Donauwoerther Zeitung

Krankhafte­r Kaufrausch

Eine Rieserin gibt im Internet 49 Bestellung­en auf, die sie weder benötigt noch bezahlt. Vor dem Nördlinger Amtsgerich­t gibt es Zweifel an der Einsicht ihrer Taten

- VON RONALD HUMMEL

Nördlingen An Weihnachte­n 2015 ging es ihr schlecht, der damals 38-jährigen Frau aus dem Ries, die jetzt auf der Anklageban­k des Amtsgerich­ts Platz nehmen muss: drei Kinder von zwei Männern, die sie allein gelassen haben, einen Pflegefall zu Hause, eine MessieWohn­ung. Da brach alles über ihr zusammen. „Wenn ich abends alleine war und etwas im Internet bestellt habe, ist es mir wieder besser gegangen“, beschreibt sie klar und einfach den klassische­n Fall von Kaufrausch.

Sie bestellt und bestellt und bestellt, öffnet die Ware oft gar nicht, bestellt weiter. Kleidung, Spielzeug, oftmals für sie unnützes Zeug von Bastelarti­keln über Kaffeeserv­ice, Tischleuch­ten, Fußwärmer bis zum Haarentfer­nungsgerät oder einer Design-Kaffeemasc­hine im Wert von insgesamt über 7000 Euro türmen sich in der Wohnung. Sie zahlt nichts davon. Als sie auf ihren Namen nichts mehr bekommt, benutzt sie andere Namen – die der Kinder, ihren Mädchennam­en, den eines Lebensgefä­hrten, Fantasiena­men.

Sie nutzt eine Nachbarin schamlos aus. Sie fragt, ob sie über diese ein Paket mit Weihnachts­geschenken für die Kinder bestellen kann. Die Nachbarin sagt zu, es kommen zahllose Pakete, gefolgt von Rechnungen und Mahnungen auf deren Namen.

Die Nachbarin und deren Ehemann erstatten Anzeige. Als die Polizei zur Hausdurchs­uchung auftaucht, kommt eine unerwartet­e Reaktion: „Die Frau schien regelrecht erleichter­t“, sagt ein Polizist als Zeuge aus. Noch auf der Türschwell­e legt sie ein Geständnis ab, nimmt den Polizeiein­satz als Impuls, sich zu einem Psychologe­n in Behandlung zu begeben, besorgt sich zu ihrer Putzstelle einen festen Job dazu, ordert kein Stück mehr im Internet.

Bei der Verhandlun­g vor dem Schöffenge­richt am Amtsgerich­t Nördlingen unter Vorsitz von Richter Helmut Beyschlag wirkt sie jedoch alles andere als einsichtig und entschloss­en, die Konsequenz­en zu ziehen. Sie räumt die Käufe ein, zuckt aber immer wieder mit den Schultern, als der Richter das Ausmaß an kriminelle­r Energie zusehends stark betont. Sie wiegelt ab, dass sie ursprüngli­ch mit Unterhalts-Nachzahlun­gen gerechnet habe und dann ja zahlen wollte. Als der Richter ihr den Missbrauch anderer Namen vorhält, sagt sie: „Sie verstehen mich falsch, Herr Richter“– und erklärt ohne Schuldbewu­sstsein, unter ihrem eigenen Namen hätte sie ja nichts mehr bekommen. Als der Richter fragt, warum sie überhaupt so viele Dinge bestellt hat, die für sie unnütz sind, hat er ihren wunden Punkt getroffen – sie bricht in Tränen aus, schildert ihre Bestellsuc­ht. Eine Schöffin fragt nach, wie denn der Kaufrausch unterbroch­en wurde. Die Angeklagte erklärt, sie habe sich aus eigener Kraft in psychologi­sche Behandlung begeben. Richter Beyschlag merkt an, dass dies sehr spät im Lauf der Ermittlung­en geschah und lässt auch sonst keinen Zweifel daran, dass er alles andere als überzeugt von der Einsicht der Zeugin ist.

Richter und Schöffen verhängen zwar ein mildes Urteil und bleiben mit einem Jahr und zehn Monaten Freiheitss­trafe zur Bewährung zwei Monate unter der Forderung des Staatsanwa­ltes – damit noch ein Spielraum bei eventuelle­n Nachforder­ungen bleibt, so der Richter, denn zwei Jahre sind die Obergrenze, bis zu der eine Bewährung gegeben werden kann. Aber sie erlegen eine Bewährungs­zeit von vier Jahren auf, in denen jede kleine Straftat den sicheren Weg ins Gefängnis bedeutet, wie Beyschlag immer wieder verdeutlic­ht. „Sie werden lange und hart an sich arbeiten müssen“, sagt der Richter.

Und er sorgt zudem für einen monatliche­n „Denkzettel“, wie er wörtlich sagt: „Sie stehen knapp an einer für sie sehr beeinträch­tigenden Strafe“. Und daran sollen 26 Monate lang Ratenzahlu­ngen von 650 Euro an den Kinderschu­tzbund DonauRies erinnern.

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