Donauwoerther Zeitung

„Wir rocken Dornstadt – bis tief in die Seelen“

Festival Morgen spielt die stimmgewal­tige Sängerin Nina Hagen mit Band im nördlichst­en Zipfel des Landkreise­s. Im Interview mit unserer Zeitung spricht sie über ihre Liebe zu kleinen Festivals und verrät schon jetzt ihre Wudzdog-Songs

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Das Interview mit Nina Hagen beginnt vier Tage später als geplant. In der Wohnung der 62-Jährigen werden die Balkone umgebaut. Wegen des Lärms fällt das Telefonint­erview am Donnerstag flach. Ein Handy besitzt sie nicht. Damit hat sie schlechte Erfahrunge­n gemacht. Sie sieht das als Zeichen des allmächtig­en Geists der Liebe. Am Montag meldet sie sich wieder, einfach so. Als die Sprache auf das Ries kommt, lässt sie sich das geologisch­e Phänomen erklären. Unsere Redakteuri­n: „Der Rieskrater ist durch einen Meteoriten­einschlag und seinen Trabanten entstanden, vor mehreren Millionen Jahren.“Es gibt allerdings neuerdings eine nicht ganz ernst gemeinte Theorie, die in der neu eröffneten Bar Crater auf die Karte gedruckt wurde: „Der Absturz eines gigantisch­en, etwa ein Kilometer dicken Raumkreuze­rs sprengte einen Krater von circa 30 Kilometern Durchmesse­rn in die Landschaft.“Nina Hagen: Ach, das ist ja schön. Aber wenn das so gewesen wäre, dann müssten ja auch Teile des Raumschiff­es gesichtet worden sein. Das mit dem Meteoriten kann ich schon eher nachvollzi­ehen.

Am Donnerstag stehen Sie beim Wudzdog-Festival in Dornstadt auf der Bühne, mit Band. Was ist Ihrer Meinung nach der Reiz an den kleine- ren Festivals? Oder dürfen es auch mal die großen sein? Hagen: Ich hab ja alles gespielt und bin total geehrt, auf so ein familiäres, gemütliche­s, kleines Festival eingeladen worden zu sein. Groß oder klein, das ist doch ganz egal und so ähnlich wie beim Menschen. Da gibt es kleine und große Menschen, und deshalb ist ja der eine nicht besser als der andere. Ich freue mich riesig, auch auf die Zusammenst­ellung der Acts. Ich finde das toll, dass die Veranstalt­er so alte Künstler eingeladen haben wie mich oder Birth Control (lacht). Also eigentlich finde ich die kleinen Festivals doch viel besssaaaaa­a (da spricht sie deutlich tiefer), und das hat auch nichts mit meinem Alter zu tun. Kleinkunst ist die eigentlich große Kunst.

Der Summer of Love, der in diesem Jahr 50 Jahre zurücklieg­t, hat Sie und Ihre Musik geprägt. Wäre Woodstock damals theoretisc­h eine Option gewesen, angenommen, Sie wären schon ein bisschen älter gewesen? Hagen: (überlegt) Gut, da war ich 15 und habe schon gesungen, aber mein Englisch war noch sehr limitiert. (überlegt weiter). Es ist aber nicht die Frage, wie groß eine Bühne ist, sondern, wie schön es dort sein kann. Ich hab schon vor David Bowie gespielt, und wir waren zusammen im Backstageb­ereich. Und trotzdem habe ich den großen Künstler gar nicht getroffen und auch nicht dessen Hand geschüttel­t. Auch nicht Hallo gesagt, auch wenn ich das damals wirklich gern getan hätte.

Hat Sie die Zeit des Summer of Love geprägt, vielleicht auch gerade weil Sie in der DDR aufgewachs­en sind? Hagen: Ja, so was von. Volle Kanne. Wir haben die Musik oft vom Radio auf Tonband aufgenomme­n, weil es schwer war, an westliche Musik heranzukom­men. Umso mehr haben wir uns deshalb gefreut, wenn wieder Westbesuch gekommen ist, der Vinylplatt­en herüberges­chmuggelt hat. Diese Musik hat Grenzen gesprengt und verbunden. Ich bin ein großer Fan von Janis Joplin, den Rolling Stones oder Jim Morrison.

Beim Berliner Ensemble waren Sie länger unter anderem mit „BrechtLied­ern zur Klampfe“aktiv, wiederum ein ganz anderes Genre als die Festivals. Hagen: Das Brecht-Programm macht Riesenspaß. Wir haben jetzt über mehrere Jahre mehr als 33 Shows gespielt und alles profession­ell aufgenomme­n und mitgefilmt. Da arbeiten wir bereits an einem CD/DVD-Paket mit mehreren CDs. Bei manchen Shows war sogar meine Mutter dabei, ich habe mit Meret Becker Duette gesungen. Campino hatte leider keine Zeit, aber vielleicht bekomme ich ihn ja ins Studio.

Campino hat Sie in einer Dokumentat­ion über die Brecht-Shows am Berliner Ensemble als größtes Stimmwunde­r bezeichnet Hagen: Wenn, dann müsste man ja Gehirnwund­er sagen. Also das ist schon etwas übertriebe­n. Es gibt unglaublic­h viele Sänger und Sängerinne­n, die man als Stimmwunde­r bezeichnen kann. Prince, Michael Jackson, Whitney Houston. Aber wenn man einen Künstler nur auf seine Stimme reduziert, wo bleibt denn da der Geist. So wie bei mir, da werde ich oft als die Schrille bezeichnet. Vielleich könnte man schrille Künstlerin sagen, sonst ist das ja wie ein Schlag ins Gesicht.

Was bekommen die Wudzdog-Besucher am Donnerstag zu hören? Hagen: Die weltbeste Friedens-, Protestroc­k- und Gospelsäng­erin. Am Donnerstag gibt es zum Beispiel von Canned Heat „Let’s Work Together“oder von Lenny Kravitz „We Want Peace“. Das sind meine Lieblingsl­ieder, um das Gefühl zu vermitteln, dass wir zusammen alles erreichen können. Ich bin die Einzige, die diese politisch brisante Mischung liefert, von Leidenscha­ft bis Rock ’n’ Roll. Ich singe Elvis, ich singe Janis Martin. Bei mir wird man dermaßen befriedigt (lacht erschrocke­n). Also es gibt auf jeden Fall eine gute Portion an positiven Vibratione­n …

… und Liebes- und Freiheitsl­ieder? Hagen: Im Grunde genommen geht es mir um Liebe, Solidaritä­t und Frieden. Da bin ich ganz die Tochter meines Vaters, eines Folteropfe­rs der Nazis, und die Stieftocht­er von Wolf Biermann, wobei väterliche­r Freund besser klingt. Ich finde das Wort Stiefvater komisch. Ich bin sehr froh, dass er im Leben meiner Mutter und mir aufgetauch­t ist. Von ihm habe ich auch den Zugang zu Bertold Brecht und dem Berliner Ensemble bekommen. Welcher Teenager hat das heute schon.

Der Geist der Liebe reist also am Donnerstag nach Dornstadt? Hagen: Der allmächtig­e Geist der Liebe bringt mich nach Dornstadt und verteilt sich hoffentlic­h auf so viele Menschen wie möglich. Wir bringen wunderschö­ne Lieder mit. Eine Stange Rock ’n’ Roll, tolle Songs aus den 70ern, wie schon gesagt. Wir werden Dornstadt rocken, bis tief in die Seelen.

Das Interview führte Verena Mörzl

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Die Sängerin Nina Hagen steht am morgigen Donnerstag beim Wudzdog Festival in Dornstadt auf der Bühne – plus Band. Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt die 62 jährige Berlinerin unter anderem von ihrer Liebe zu kleinen Festivals.
Foto: Ulrich Wagner Die Sängerin Nina Hagen steht am morgigen Donnerstag beim Wudzdog Festival in Dornstadt auf der Bühne – plus Band. Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt die 62 jährige Berlinerin unter anderem von ihrer Liebe zu kleinen Festivals.

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