Die große Erleichterung
Niederlande Der liberale Regierungschef Mark Rutte ruft „ein Fest für die Demokratie“aus. Er hat den Rechtspopulisten Geert Wilders deutlich geschlagen. Dass dieser sogar Stimmen dazugewonnen hat, geht in der Euphorie unter
Den Haag „Was für ein Abend!“Mark Rutte spricht langsam, als wolle er jedes dieser Worte genießen. Es ist bereits nach Mitternacht am Donnerstagmorgen. Der Premierminister hat einen Wahlsieg eingefahren, den ihm niemand zugetraut hat. 33 der 150 Sitze kann der Chef der rechtsliberalen Regierungspartei VVD (21,3 Prozent) im künftigen Parlament beanspruchen. „Ein Fest für die Demokratie“, ruft Rutte seinen Anhängern zu.
„Noch nie ist eine Wahlniederlage so sehr gefeiert worden“, sagt dagegen Professor Frieso Wielenga, Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Universität Münster, am Tag danach in einem Rundfunkinterview. Aber niemand will etwas davon hören, dass auch Rutte rund fünf Prozent verloren hat. Es zählt nur eines: Der erfolgreichste Liberale Europas konnte seinen Herausforderer Geert Wilders nicht nur in Schach halten, sondern auch noch haushoch schlagen. 20 Sitze entfallen auf die rechtspopulistische Partei PVV (13,1 Prozent). Dass Wilders sogar noch gut drei Prozent zugelegt hat, geht im Freudentaumel all derer unter, die ihn verhindern konnten. Doch Wilders hat nicht verloren, sondern lediglich nicht gewonnen.
Der niederländische Wähler hat gesprochen und die Demokratie in Europa sogar mit einem ganz und gar unbekannten Instrument bereichert: dem „Stembusstamper“, einen Wahlurnenstampfer. 80,4 Prozent der 13 Millionen Stimmberechtigten gingen zur Wahl – so viele, dass in einigen Lokalen die Urnen überliefen. Dann mussten tatsächlich die bereits abgegebenen Stimmzettel zusammengestampft werden, um Platz für weitere zu machen.
Auf mehr als jedem fünften Zettel ist der Name Mark Rutte angekreuzt. Dabei hat der smarte niederländische Premier, der jetzt in die dritte Amtszeit geht, sein Volk wohl erst am vergangenen Wochenende überzeugt. „Er machte deutlich: Ich lasse mich nicht erpressen, will aber auch keinen Konflikt weiter eskalieren lassen“, beschrieb Wielenga den öffentlichen Eindruck, den viele Niederländer hatten. Eine Art Erdogan-Effekt, der dem Premier einen Achtungserfolg verschaffte, gerade weil er sich nach dem Rauswurf der beiden türkischen Minister aus dem Land auch um ein Gespräch mit seinem türkischen Amtskollegen Binali Yildirim bemühte.
Während die Sozialdemokraten von 25 auf knapp sieben Prozent regelrecht abstürzten, explodierte die geballte Macht der Grünen. Ihr Spitzenkandidat Jesse Klaver, den manche vom Aussehen mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau vergleichen und der sich als attraktiver „Anti-Wilders“inszenierte, kann mit seinen Parteikollegen nun 14 Sitze in der Volksvertretung beanspruchen – bisher waren es gerade mal vier.
Europa feiert den „zweiten Erfolg gegen Populisten seit der österreichischen Präsidentenwahl“, jubeln
„Noch nie ist eine Wahlniederlage so gefeiert worden.“
Prof. Frieso Wielenga
die europäischen Grünen. Peter Altmaier (CDU), Chef des Bundeskanzleramts, schickte seinen Jubelruf „Niederlande, du bist ein Champion“sogar in der Landessprache via Twitter über die Grenze. Die Kanzlerin telefonierte mit Rutte, EU-Kommissionspräsident JeanClaude Juncker gratulierte ebenfalls in großer Herzlichkeit. Was nur wenige sagen, aber alle hoffen: Steht so etwas wie eine Götterdämmerung und somit das Ende der europäischen Populisten bevor? Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) meint: „Ich bin sicher, das wird sich in Frankreich wiederholen.“
Die Erleichterung über den gelungenen Start ins europäische Superwahljahr ist verständlich. Schließlich hatte Wilders sich nicht nur auf Parolen gegen Muslime und den Islam gestützt und Stimmung gegen Migranten jedweder Herkunft gemacht. Sondern er hatte auch die Möglichkeit eines „Nexit“in den Raum gestellt, also eines Ausstiegs der Niederlande aus der EU und dem Euro.