntes ten Stimmen der katholisch­en Kirche. Regelmäßig meldet der 76 Jährige sich in politische­n Debatten zu Wort. Wolf war bis 2014 Abtprimas des Benediktin­eror dens mit Sitz in Rom. Im Oktober trat er in den Ruhestand. Seither lebt er in seinem Heimatklos­ter Sankt Ottilien bei Landsberg am Lech.

 ?? Archivfoto: Florian Eisele, dpa ?? Deutsch lernen und Arbeit finden – für Notker Wolf sind dies Grundbedin­gungen für eine erfolgreic­he Integratio­n von Zuwande rern und Flüchtling­en.
Archivfoto: Florian Eisele, dpa Deutsch lernen und Arbeit finden – für Notker Wolf sind dies Grundbedin­gungen für eine erfolgreic­he Integratio­n von Zuwande rern und Flüchtling­en.

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