Ein Abendessen verdirbt den Appetit
Berlinale Erstaunlich, welches Niveau der erste Tag des Film-Festivals bietet. Sowohl „The Dinner“mit Richard Gere als auch „On Body and Soul“und „T2-Trainspotting“beeindrucken. Einen Bären-Anwärter gibt es auch
Berlin Hat sich der Eröffnungsfilm „Django“fast schon zu gut ins Image der Berlinale als Filmfestival mit politischem Selbstverständnis eingefügt, setzte der erste Wettbewerbstag ganz auf programmatische Vielfalt. Von der zart-klugen Liebesgeschichte über eine emotionale Familienaufstellung bis zur Wiedersehensfeier alter Junkie-Freunde war am Freitag eine wilde, interessante Mischung am Start.
Beim ersten Blick über das Programm glaubte man, dass Oren Movermans „The Dinner“aufgrund seiner prominenten Besetzung eine solch gute Poleposition im Wettbewerb bekommen hat. Immerhin hat der Film Richard Gere nach Berlin gebracht. Aber neben seines Glamourfaktors erweist sich „The Dinner“als brillant inszeniertes Familiendrama, das schon jetzt in der engeren Wahl bei der Bären-Rallye sein dürfte: In dem Nobelrestaurant, in dem sich zwei zerstrittene Brüder und deren Ehefrauen treffen, werden Speisen von obszöner Finesse hereingetragen. Aber wirklich Appetit hat eigentlich keiner der vier am Tisch. Der Kongressabgeordnete Stan (Richard Gere) lud, um eine Angelegenheit zu besprechen, die das Ende seiner Politikerkarriere bedeuten könnte. Die Söhne der beiden Paare haben ein schreckliches Verbrechen begangen: Vor einem Geldautomaten haben sie das Lager einer dort campierenden Obdachlosen in Brand gesetzt. Die verzerrten Bilder der Sicherheitskamera, auf denen die Täter eigentlich nur für Angehörige zu erkennen sind, waren auf allen Fernsehbildschirmen zu sehen. Stan ist für Selbstanzeige, während seine Frau Claire wie eine Löwin darum kämpft, die Angelegenheit unter den Teppich zu kehren. Elterliche Beschützerinstinkte und Gerechtigkeitsempfinden prallen mit maximaler Wucht aufeinander.
Dieses Kammerspiel ist großes Schauspieler-Kino allererster Güte, in dem immer wieder neue Facetten der beteiligten Akteure und ihrer Konflikte freigelegt werden. Der Brite Steve Coogan (Stans Bruder Paul) verbindet den messerscharfen Intellekt und die psychische Fragilität seiner Figur kongenial und dürfte als Anwärter auf den Silbernen Bären gute Chancen haben.
Vom Edelrestaurant direkt hinein in ein Budapester Schlachthaus, wo ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi ihre sich zart vortastende Liebesgeschichte „On Body and Soul“inszeniert. Wenn die amtliche Qualitätsprüferin Mária (Alexandra Bobély) ihre Stelle im Betrieb antritt, meidet sie jeglichen Kontakt mit den Kollegen. Dahinter steckt jedoch nicht professionelle Distanz oder Arroganz, sondern das soziale Unvermögen einer autistischen Persönlichkeit. Betriebsleiter Endre (Gésa Morcsány) lebt ebenfalls eine zurückgezogene Existenz. Als im Zuge einer betriebspsychologischen Untersuchung herauskommt, dass beide jede Nacht exakt dieselben Träume haben, bleibt ihnen eigentlich nichts anderes übrig, als sich ineinander zu verlieben.
Mit leichter Hand mischt Enyedi poesievolle Natur- und Traumsequenzen, dokumentarische Schlachthof-Aufnahmen und vorsichtiges Kennenlernen zu einem angenehm unorthodoxen Liebesfilm, in dem die Beteiligten den Entscheidungen ihres Unterbewusstseins hinterherrennen.
Aus einem ganz anderen cineastischen Universum landet Danny Boyles „T2-Trainspotting“(nicht im Wettbewerb) nachts im Berlinale-Palast am Potsdamer Platz. Die Fortsetzung des Kultfilms von 1996, der seinen drogensüchtigen Protagonisten auf Augenhöhe und visuell rasant begegnete, hat lange auf sich warten lassen. Aber nach Sichtung möchte man allen Fortsetzungsprodie duzenten in Hollywood eine solche Karenzzeit verordnen: Den Filmstoff einfach mal 20 Jahre liegen lassen und dann schauen, was aus den Charakteren geworden ist.
Boyle inszeniert das T2-Trainspotting, das in der kommenden Woche in den deutschen Kinos startet, nicht als nostalgisches Klassentreffen, sondern macht die Verklärung und das Reflektieren der wilden, verfehlten Jugend selbst zum Thema. Damit schafft er ein Nachfolgewerk von tragikomischer Rasanz, das mit den trügerischen Wesen der Erinnerung spielt und ganz gegenwärtig auf eigenen Beinen steht.
Kann das Berlinale-Niveau so hoch gehalten werden?