Eine einzigartige Erfolgsgeschichte
Vor 15 Jahren wurde erstmals eine Aortenklappe in Kathetertechnik statt in einer offenen Operation eingesetzt. Seitdem ging es mit TAVI, so die Abkürzung für die Methode, steil bergauf
Augsburg Vor 15 Jahren begann eine Revolution in der Kardiologie: Erstmals wurde eine neue Aortenklappe in Kathetertechnik statt in einer offenen Operation implantiert. Es war der Beginn einer einzigartigen Erfolgsgeschichte, die Behandlungszahlen gingen in den vergangenen Jahren stetig nach oben. Wo steht TAVI, die „Transcatheter AorticValve Implantation“, heute? Ein Gespräch mit Professor Wolfgang von Scheidt, Kardiologe und Chefarzt der I. Medizinischen Klinik am Augsburger Klinikum.
TAVI wurde vor 15 Jahren erstmals beschrieben. Wann kam es in die Kliniken? von Scheidt: Alain Cribier in der Normandie war ein Pionier auf dem Gebiet. Wir – Herzchirurgen und Kardiologen vom Klinikum Augsburg – haben im Jahr 2008 bei ihm hospitiert und gelernt, wie man Herzklappen in Kathetertechnik einsetzt. In den Jahren 2007/2008/2009 hat die Methode das experimentelle Stadium verlassen, man konnte es vernünftig in den klinischen Alltag integrieren. Hier in Augsburg implantieren wir seit Ende 2008 Aortenklappen auf diese Weise.
Es gibt zwei Möglichkeiten, erkrankte Aortenklappen per Kathetertechnik zu ersetzen: zum einen transapikal, also über die Herzspitze, zum anderen transfemoral, also über die Leistenarterie. Warum? von Scheidt: Die Methode über die Herzspitze ist für Menschen gedacht, die stark verkalkte Gefäße in Becken und Beinen haben, sodass ein Zugang zum Herzen durch diese Gefäße nicht möglich ist. Wird der Katheter über die Herzspitze eingeführt, ist man schon nach acht Zentimetern an der Aortenklappe. Der Nachteil dabei: Es ist doch eine kleine Operation. Bei den Patienten, die transapikal behandelt werden, handelt es sich um das kränkere Patientengut – sie haben meist eine schwere Arteriosklerose. Das erklärt auch, weshalb die Ergebnisse der transapikalen Implantation etwas schlechter sind als die der transfemoralen – es liegt nicht am Eingriff selbst, sondern daran, dass die Patienten kränker sind.
War es anfangs sehr ambitioniert, eine Herzklappe per Katheter einsetzen zu wollen? von Scheidt: Ja. Alain Cribier hat das Ziel als Vision über 20 Jahre hinweg verfolgt und ist lange Zeit dafür belächelt worden. Er hatte schon vorher für eine Innovation gesorgt und Ende der 1980er Jahre erstmals eine Ballonaufdehnung einer verengten Aortenklappe vorgenommen. Er konnte das Ausmaß der Verengung damit halbieren, aber nicht beseitigen. Man hat gesehen, dass man den Kalk an den Klappensegeln mittels Ballon aufbrechen kann, aber nach ein paar Monaten ist die Kalkplatte wieder zusammengewachsen. Wenn man heute eine Aortenklappe per Katheter implantiert, dehnt man die körpereigene Klappe vorher ein bisschen auf, wenn sie sehr verkalkt ist.
Was waren anfangs die größten Probleme bei TAVI? von Scheidt: Die Größe der Schleuse war zunächst das größte Problem. Die Schleuse ist ein Plastikschlauch, der bis zur Bauchschlagader vorgeschoben wird und der „Arbeitskanal“für den Katheter ist. Sie hatte anfangs einen Durchmesser von 7,5 bis acht Millimetern, was bedeutete, dass die Leistengefäße einen Durchmesser von acht bis neun Millimetern haben mussten. Heute sind die Schleusen mit einem Durchmesser zwischen 4,6 und 5,3 Millimetern deutlich kleiner. Damit kann man die meisten Patienten über die Leistengefäße behandeln, und die transapikale Methode ist in den Hintergrund gerückt. Ein zweites Problem war die genaue Berechnung der benötigten Klappengröße. Die neue Klappe kommt ja in die verkalkte Klappe hinein, sie wird in den Kalk hineingepresst, das ist ihre einzige Verankerung. Ist sie zu klein, kann sie verrutschen, ist sie zu groß, zerreißt sie den Klappenring. Das heißt, bei einer falschen Größenauswahl können Katastrophen passieren. Heute wird die Klappengröße per CT und spezieller Nachberechnung bestimmt.TAVI ist sehr viel schonender und einfacher geworden, auch für die Durchführenden.
Sind auch die Implantate selbst im Lauf der Jahre allmählich besser geworden? von Scheidt: Ja, sie wurden immer weiter verfeinert. Es gibt inzwischen neben ballonexpandierenden Klappen auch selbstexpandierende Klappentypen, die man am schlagenden Herzen positionieren kann, ohne dafür den Blutdruck stark absenken zu müssen. Grundsätzlich besser sind sie deshalb aber nicht. Alle verfügbaren Klappen sind hervorragend und haben ihre Vor- und Nachteile.
Im Rückblick – handelt es sich bei TAVI um eine einzigartige Erfolgsgeschichte? von Scheidt: Ja, absolut. Wir haben hier in Augsburg im Dezember 2016 die tausendste Klappe per Katheter eingesetzt. In exzellenter Kooperation mit den Herzchirurgen werden jährlich rund 250 Klappen implantiert, transfemoral und transapikal – das ist viel. Komplikationen gibt es nur wenige. Wenn man die Patienten nach der Behandlung sieht, ist das ein Traum. Kürzlich wurde eine Patientin unmittelbar nach dem Ein- griff wach und meinte, sie hätte jetzt gerne eine Halbe Bier. Das kann man nicht mit einer offenen Operation am Herzen mit Hilfe der HerzLungen-Maschine vergleichen.
Wie belastend ist TAVI für den Patienten? von Scheidt: Transfemoral ist der Eingriff minimalistisch, der Patient braucht keine Vollnarkose, sondern nur ein leichtes Schmerzmittel und eine minimale Sedierung. Es sind drei Punktionen in der Leiste nötig, die meist nicht chirurgisch genäht werden müssen. Die Dauer des Eingriffs liegt im Durchschnitt bei 50 Minuten, danach wird der Patient 24 Stunden intensiv überwacht. Fünf bis sechs Tage später kann er entlassen werden. Beim transapikalen Vorgehen braucht er eine Vollnarkose und darf nach sechs bis acht Tagen wieder heim. Es werden aber nur 20 Prozent der TAVI-Patienten transapikal, also über die Herzspitze, versorgt.
Ursprünglich war TAVI ja nur zur Behandlung von Hochrisiko-Patienten gedacht. Wird die Indikation angesichts der guten Ergebnisse jetzt ausgeweitet? von Scheidt: Angefangen hat man mit Patienten, die für eine Operation nicht in Frage kamen – wie etwa der 90-jährige multimorbide Patient mit einem inakzeptabel hohen OPRisiko. Später hat man gesehen, dass TAVI auch bei einem mittleren Risiko mindestens genauso gut abschneidet wie die Operation. Sowohl bei hohem als auch bei mittlerem Risiko ist inzwischen klar, dass TAVI eine brillante Alternative zur Operation ist. Neue Leitlinien empfehlen, Menschen über 75 Jahre mit hohem oder mittlerem Operationsrisiko bevorzugt mit TAVI zu behandeln! Allerdings wurden die Studien an älteren Menschen gemacht, und man darf nun nicht sagen, dass ein 60-jähriger Patient mit mittlerem Risiko auch ein Superkandidat für TAVI ist. Denn an dieser Altersgruppe wurde die Methode noch nicht geprüft. Man weiß nicht, ob die Klappen genauso lange halten wie wenn man sie operativ eingesetzt hätte. Nach allem, was man bislang weiß, ist das so, aber hundertprozentig weiß man es nicht.
„Alle verfügbaren Klappen sind hervorragend und haben ihre Vor und Nachteile.“Prof. Wolfgang von Scheidt
Würden Sie sagen, dass TAVI eine Revolution ist in der interventionellen Kardiologie? von Scheidt: Ja, die Revolution Nummer eins. Aber es gibt weitere sehr erfolgreiche Verfahren: etwa den interventionellen VorhofohrVerschluss bei Patienten mit Vorhofflimmern, die ja stark schlaganfallgefährdet sind und üblicherweise Blutverdünner nehmen müssen. Dabei verschließt man bei Patienten, die mit der Blutverdünnung Probleme in Form von Blutungskomplikationen haben, das linke Vorhof-Ohr, in dem sich 90 Prozent aller Gerinnsel bilden, mit einer Art Stöpsel. So bleibt ihnen eine lebenslange Blutverdünnung erspart.