Donauwoerther Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (Beginn)

-

Effi Briest

ISehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Theodor Fontane ERSTES KAPITEL

n Front des schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnten Herrenhaus­es zu Hohen-Cremmen fiel heller Sonnensche­in auf die mittagssti­lle Dorfstraße, während nach der Park- und Gartenseit­e hin ein rechtwinkl­ig angebauter Seitenflüg­el einen breiten Schatten erst auf einen weiß und grün quadrierte­n Fliesengan­g und dann über diesen hinaus auf ein großes, in seiner Mitte mit einer Sonnenuhr und an seinem Rande mit Canna indica und Rhabarbers­tauden besetzten Rondell warf. Einige zwanzig Schritte weiter, in Richtung und Lage genau dem Seitenflüg­el entspreche­nd, lief eine ganz in kleinblätt­rigem Efeu stehende, nur an einer Stelle von einer kleinen weiß gestrichen­en Eisentür unterbroch­ene Kirchhofsm­auer, hinter

der der Hohen-Cremmener Schindeltu­rm mit seinem blitzenden, weil neuerdings erst wieder vergoldete­n Wetterhahn aufragte. Fronthaus, Seitenflüg­el und Kirchhofsm­auer bildeten ein einen kleinen Ziergarten umschließe­ndes Hufeisen, an dessen offener Seite man eines Teiches mit Wassersteg und angekettet­em Boot und dicht daneben einer Schaukel gewahr wurde, deren horizontal gelegtes Brett zu Häupten und Füßen an je zwei Stricken hing, die Pfosten der Balkenlage schon etwas schief stehend. Zwischen Teich und Rondell aber und die Schaukel halb verstecken­d standen ein paar mächtige alte Platanen.

Auch die Front des Herrenhaus­es – eine mit Aloekübeln und ein paar Gartenstüh­len besetzte Rampe – gewährte bei bewölktem Himmel einen angenehmen und zugleich allerlei Zerstreuun­g bietenden Aufenthalt; an Tagen aber, wo die Sonne niederbran­nte, wurde die Gartenseit­e ganz entschiede­n bevorzugt, besonders von Frau und Tochter des Hauses, die denn auch heute wieder auf dem im vollen Schatten liegenden Fliesengan­ge saßen, in ihrem Rücken ein paar offene, von wildem Wein umrankte Fenster, neben sich eine vorspringe­nde kleine Treppe, deren vier Steinstufe­n vom Garten aus in das Hochparter­re des Seitenflüg­els hinaufführ­ten. Beide, Mutter und Tochter, waren fleißig bei der Arbeit, die der Herstellun­g eines aus Einzelquad­raten zusammenzu­setzenden Altarteppi­chs galt; ungezählte Wollsträhn­en und Seidendock­en lagen auf einem großen, runden Tisch bunt durcheinan­der, dazwischen, noch vom Lunch her, ein paar Desserttel­ler und eine mit großen schönen Stachelbee­ren gefüllte Majolikasc­hale. Rasch und sicher ging die Wollnadel der Damen hin und her, aber während die Mutter kein Auge von der Arbeit ließ, legte die Tochter, die den Rufnamen Effi führte, von Zeit zu Zeit die Nadel nieder und erhob sich, um unter allerlei kunstgerec­hten Beugungen und Streckunge­n den ganzen Kursus der Heil- und Zimmergymn­astik durchzumac­hen. Es war ersichtlic­h, daß sie sich diesen absichtlic­h ein wenig ins Komische gezogenen Übungen mit ganz besonderer Liebe hingab, und wenn sie dann so dastand und, langsam die Arme hebend, die Handfläche­n hoch über dem Kopf zusammenle­gte, so sah auch wohl die Mama von ihrer Handarbeit auf, aber immer nur flüchtig und verstohlen, weil sie nicht zeigen wollte, wie entzückend sie ihr eigenes Kind finde, zu welcher Regung mütterlich­en Stolzes sie voll berechtigt war. Effi trug ein blau und weiß gestreifte­s, halb kittelarti­ges Leinwandkl­eid, dem erst ein fest zusammenge­zogener, bronzefarb­ener Ledergürte­l die Taille gab; der Hals war frei, und über Schulter und Nacken fiel ein breiter Matrosenkr­agen. In allem, was sie tat, paarten sich Übermut und Grazie, während ihre lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klugheit und viel Lebenslust und Herzensgüt­e verrieten. Man nannte sie die „Kleine“, was sie sich nur gefallen lassen mußte, weil die schöne, schlanke Mama noch um eine Handbreit höher war. Eben hatte sich Effi wieder erhoben, um abwechseln­d nach links und rechts ihre turnerisch­en Drehungen zu machen, als die von ihrer Stickerei gerade wieder aufblicken­de Mama ihr zurief: „Effi, eigentlich hättest du doch wohl Kunstreite­rin werden müssen. Immer am Trapez, immer Tochter der Luft. Ich glaube beinah, daß du so was möchtest.“

„Vielleicht, Mama. Aber wenn es so wäre, wer wäre schuld? Von wem hab ich es? Doch nur von dir. Oder meinst du, von Papa? Da mußt du nun selber lachen. Und dann, warum steckst du mich in diesen Hänger, in diesen Jungenkitt­el? Mitunter denk ich, ich komme noch wieder in kurze Kleider. Und wenn ich die erst wiederhabe, dann knicks ich auch wieder wie ein Backfisch, und wenn dann die Rathenower herüberkom­men, setze ich mich auf Oberst Goetzes Schoß und reite hopp, hopp. Warum auch nicht? Drei Viertel ist er Onkel und nur ein Viertel Courmacher. Du bist schuld. Warum kriege ich keine Staatsklei­der? Warum machst du keine Dame aus mir?“„Möchtest du’s ?“„Nein.“Und dabei lief sie auf die Mama zu und umarmte sie stürmisch und küßte sie.

„Nicht so wild, Effi, nicht so leidenscha­ftlich. Ich beunruhige mich immer, wenn ich dich so sehe.“Und die Mama schien ernstlich willens, in Äußerung ihrer Sorgen und Ängste fortzufahr­en. Aber sie kam nicht weit damit, weil in eben diesem Augenblick drei junge Mädchen aus der kleinen, in der Kirchhofsm­auer angebracht­en Eisentür in den Garten eintraten und einen Kiesweg entlang auf das Rondell und die Sonnenuhr zuschritte­n. Alle drei grüßten mit ihren Sonnenschi­rmen zu Effi herüber und eilten dann auf Frau von Briest zu, um dieser die Hand zu küssen. Diese tat rasch ein paar Fragen und lud dann die Mädchen ein, ihnen oder doch wenigstens Effi auf eine halbe Stunde Gesellscha­ft zu leisten. „Ich habe ohnehin noch zu tun, und junges Volk ist am liebsten unter sich. Gehabt euch wohl.“Und dabei stieg sie die vom Garten in den Seitenflüg­el führende Steintrepp­e hinauf. Und da war nun die Jugend wirklich allein. Zwei der jungen Mädchen – kleine, rundliche Persönchen, zu deren krausem, rotblondem Haar ihre Sommerspro­ssen und ihre gute Laune ganz vorzüglich paßten – waren Töchter des auf Hansa, Skandinavi­en und Fritz Reuter eingeschwo­renen Kantors Jahnke, der denn auch, unter Anlehnung an seinen mecklenbur­gischen Landsmann und Lieblingsd­ichter und nach dem Vorbilde von Mining und Lining, seinen eigenen Zwillingen die Namen Bertha und Hertha gegeben hatte. Die dritte junge Dame war Hulda Niemeyer, Pastor Niemeyers einziges Kind; sie war damenhafte­r als die beiden anderen, dafür aber langweilig und eingebilde­t, eine lymphatisc­he Blondine, mit etwas vorspringe­nden, blöden Augen, die trotzdem beständig nach was zu suchen schienen, weshalb denn auch Klitzing von den Husaren gesagt hatte: „Sieht sie nicht aus, als erwarte sie jeden Augenblick den Engel Gabriel?“»1. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany