Sonderausstellung im Münster
Zwei Bombenangriffe schlugen im April 1945 tiefe Wunden im Herzen Donauwörths. Wie sie verheilt sind, zeigt eine Ausstellung im Münsterturm
Als Wolfram Proeller am Mittwoch des 11. April 1945 durch die Trümmer der Donauwörther Altstadt radelte, hätte er eigentlich gar nicht dort sein dürfen. An jenem hellen Frühlingstag, als der erste von zwei Bombenangriffen der Alliierten in nur acht Tagen Donauwörth in Schutt und Asche legte, sollte der Soldat Proeller streng genommen im Lazarett in Dillingen liegen und seine Kriegsverwundung auskurieren. Doch der damals 21-Jährige hatte die Krankenstation verlassen, um seine Eltern in der Sallingerstraße in Donauwörth zu besuchen. Von dort aus erlebte er mit, wie B17-Bomber der 3. USamerikanischen Air Force-Division ihre Bombenlast über der Stadt entluden. Ziel waren der Bahnhof, die Eisenbahn– und Straßenbrücke. Sie wüteten eine Viertelstunde lang. Dann war nichts mehr wie zuvor. Der Altstadtkern, Reichs- und Kapellstraßen waren am stärksten betroffen. 212 Menschen waren tot.
Als der Bombenhagel vorüber war, radelte der Soldat Wolfram Proeller nach Riedlingen, um dort in einem Geschäft nach dem Rechten zu sehen. Unterwegs machte er Halt bei einer Einheit der deutschen Wehrmacht, bei den sogenannten Nebelwerfern. Und dort riskierte er etwas Gewagtes. Etwas, das ihn den Kopf hätte kosten können, was in- des der Nachwelt die seltenen Aufnahmen der zerbombten Stadt Donauwörth bescherte, die noch heute von großer Bedeutung sind. „Fotografieren war streng verboten“, weiß Stadtarchivar Dr. Ottmar Seuffert, „doch Wolfram Proeller besorgte sich heimlich bei dieser Einheit ein Stück Film und machte mit seiner Kamera Aufnahmen der Trümmer.“Proeller hat in Tagebuchaufzeichnungen seine Erlebnisse jener Zeit festgehalten.
Zerstörte Häuser, wohin das Auge schaut. Ganze Straßenfluchten, die dem Erdboden gleichgemacht wurden. Gebäude, deren Mauern und Dachstühle in sich zusammengestürzt sind wie Kartenhäuser ... Stadtarchivar Seuffert hat sie zu einer besonderen Ausstellung zusammengefügt, die es eigentlich schon seit Mitte der 90er-Jahre gibt, die jetzt aber neu eröffnet und um einige Bilder angereichert wurde.
Sie befindet sich an einem außergewöhnlichen Ort, der durch seine Lage Rückschau wie Ausschau gleichermaßen ermöglicht: im Zimmer ganz oben auf dem Turm des Liebfrauenmünsters. Dort, im Rund des Raums, hängen 16 Fotografien an den Wänden – just neben Fenstern, die den Blick nach draußen auf dieselben Punkte Donauwörths freigeben, wie sie auch auf den alten Aufnahmen zu sehen sind. Damals und Heute im direkten Vergleich. Dank dieses dramaturgischen Kunstgriffs sieht der Besucher Zerstörung und Wiederaufbau dicht nebeneinander. Sechs weitere Fotos in der Mitte des Zimmers runden die Eindrücke ab.
Die Ausstellung ist erst seit Kurzem wieder für die Öffentlichkeit freigegeben, nachdem die Brandschutzmaßnahmen abgeschlossen sind. Das Fehlen einer Fluchttreppe im engen, verwinkelten Turm wurde durch die Installation einer Fluchtrutsche ausgeglichen. So gibt es nun wieder Führungen, die nicht nur zur berühmten Pummerin, der großen Münsterglocke und ihren kleinen Schwestern führen, sondern eben auch in die Fotografie-Ausstellung.
Stolz ist Ottmar Seuffert auch auf den Fund weiterer Fotos, die zwischen den beiden Luftangriffen vom 11. und 19. April 1945 entstanden sein müssen. Dieser Fund kam ebenso zufällig zustande, wie er auch spektakulär ist. Im Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege fanden sich nämlich 2005 Negativ-Streifen, die beschriftet waren mit Hatzold I, II und III. Doch lange Zeit wusste niemand, wer jener Hatzold gewesen sein soll. Seuffert forschte nach – zunächst ohne Erfolg. Bis ihm ein glücklicher Umstand zur Hilfe kam. Der Teilnehmer einer Stadtführung konnte die Verbindung zu einem Aichach- Friedberger Fotostudio gleichen Namens herstellen. Seufferts Recherchen stellten eine Verbindung zum Archivfotografen Hatzold her, der aus Magdeburg stammte, dort im Zweiten Weltkrieg ausgebombt wurde und den es deshalb nach Nordschwaben verschlug. Auf diese Weise haben erst vor wenigen Jahren die bedeutenden Aufnahmen, der Name des Fotografen und die Gesamtumstände zusammengefunden.
Besucher, die die 218 Stufen des 57 Meter hohen Münsterturms erklimmen und sich in der Türmerstube und auf deren Aussichtsgalerie wiederfinden, haben also Gelegenheit, das brachiale Ausmaß der Zerstörung in jenen unschätzbaren Zeitdokumenten zu betrachten. Soweit der Blick zurück. Der Blick nach vorne durch die Butzenscheiben der Fenster zeigt dann die Realität anno 2017. Und die lässt hoffen, dass nichts jemals wieder eine solche Zerstörung provoziert.
Im Herbst enden die diesjährigen Führungen auf dem Münsterturm. Zur Besichtigung der Ausstellung gibt es nur noch einige wenige Termine: Samstag 14., und Sonntag, 15. Oktober, jeweils um 12.30, 13.30, 14.30 und 15.30 Uhr. Die Führung dauert 45 Minuten, je Grup pe sind maximal 15 Personen möglich. Mindestalter: acht Jahre. Weitere Informa tionen unter Telefon 0906/789151.