„Eine Tafel Schokolade geht immer“
Interview Skispringer Andreas Wellinger über Ernährung, Sommertraining und seine Gedanken in der Luft
Sie haben das Schokofest in Lörrach eröffnet und mussten Kuchen verteilen. Ist das nicht für einen Skispringer ein unangenehmer Termin, Sie müssen ja auf Ihre Figur achten? Wellinger: Das Problem habe ich das ganze Jahr über (lacht). Ich bin aber gerne hier. Ich war schon die letzten beiden Jahre in Bludenz beim Schokofest. Vor zwei Jahren habe ich auch mal eine Werksführung bei Milka gemacht. Der Blick hinter die Kulissen war sehr interessant.
Dürfen Sie auch mal naschen? Wellinger: Mal? Eher dauerhaft!
Das sieht man Ihnen aber nicht an. Wellinger: Ja, es ist gut versteckt.
Wie wichtig ist das Thema Ernährung für Sie als Profisportler? Wellinger: Es ist immer wichtig. Ganz egal, ob das ein Skispringer ist, der sich gesund ernähren und aufs Gewicht achten muss. Oder ob das ein Bobfahrer ist, der deutlich mehr Masse braucht, aber trotzdem seinem Körper die Energie zuführen muss. Ich muss wenig auf mein Gewicht achten, weil ich von meinen Eltern gute Gene mitbekommen habe. Und ich will auch nicht auf irgendetwas verzichten. Es ist einfach der bewusste Umgang mit der Ernährung. Eine Tafel Schokolade geht aber immer.
Mit Martin Schmitt hatten Sie einen bekannten Vorgänger mit Milka-Unterstützung. Sind Sie schon auf seinem sportlichen Level angekommen? Wellinger: Ganz sicher nicht. Er hatte deutlich mehr Erfolge. Martin war Weltmeister und Gesamtweltcupsieger. Auch bei den Weltcupsiegen muss ich mich mit meinen zweien noch strecken. Wenn ich irgendwann nach meiner Karriere sagen kann, ich war so erfolgreich wie Martin, bin ich sehr zufrieden.
Der vergangene Winter war für Sie sehr erfolgreich. Kam das überraschend? Wellinger: Ein Stück weit schon. Ich habe mir erhofft, dass ich noch näher an die Spitze komme. Das Ziel ist immer, über einen längeren Zeitraum auf einem konstanten Niveau zu springen. Das war Anfang des Winters noch eher durchwachsen mit Platz 22 bis 27. Ab Mitte Januar ist der Knoten geplatzt, als fast jeder Wettkampf mit einem Podestplatz endete. Das war für mich selbst überraschend, dass ich so konstant ganz vorne mitspringen kann.
Sie haben auch schon die Schattenseiten erlebt mit einem Sturz 2014 und einer schweren Verletzung. Wie schwer war es, sich wieder zurückzukämpfen? Wellinger: Das gehört dazu. Durch einen solchen Sturz geht es mal weit nach unten. Das ist eine natürliche Kurve eines Leistungssportlers. Nach dem Sturz wieder auf die Schanze zu gehen, war ein komisches Gefühl. Du hattest zwei Monate Pause, du weißt, es funktioniert eigentlich, aber du hast den Sturz noch im Hinterkopf. Ich konnte aber schnell wieder mein Gefühl aufbauen. Im gleichen Winter bin ich noch mit zur WM gefahren. Dadurch habe ich mir wieder Stabilität geholt und war nach dem Sturz besser als zuvor. Durch negative Erfahrungen lernt man mehr als durch positive.
Hatten Sie damals Gedanken ans Karriereende? Wellinger: Nie. Dafür liebe ich den Sport zu sehr. Das ist eine Leidenschaft seit 15 Jahren, die ich von Beginn an hatte. Ich werde schon noch ein paar Jahre dort oben stehen und mich runterstürzen.
Können Sie kurz die Faszination Skispringen beschreiben? Wellinger: Die Faszination des Fliegens ist ein Traum vom Menschen. Wir Skispringer sind dem relativ nahe. Alleine die Kräfte in der Luft zu spüren, ist beeindruckend. Ein Flug auf 245 Meter bringt eine Welle an Gefühlen, die durch den Körper schießen. Ich habe als Kind angefan- gen, seitdem ist die Leidenschaft da und wird hoffentlich lange bleiben.
In den wenigen Sekunden des Flugs, was geht Ihnen da durch den Kopf? Wellinger: Wenig. Der Automatismus läuft. Dadurch, dass die Zeitabläufe so kurz sind, ist die Vorbereitung sehr wichtig. Man muss genau wissen, was will ich jetzt machen, was will ich umsetzen. Dann sind es nur Kleinigkeiten, die man im Flug verändern oder optimieren kann. Man kann nichts erzwingen, es passiert aus der Situation heraus.
Wann wissen Sie, ob ein Sprung funktioniert? Wellinger: Auf einer normalen Großschanze relativ schnell. 30 Meter nach dem Absprung weiß ich, ob ich 120 oder 140 Meter springe. Sofern die Bedingungen stabil sind. Wenn eine Windlotterie dazukommt, ist es anders.
Momentan denken die wenigsten Leute an Skispringen. Bei Ihnen muss das anders sein. Im Sommer werden die Grundlagen für einen guten Winter gelegt. Wellinger: Wir trainieren im Sommer mehr als im Winter, weil die Reisen weniger sind. Im Winter machen wir an einem Sprungtag drei Sprünge. Im Sommer sind es drei Sprungeinheiten pro Tag, wobei wir zwischen fünf und zehn Sprünge machen pro Einheit. Auch die Intensität des Krafttrainings wird erhöht, um die Basis für den Winter zu legen. Ende Juli geht es schon mit dem Sommer-Grand-Prix los.
Gibt es auch mal Zeit für Urlaub? Wellinger: Zwei Wochen im April, das war es.
Wie wichtig ist Ihnen Ablenkung vom Skispringen? Wellinger: Extrem wichtig. Weil Skispringen eine Sportart ist, in der der Kopf entscheidend ist. Da ist Entspannung wichtig. Die erreiche ich durch Surfen oder meine Familie und Freunde. Manchmal ist man froh, wenn man nur einen Tag auf der Couch liegen kann.
Ein Fernstudium haben Sie zudem vor einem Jahr begonnen. Wellinger: Ja, ich studiere Betriebswirtschaftslehre. Da geht es darum, mit ein zweites Standbein aufzubauen, ich muss ja nach meiner Karriere noch 30 Jahre im Berufsleben durchhalten.
Es stehen viele Höhepunkte bevor: Vierschanzentournee, Skiflug-WM in Oberstdorf und Olympia in Südkorea. Bereiten Sie sich auf einen solchen Winter anders vor? Wellinger: Nein, die Vorbereitung ist die gleiche wie immer. Es ist fast unmöglich, sich nur auf den Tag X vorzubereiten. Im Skispringen hängt es von der Tagesform ab, vom Glück und was die anderen machen.
Interview: Marco Scheinhof
Andreas Wellinger, 21, aus Ruh polding wurde 2014 in Sotschi Olympiasieger mit der Mannschaft. In diesem Jahr holte er bei der WM in Lahti einmal Gold und zweimal Sil ber. Privat surft er gerne oder schaut auch mal in der Fußball Bun desliga beim FC Bayern zu.