Wenn Märchen wahr werden
Die so außergewöhnliche wie kunstvolle Geschichte einer großen Liebe
Auch in der realen Welt ist Iliån ein Getriebener – vor allem seiner Erinnerungen an das ferne Feenreich, und er weiß nicht, ob sie ein Trugbild sind. Doch dann findet er ein kleines Büchlein. „Das Buch sprach von Königreichen. Von unglücklichen Prinzen und Verbannungszaubern. All das existierte plötzlich. Da war seine Erinnerung, auf Papier gedruckt... Die Mauer seines Gefängnisses hatte einen Sprung bekommen. Es war ein winziger, fast unsichtbarer Riss. Aber der warme Luftzug erfüllte das ganze Zimmer und vermittelte ihm die verrückte Hoffnung, dass es irgendwo eine Tür gab und er eines Tages nach Hause zurückkehren würde.“
Das Märchenreich Iliåns und die historische Realität, die Joshua in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebt, begegnen sich und Joshua geht nun auf die Suche nach Stücken aus seinem früheren Leben. Er sammelt Beweise seiner Liebe, reist dafür durch ganz Europa, jagt sie zweifelhaften Gestalten ab und verwahrt sie in hunderten von Koffern. Alles in der Hoffnung, dass ihn diese Sammelstücke zurückbringen in seine alte Welt: ein Weidenast, ein zierlicher Fingerhut, eine Kugel, in der ein Apfelkern eingeschlossen ist, ein winziges perlenbesticktes Nachthemd.
Timothy de Fombelle verwebt die verschiedenen Realitäts- und Zeitebenen und formt daraus eine hoch emotionale, berührende Geschichte ohne aufdringliche Sentimentalität. Deren Zauber und Unausweichlichkeit fasst er in eine poetische Sprache, welche die Tragik der Ereignisse ebenso wahrhaftig vermittelt wie die Melancholie der Figuren.
Nicht nur damit feiert de Fombelle die Kraft des Erzählens. Geschrieben ist das Buch aus der Perspektive eines Schriftstellers, dem Joshua Perle in seiner Jugend begegnet war und Jahre später wieder mit diesem Erlebnis konfrontiert wird. Mit der Macht der Worte kann er die Geschichte formen und ihr Ende beeinflussen. „Manchmal sah ich die Zeilen beim Schreiben wie einen Weg, der sich von Seite zu Seite schlängelte und Iliån und Oliå nach Hause zurückführen würde. Je weiter ich vorankam, desto weiter entfernte sich ihre kleine Laterne in der nachtschwarzen Tinte. Ich dachte daran, dass sie beim letzten Wort vielleicht nicht mehr da wären.“
Geblieben ist dann aber nichts weniger als eine grandiose Geschichte. Birgit Müller-Bardorff