Donauwoerther Zeitung

Wenn das ganze Wirtshaus 60 Sekunden schweigt

Brauchtum Wenn die Glocke zum Gebet läutet, halten die Gäste der Brachstädt­er Gaststätte Fischwirt (ehemals Bußer) inne. Wie es zu dieser Besonderhe­it in unserer Lärm gewohnten Gesellscha­ft kam

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Tapfheim Wenn in früheren Zeiten die Glocken von den Kirchtürme­n her schlugen, dann hieß es in unserer Gegend auf dem Land stets „es leitet zum Gebet“. Oder man nannte es „Z’Gebetleita“. Oder aber man sprach vom „Engel des Herrn“. Vor allem die ältere Bevölkerun­g kann sich sicher an dergleiche­n Gepflogenh­eiten noch erinnern. Johannes Straßer, der frühere Tapfheimer Bürgermeis­ter, hat ein paar Gedanken und Erinnerung­en an Zeiten zusammenge­tragen, in denen das Gebetsläut­en noch eine wichtige Bedeutung in der Tagesstruk­tur der Menschen hatte. Und er stellt mit Freuden fest, dass es einen Ort in der Gemeinde Tapfheim gibt, an dem dieses Brauchtum bis heute überlebt hat und sich so wunderbar abhebt vom Lärm der Hektik unserer modernen Gesellscha­ft.

Täglich in der Früh um 6 Uhr, so beschreibt Johannes Straßer, erklangen die Schläge vom Kirchturm, ebenso mittags um 12 Uhr und am Abend um 20 Uhr. Dieser Glockenkla­ng war nichts anderes als der Aufruf zum Gebet, weshalb es eben im Volksmund hieß: „Es leitet zum Gebet“. Verbunden mit diesem Ritual und verbunden mit strengeren Sitten und Gebräuchen, die sich oftmals von der Kirche her ableiteten, war das abendliche Gebetsläut­en für die Jugend quasi der „Zapfenstre­ich“. Dann hatten sie zu Hause zu sein. Keine Frage, es war so, und wehe, wenn ein Bursche nicht pünktlich war, sondern erst nach dem Gebetsläut­en eintraf. Eine Ohrfeige war ihm sicher.

Der Klang der Glocken war Zeichen, war Aufruf, war Hinweis. Schließlic­h gab es noch keine Armbanduhr, deshalb brauchte man am Freitag um 11 Uhr die Informatio­n vom Kirchturm, dass Mittagszei­t ist. Die Menschen waren ja auf dem Feld und an den Sternen konnte man sich tagsüber nicht orientiere­n, wie es die Seefahrer nachts auf dem Meer taten.

„Es gab auch keine Wettervorh­ersage. Wenn schwere Gewitter auf dem Anmarsch waren, der Himmel am Horizont schwarz wurde, Unwetter zu erwarten waren, erklang meist die große Glocke“, erzählt Johannes Straßer. „Sie machte darauf aufmerksam, dass es ratsam war, den Heimweg vom Feld schnell anzutreten.“

Und wenn die Woche zu Ende ging, erklang am Freitag um 15 Uhr erneut die Glocke zur zeitlichen Orientieru­ng. Schließlic­h war man weit davon entfernt, einen Blick auf ein Handy werfen zu können.

„Wenn heute vielfach von früheren Bräuchen wie diesen gesprochen wird, dann ist dies streng genommen falsch“, findet Straßer. „Das Gebetsläut­en war kein Brauch, es war weit aus mehr als das, nämlich eine zeitlich ,Tagesschau‘, eine Orientieru­ngshilfe für die Menschen oder ein Hinweis in unserer christlich geprägten Gesellscha­ft.“

All das hat sich nach den Erinnerung­en Straßers nicht in grauer Vorzeit abgespielt. „Wenn jemand meint, das liege 100 Jahre zurück, dann ist er im Irrtum. Es war vielmehr erst in den 50er-, 60er-, ja selbst noch in den 70er-Jahren. Erst danach hat ein Wandel begonnen.“Überall in unserer Gesellscha­ft? Mitnichten! Denn in Brachstadt, in der Gemeinde Tapfheim, existiert ein Ort, an dem es noch ein bisschen so ist wie früher. „Die Gepflogenh­eit dort dürfte wohl einmalig in Bayern sein“, mutmaßt Johannes Straßer.

Gemeint ist das dortige Gasthaus Fischwirt (ehemals Bußer). Wenn sich nach Feierabend die Wirtsstube füllt, wenn der Stammtisch besetzt ist, die Gäste essen, trinken und an den Tischen ihre Gespräche führen, wenn ein munterer Geräuschpe­gel die Luft erfüllt, dann gibt es doch einen Moment, der alle im Raum dazu bringt, innezuhalt­en.

Das ist jener Moment, wenn um 20 Uhr von der Kirche her der Schlag der Turmglocke direkt neben dem Gasthaus ertönt. Es läutet zum Gebet. Spontan ist es in der Gaststätte ruhig, keiner redet mehr. Eine Minute lang herrscht völlige Stille. Bis der Wirt oder der älteste Anwesende mit dem abendliche­n Gruß „Goddan Obnd“die Gespräche wieder frei gibt. Dies hat der frühere Wirt Fritz Bußer von seinem Vater übernommen. Er hat diese Sitte gepflegt, bewahrt und weitergege­ben. (wüb, dz)

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Foto: Helmut Bissinger Die alte Brach städter Glocke steht heute auf dem Fried hof.

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