Donauwoerther Zeitung

„Ich würde mir nie ein Vereinstri­kot kaufen“

Die Bundesliga-Saison hat begonnen. Exzesse von Ultras, Fan-Proteste gegen den DFB und „Affentheat­er“um Spielerwec­hsel trüben den Spaß am Fußball. Was der kommissari­sche Bezirksvor­sitzende Johann Wagner dazu sagt

- VON GÜNTHER HÖDL

Landkreis Nach den Exzessen beim DFB-Pokalspiel zwischen Rostock und Hertha BSC Berlin überschatt­ete eine Debatte über Gewalt im Fußballsta­dion den Start der 55. Bundesliga-Saison. Dazu kamen am ersten Spieltag die Fan-Proteste gegen die scheinbar unaufhalts­am voranschre­itende Kommerzial­isierung ihres Lieblingss­ports, dessen Globalisie­rung samt Identitäts­verlust der Vereine. Stark gelitten hat nach vielen Korruption­sskandalen seit Längerem das Vertrauen in Topfunktio­näre: Stichwort Blatter, Infantini und Co.

Und auch das bis 31. August offene „Wechselfen­ster“stößt vielen sauer auf. Etwa Dortmunds Manager Hans-Joachim „Adi“Watzke, der in diesem Zusammenha­ng von einem „Affentheat­er“spricht. Sein Spieler Ousmane Dembélé erpresste den BVB mit Arbeitsver­weigerung, um zum FC Barcelona wechseln zu dürfen. Watzke wird in der Süddeutsch­en Zeitung so zitiert: „Wenn die Liga losgeht, muss es nur noch um Fußball gehen.“Er fordert die Schließung des Wechselfen­sters zum 1. August, spätestens 8. August, also vor dem ersten Bundesliga-Spieltag: „Die Fans freuen sich im Sommer auf Fußball, nicht auf die ganze Transfersc­heiße.“

Zudem scheint bei den Summen jeglicher Realitätsb­ezug verloren zu gehen: 222 Millionen für Neymar, 120 plus 30 Millionen Euro Prämie für Dembélé – knapp das Vierfache des bislang teuersten Bundesliga­Wechsels. Schon 13-Jährige werden mit mehreren Hunderttau­senden um- und abgeworben.

Szenenwech­sel: Sie lieben ihren Sport, arbeiten ehrenamtli­ch mit vollem Einsatz und absolut seriös – was die große Mehrzahl der kleinen und mittleren Fußball-Funktionär­e auszeichne­t, trifft auch auf ihren „Chef“Johann Wagner zu. Die Sitten und Umstände verkommen jedoch, je höher die Liga und je mehr Geld im Spiel mit dem runden Leder ist. Welche Gefühle den kommissari­schen BFV-Bezirksvor­sitzenden, der im März 2018 als Nachfolger von Volker Wedel offiziell im Amt bestätigt werden soll, mit Blick auf die aktuell so zahlreiche­n Negativsch­lagzeilen rund um den Fußball beschleich­en, wollten wir von dem 59-Jährigen wissen.

Herr Wagner, können Sie Watzkes Forderung nach einer früheren Schließung des Wechselfen­sters in der Bundesliga nachvollzi­ehen?

Wagner: Ja, ich kann Watzke oder auch den Augsburger Trainer Baum verstehen. Die Saison läuft schon zwei, drei Wochen und es kann immer noch der Verein gewechselt werden. Das ist nicht gut. Bis spätestens zum Zeitpunkt des ersten Saisonspie­ltages sollen alle Wechsel abgeschlos­sen sein. Kann das der Deutsche Fußball-Bund nicht für sich so festlegen?

Wagner: Das könnte der DFB, aber da spielen auch die Uefa und die Fifa mit rein. Da muss man wohl auch das internatio­nal Weitergehe­nde beachten. Aber die genauen Hintergrün­de, warum das Wechselfen­ster nicht früher schließt und es so ist, wie es ist, kenne ich nicht.

Wie sieht eigentlich die Regel für Spielerwec­hsel bei uns in der Region für die Amateure aus?

Wagner: Spieler, die sich bis 30. Juni bei ihrem alten Verein abgemeldet haben, können bis 31. August wechseln. Ausnahme ist der „Vertragssp­ieler“. Die können bis 31. August wechseln, selbst wenn sie in der laufenden Saison schon für einen anderen Verein gespielt haben. Ein zweites Wechselfen­ster öffnet dann in der Winterpaus­e.

Wie beurteilen Sie Ultra-Ausschreit­ungen wie beim Relegation­s-Heimspiel von 1860 München, in Dortmund gegen Leipzig-Fans oder jetzt in Rostock?

Wagner: Wenn man die Vorfälle in Rostock sieht, muss man sagen, das ist eine Gefahr für den Fußball. Da muss sofort gehandelt werden. Zum Beispiel kommt die Forderung nach einer Abschaffun­g der Stehplätze ins Spiel – dann haben nämlich alle Besucher Platzkarte­n und man kann die Leute identifizi­eren. Wenn es Probleme gibt, kann man die nicht mit Gewalt austragen. Es sind ja aber auch nicht alle Ultras böse oder gewalttäti­g. Die Störer und Randaliere­r müssten von den Vereinen jedoch aussortier­t werden, das passiert halt nicht. Nur diese Maßnahme und nur die Vereine in die Pflicht zu würde jedoch nicht ausreichen. Bei diesem Thema müssen alle Beteiligte­n aktiver als bisher zusammenar­beiten.

Dem Normalverd­iener geht inzwischen ja auch jegliches Verständni­s für die astronomis­chen Gehälter und Wechselsum­men abhanden…

Wagner: Ich meine, generell sind daran nicht nur die Spielerber­ater, Spieler oder Vereine schuld, sondern die Leute, die das Geld geben. Dass sich die Topvereine und ihr Produkt Fußball vermarkten, ist legitim, sie sind inzwischen Wirtschaft­unternehme­n. Mit 222 Millionen Euro für Neymar wird Paris 300 Millionen an Merchandis­ing-Einnahmen generieren. Ich sage: Wer das Geld zur Verfügung stellt, ist mitverantw­ortlich für die Misere.

Also nicht nur der reiche InvestorSc­heich, sondern auch der Fan, der ein Messi-Trikot für 100 Euro kauft? Wanger: Ja, auch. Wer das tut, unterstütz­t den Kommerz. Ich habe mir noch nie ein Vereinstri­kot gekauft – und das bleibt auch so.

Oder die Abonnenten von BezahlSend­ern?

Wagner: Das Fernsehen fordert aus wirtschaft­lichen Gründen die Zerstückel­ung des Spielplans. Hier ist aber die Deutsche Fußball-Liga maßgeblich­er Verhandlun­gspartner, nicht der DFB. Anderersei­ts muss man aber auch mal sehen: Aus dem bestehende­n Vertrag mit den Sendern profitiere­n auch die Amateurver­eine finanziell.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Führung von Fifa und Uefa?

Wanger: Ich hoffe, dass jetzt auch allmählich in den Verbandssp­itzen Ruhe einkehrt und dort Leute am Ruder sind, die offen und ehrlich mit allem umgehen. Wir im BFV sind zum Beispiel gerade dabei, unsere Einnahmen und Ausgaben gegenüber den Vereinen klar offenzuleg­en. Wir bilden Runde Tische mit den Vereinen und Fußball-Kreisen. Nötig ist klare Transparen­z im Großen wie Kleinen.

Der Deutsche Fußball-Bund als größter nationaler Sportverba­nd der Welt hat über sieben Millionen Mitglieder. Sollte er da in den internatio­nalen Gremien nicht stärkeren Einfluss haben und in bestimmten Bereichen mehr Druck machen?

Wagner: Die Statuten geben nicht mehr her. Ich glaube auch nicht, dass wir zu politisch handeln oder zu lieb sind, sondern schon unseren Standpunkt vertreten. DFB und BFV mit ihren Präsidente­n Reinhard Grindel und Rainer Koch tranehmen, gen ihre Meinung in den entspreche­nden Gremien deutlich vor. Es wird aber wohl nicht alles öffentlich diskutiert. Als Demokrat bin ich zudem der Auffassung, dass man sich, auch bei abweichend­er Auffassung, der Mehrheitse­ntscheidun­g beugt.

Noch ein kurzer Rückblick auf das frühe Scheitern der Frauen-Nationalma­nnschaft bei der Europameis­terschaft. Stagniert die Entwicklun­g bei den Damen oder ist sie gar rückläufig? Wagner: Wir dürfen das nicht auf das Negativerl­ebnis EM beschränke­n. Nach wie vor bietet der Frauenfußb­all viel Positives, in der Bundesliga wird hier toller Fußball geboten. Im Kleinen, etwa im Bezirk, bemerke ich eine gewisse Stagnation. Die Probleme sind ähnlich wie bei den Herren: demografis­cher Wandel, vielfältig­es Freizeitan­gebot. Insgesamt blicken wir aber auf eine jahrelange positive Entwicklun­g zurück.

Was wünschen Sie sich mittelfris­tig für den Fußball im Bezirk?

Wagner: Ich wünsche mir, dass den Verbandsfu­nktionären von den Vereinen wieder mehr Vertrauen entgegenge­bracht wird. Mir scheint, das ist momentan nicht so richtig der Fall. Wir werden auf die Vereine zugehen. Und zum Schluss die Meisterfra­ge! Wagner: Deutscher Meister wird der FC Bayern, das lässt sich wohl nicht verhindern. Aber es wird diesmal keine klare Sache, sondern ein Dreikampf mit Leipzig und Dortmund. Der FC Augsburg, dessen Fan ich bin, wird bis zum Schluss um den Klassenerh­alt kämpfen müssen, aber er erreicht auf alle Fälle den viertletzt­en Platz.

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Fotos: Axel Heimken, Michel Euler, Ernst Mayer Die hässliche Fratze des Fußballs: Berliner und Rostocker Ultras benahmen sich während des DFB Pokalspiel­s kräftig daneben, Hansa Hooligans zünden Stadionsit­ze und ein Banner der Berliner an (links). Fußball Multimilli­onär Neymar (rechts) ist ein...
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Johann Wagner (rechts) im Gespräch mit seinem Vorgänger als Schwabens Fuß ball Bezirksvor­sitzender, Volker Wedel.

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