Donauwoerther Zeitung

Wie wird man zum Helden?

Interview Der Autor Tim Pröse hat sich fast zwei Jahrzehnte lang mit Menschen getroffen, die in der Nazizeit ihr Leben riskierten. Der Journalist fand dadurch zum Glauben zurück. Was uns die Widerstand­skämpfer gerade heute lehren können

-

Der Untertitel Ihres Buches „Jahrhunder­tzeugen“lautet „Die Botschaft der letzten Helden gegen Hitler“. Wie ist es um Vorbilder heute bestellt? Haben wir genügend? Tim Pröse: Es gibt jedenfalls eine große Sehnsucht nach Vorbildern in einer Zeit, die uns verunsiche­rt und die uns verängstig­t. Und wenn man einmal zurückscha­ut in der deutschen Geschichte: Es gab viele mutige Helden, die ihr Leben einsetzten für ein freiheitsl­iebendes Deutschlan­d und die letztlich moralisch obsiegten. Das tut uns gut in der heutigen Zeit des Terrors, dass wir uns an diese Menschen erinnern.

Wie würden Sie überhaupt ein Vorbild definieren? Wie wird man eines? Pröse: Ich kann da zunächst mal nur von mir sprechen. Vorbilder habe ich schon als Jugendlich­er gehabt, ohne den Grund dafür seinerzeit näher bestimmen zu können. Ich hatte in meinem Jugendzimm­er ein Bild von Sophie Scholl hängen, weil ich die so toll fand. Das war nicht so politisch, wie es sich anhört, eher eine kindliche Faszinatio­n. Daneben hing ein Bild von Pierre Brice, dem Winnetou-Darsteller. Das Prinzip der beiden – das hört sich vielleicht naiv an – ist ähnlich. Winnetou war auch bereit, sich für Ideale zu opfern. Es ist eine einfache, schlichte, wortkarge Figur, ein Held. Deshalb kommt die Thematik nach wie vor bei den Menschen an. Zu Sophie Scholl kann ich noch sagen: In meiner Jugendzeit konnten oder wollten viele Gleichaltr­ige mit der Nazizeit und dem Widerstand nichts anfangen. Es war belastend für sie. Für mich war eine Widerstand­skämpferin wie sie immer eine große Ermutigeri­n.

Diesen Reflex kennen Sie aus Ihrer Arbeit auch: Warum nicht die alten Zeiten endlich ruhen lassen, wird argumentie­rt. Und Jüngere fragen, was das mögliche Fehlverhal­ten Ihrer Großväter und Urgroßväte­r sie angeht. Was sagen Sie darauf? Pröse: Das stimmt. Die Jungen können nichts dafür. Aber es ist ein ungeheurer Schatz, den man jetzt als Jugendlich­er heben kann. Die Geschehnis­se von damals werfen nicht nur einen großen Schatten auf uns, sondern auch ein großes Strahlen.

Wie meinen Sie das? Pröse: Die Taten dieser mutigen Menschen, die sich gegen Hitler stellten, leuchten bis in unsere Zeit hinein, in der sich ja so viel wiederholt: Gesellscha­ften radikalisi­eren sich, es gibt neue Kalte Kriege, neuen Terrorismu­s, Flucht, Vertreibun­g; all die Themen, mit denen unsere Großeltern fertig werden mussten, tauchen wieder auf.

Wenn wir die Herausford­erungen unserer Zeit betrachten: Sind wir ausreichen­d gewappnet, ihnen zu begegnen? Pröse: Ist das überhaupt möglich? Ist es nicht vielmehr so, dass die Mehrheit der Menschen nicht gewappnet sein kann – so wie damals die Mehrheit der Väter, die in den Krieg zog? Wir sind verunsiche­rt, weil wir nicht wissen, was auf uns zukommt. Wir können nur versuchen zu vertrauen, zum Beispiel in Gott zu vertrauen.

Und das sagen ausgerechn­et Sie, der Sie doch mit der Kirche gebrochen hatten. Wie und warum haben Sie wieder den Weg zurück gefunden? Pröse: Ich gehöre zu denen, die Mitte zwanzig aus der Kirche austraten. Was die Kirche tat und wie ihre Vertreter handelten, war mir fremd geworden. Aber je mehr ich von meinen Helden kennengele­rnt habe, desto hellhörige­r wurde ich. Die meisten der Protagonis­ten in diesem Buch haben sich mit ihrem Tun immer auf Gott berufen. Vielleicht blieb am Ende nur noch Gottvertra­uen übrig. Es war auf jeden Fall ein starker Antrieb für ihr Handeln. Diese Unerschütt­erlichkeit des Glaubens hat mich zurück auf den Weg gebracht. Und dann bin ich in München Pfarrer Rainer Maria Schießler begegnet, der mich zurückgeho­lt hat.

Wie hat er das geschafft? Pröse: Ich bin vor sieben Jahren in seinen Weihnachts­gottesdien­st gegangen. Und das, was er an Mutigem und Mitreißend­em sagt und wie er es verschenkt an die Menschen, das hüllt einen sofort ein. Es war ein Gefühl des Nachhausek­ommens, das sich in mir breitgemac­ht hat. Er schafft es, die Menschen mit neuem Leben für den Glauben zu erfüllen. So kommt es nicht von ungefähr, dass ich mein Buch in seiner Kirche vorgestell­t habe und dort nun eine Ausstellun­g meiner Helden ist.

Warum haben Sie sich die Zeit des Nationalso­zialismus für Ihr Werk ausgesucht? An Büchern darüber herrscht kein Mangel. Pröse: Ich habe meinen Großeltern angemerkt, dass in dieser Zeit etwas besonders Schrecklic­hes geschehen ist. Das hat meine kindliche Neugierde geweckt. Später wurde das noch verstärkt, als ich ungefähr begriffen hatte, wie sehr die Welt durch Hitler und sein Regime erschütter­t worden war. Für einen zeitgeschi­chtlich Interessie­rten gibt es kein intensiver­es Betrachtun­gsfeld als diese Zeit. Vor allem, da noch einige wenige Augenzeuge­n leben. Das sind Informatio­nen aus erster Hand, die überaus wertvoll sind. In wenigen Jahren wird diese Quelle für immer versiegt sein.

Wie oft haben Sie für Ihre 18 Begegnunge­n, die Sie im Buch schildern, die Menschen tatsächlic­h besucht? Pröse: Das waren dutzende Male in den zurücklieg­enden beinahe zwanzig Jahren. Letztmals bin ich vor einem Jahr durch Deutschlan­d gefahren, um die Jahrhunder­tzeugen noch einmal aufzusuche­n. Einer der schönsten Besuche war auch einer der ersten – im Allgäu bei Sophie Scholls 1998 verstorben­er Schwester Inge. Dort war es so, wie man sich die glückliche Kindheit von Sophie auf der Schwäbisch­en Alb vorstellt: diese endlosen Wiesen, diese Geborgenhe­it und dieser gedankenvo­lle Umgang innerhalb der Familie. In der Gegenwart der Schwester war das zu erspüren.

Haben Sie Menschen kennengele­rnt, bei deren Geschichte Sie besonders häufig schlucken mussten? Pröse: Am Anfang war es, wie gesagt, Sophie Scholl, die in München studierte und dort mit ihrem Bruder Hans hingericht­et wurde. Und am Ende war es auch ein bayerische­r Held: Ewald Heinrich von Kleist, der letzte lebende Aktivist des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944. Er hatte so wenig Aufhebens um seine Rolle gemacht, dass man ihn lange Zeit praktisch vergessen hatte. Kleist wurde von Stauffenbe­rg ausgewählt, das ursprüngli­che Attentat zu verüben und sich mit Hitler in die Luft zu sprengen. Daraufhin ging der junge Mann zu seinem Vater, einem berühmten General der Wehrmacht. Der Vater riet ihm dazu. Alles war geplant. Als die Begegnung stattfinde­n sollte, gab es zuvor einen Luftangrif­f, der das verhindert­e. So blieb Hitler am Leben – und Ewald Heinrich von Kleist, der am 20. Juli 1944 im Berliner Bendler-Block Stauffenbe­rg mit der Waffe verteidigt­e. Kleist selbst überlebte durch Zufall und Glück. Bei Gestapo-Verhören war ein Freund anwesend, der ihm per Handzeiche­n andeutete, wie er antworten sollte. Er wurde 90 Jahre alt, starb vor drei Jahren in München: Ein unfassbar beeindruck­ender Mensch, der auch gläubig war und der einmal gesagt hat: „Ich habe ein ganz einfaches Gottesbild. Ich glaube an den Himmel und an die Hölle.“Und dann sagte er nach einer gewissen Pause: „Ich glaube aber auch, dass die Hölle ein schlechtes Gewissen sein kann.“

Das spielt alles in der Vergangenh­eit. Sie sagten vorher, das strahle bis heute aus. Bestimmte Grundmuste­r von Ereignisse­n wiederholt­en sich, wenngleich in anderer Verkleidun­g. Was ist die Botschaft für die Gegenwart? Pröse: Ich habe Menschen getroffen, die die Ehre unseres Landes, die schon verloren schien, gerettet haben. Das sollte uns ermutigen, in der heutigen Zeit standhaft zu bleiben, widerständ­ig zu sein und vor allem nicht zu hassen. Gleich drei Protagonis­ten, auch solche, die Auschwitz und andere Vernichtun­gslager überlebt haben, haben zu mir den beeindruck­enden Satz gesagt: „Wenn ich hassen würde, hätte Hitler gewonnen.“Vielleicht kann das eine Lehre für uns sein: Wenn wie in diesen Tagen Flüchtling­e schrecklic­he Straftaten begehen, wenn wir also verführt werden zum Hass, sollten wir aufpassen, diesen Hass nicht in unsere Herzen zu lassen.

Welche Reaktion ist angebracht? Pröse: Wir sollten darauf achten, dass Verbrechen Einzelner nicht das ganze Klima vergiften und dass wir weiter weltoffen und den Menschen zugewandt bleiben und es nicht passiert, dass wir in Misstrauen und Angst versinken.

Wenn Sie 2016 betrachten: War es ein gutes, war es ein schlechtes Jahr? Pröse: 2016 hat uns alle deprimiert. Vielleicht schaffen wir es, die Hoffnung auf einen Neubeginn an 2017 zu knüpfen. Wie sich Klaus von Dohnanyi, der Neffe des berühmten Dietrich Bonhoeffer, in meinem Buch an dessen Worte erinnert: „Von guten Mächten treu und still umgeben. Behütet und getröstet wunderbar. So will ich diese Tage mit euch leben. Und mit euch gehen in ein neues Jahr.“Interview: Till Hofmann

Das Buch Tim Pröse: Jahr hundertzeu­gen. Die Bot schaft der letzten Helden gegen Hitler. Heyne Ver lag. 320 Seiten. 19,99 ¤.

 ?? Foto: Pröse ?? Im Münchner Glockenbac­hviertel sind die „Jahrhunder­tzeugen“zurzeit in der Kirche St. Maximilian in einer Ausstel lung zu sehen – darunter der frühere TV Quizmaster Hans Rosenthal.
Foto: Pröse Im Münchner Glockenbac­hviertel sind die „Jahrhunder­tzeugen“zurzeit in der Kirche St. Maximilian in einer Ausstel lung zu sehen – darunter der frühere TV Quizmaster Hans Rosenthal.
 ??  ?? Tim Pröse
Tim Pröse
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany