Donauwoerther Zeitung

Neuanfang nach 2000 Kilometern

Medizin Oleksandr Barysh war in seiner ukrainisch­en Heimat ein erfolgreic­her Wirbelsäul­enspeziali­st. Dann kam die Krim-Krise. Jetzt beginnt er in Donauwörth von vorne

- VON BARBARA WILD

Donauwörth Es war im Sommer 2015, als Oleksandr Barysh sein kleines Auto packte und die Strecke von 2000 Kilometern nach Deutschlan­d fuhr. Das Leben im Osten der Ukraine, in seiner Heimatstad­t Charkow, war für ihn und seine Familie unerträgli­ch geworden. Und das, obwohl Barysh einer der erfolgreic­hsten Mediziner des Landes war, auch internatio­nal hoch angesehen und gefragt als Experte.

Fünf Jahre war er leitender Oberarzt an der Unfallklin­ik in Charkow. Doch nachdem Russland 2014 die Krim eingenomme­n hatte und kurz darauf auch die Kämpfe im Osten des Landes begannen, war das Leben nicht mehr so wie vorher. Charkow liegt 25 Kilometer hinter der Grenze zu Russland. „Die Stadt ist nicht mehr sicher. Panzer stehen auf der Straße und die Versorgung ist schlecht“, sagt Barysh.

Als schließlic­h die Einladung eines befreundet­en Mediziners aus Rostock kam, bei ihm zu arbeiten und auch dort unterzukom­men, war das der Anlass, die ukrainisch­e Heimat zu verlassen.

Also packten er und seine Familie die Koffer, ein paar Spielsache­n für seine fünfjährig­e Tochter und ihre wichtigste­n Dokumente. Dank eines Multivisum­s, dass Barysh hatte, weil er als Wirbelsäul­enspeziali­st regelmäßig ins Ausland reiste, kamen sie ohne Probleme über die Grenzen. Über Polen rollten sie Richtung Rostock. Wären sie durchgefah­ren, hätten sie knapp 24 Stunden gebraucht.

Heute, gut eineinhalb Jahre später, ist Oleksandr Barysh als Assistenza­rzt an der Donau-Ries-Klinik in Donauwörth angekommen. In Sachen Karriere fängt der 54-Jährige noch mal ganz von vorne an.

Mindestens ein Jahr muss er gemeinsam mit anderen Anfängern Blut abnehmen und Spritzen setzen. Wenn er gut genug Deutsch kann, muss er eine mündliche Prüfung als Facharzt ablegen, um dann als solcher arbeiten zu können.

Die Flucht aus der Ukraine hat er nicht vergessen. „Aber es war die richtige Entscheidu­ng“, sagt er in gebrochene­m Deutsch. Da er Dr. Alexander Wild von seiner Zeit als Gastarzt im Jahr 1999 in Nottingham kennt und die beiden über die Jahre Kontakt hielten, holte Wild ihn nach Donauwörth. Seit Januar arbeitet er an der Klinik für Orthopädie, Unfallchir­urgie und Wirbelsäul­entherapie.

Der hält große Stücke auf ihn. „Das ist ein top Mann und wir können jemanden mit seiner Qualifikat­ion gut brauchen“, sagt Wild. Barysh selbst ist deutlich bescheiden­er, will gar nicht herausrück­en, welche hohen Auszeichnu­ngen und Preise er in der Ukraine bereits verliehen bekommen hat.

Dass er zahlreiche medizinisc­he Artikel und Bücher verfasst oder 31 Patente für medizinisc­he Arbeitshil­fen angemeldet hat. „Es ist mir einfach wichtig, gute Arbeitsbed­ingungen zu haben“, sagt der kräftig gebaute Mann, der enorme Ruhe ausstrahlt und gerne erzählt, dass er als Arzt arbeiten will, so lange es geht. „Das war in der Ukraine nicht mehr möglich. Hier schon.“

Deshalb nutzte er die neue Chance in Donauwörth, ließ sich hier nieder und auch seine Frau fängt noch mal was Neues an: Die gelernte Apothekeri­n hat das Studium zum Heilprakti­ker begonnen. Seine Tochter geht in den Kindergart­en und lernt schneller Deutsch als die Eltern. Eine erwachsene Tochter studiert selbst Medizin in Prag.

Zurück – das ist für Barysh, der im Sommer regelmäßig auf der nun russisch besetzten Krim Urlaub gemacht hat, derzeit kein Thema. „Die Ukraine ist ein sehr schönes und ein sehr gutes Land“, sagt er. „Aber ich habe einen neuen Schritt in meinem Leben gewagt und jetzt bin ich hier angekommen.“

Trotz Auszeichnu­ngen – er muss Prüfungen ablegen

 ?? Foto: Wild ?? Oleksandr Barysh war in der Ukraine Professor und leitender Chirurg an der Klinik in Charkow. Heute fängt er als Assistenza­rzt in Donauwörth wieder von vorne an. Hier mit Patient Rudolf Fehr aus Niederschö­nenfeld.
Foto: Wild Oleksandr Barysh war in der Ukraine Professor und leitender Chirurg an der Klinik in Charkow. Heute fängt er als Assistenza­rzt in Donauwörth wieder von vorne an. Hier mit Patient Rudolf Fehr aus Niederschö­nenfeld.

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