Donauwoerther Zeitung

Das Warten auf den „Mann im Ohr“

Seit dieser Spielzeit gibt es in der Bundesliga den Videobewei­s. Wirklich zufrieden scheint aber niemand zu sein. Wie Funktionär­e aus der Region über das Hilfsmitte­l denken

- VON FABIAN KLUGE

Donauwörth Es läuft das WM-Finale 2014. 112 Minuten sind gespielt, als Mario Götze das Siegtor schießt. Gefühlt ganz Deutschlan­d liegt sich in den Armen, ekstatisch­e Freude, als der Ball die Linie überquert. Man stelle sich vor, dass Millionen von Fußballfan­s nicht jubeln, schreien, weinen – sondern auf ein Ohr starren. Nämlich auf das von Schiedsric­hter Nicola Rizzoli aus Italien. Bekommt er vielleicht ein Signal des Videoassis­tenten? War irgendetwa­s beim Tor nicht in Ordnung? War es Handspiel oder Abseits?

Gegner des Videobewei­ses, die sich in den vergangene­n Wochen vehement beschwert haben, monieren genau das: Die Emotionen beim Spiel gehen verloren. Zugegeben: Bis zur nächsten Fußball-Weltmeiste­rschaft dauert es noch ein gutes halbes Jahr. Doch auch in Russland soll der Videobewei­s zum Einsatz kommen. Die bisherige Testphase in der Bundesliga stiftet gefühlt mehr Verwirrung als Klarheit – so lauten zumindest die Stimmen der Kritiker. Wann soll der Assistent in Köln genau eingreifen? Kaum vergeht eine Woche, ohne dass die Vereine ein neues Rundschrei­ben vom Deutschen Fußball-Bund erhalten.

Zu allem Überfluss musste der Videobewei­s-Chef Hellmut Krug seinen Posten abgeben: Es standen Vorwürfe im Raum, dass er Schalke 04 bevorzugt und den Videoassis­tenten in Köln beeinfluss­t haben soll. Ist das Experiment also bereits gescheiter­t oder wäre der Aufschrei nicht viel größer, wenn ein WM-Finale oder der Abstiegska­mpf durch ein irreguläre­s Tor entschiede­n würde? Wir haben uns bei Schiedsric­htern und Trainern aus dem Landkreis umgehört, was sie zur aktuellen Debatte sagen.

Jonathan Schädle, Sportrefer­ent der Stadt Donauwörth und selbst Schiedsric­hter, ist ein Kritiker des Videobewei­ses: „Grundsätzl­ich ist es schade, dass so viel Zeit bis zu einer Entscheidu­ng verloren geht. Allgemein ist ein Videobewei­s schwierig, weil es im Fußball selten Schwarz-Weiß-Entscheidu­ngen gibt.“Man dürfe den Videoassis­tenten nur bei „1000-prozentige­n Fehlern“hinzuziehe­n. Denn aktuell, so Schädle, sei die Verwirrung groß. Aus Sicht eines Schiedsric­hters kann er dem Videobewei­s aber auch etwas Gutes abgewinnen: „Als Schiri bist du natürlich über jede Hilfe froh, die du bekommst. Im Moment wirken die Unparteiis­chen aber eher verunsiche­rt.“Der WM im kommenden Jahr blickt der 31-Jährige entspannt entgegen: „Ich gehe davon aus, dass die Verantwort­lichen bis dahin eine Linie finden, die zufriedens­tellend ist.“

Karl Schreitmül­ler, Trainer des Bayernligi­sten TSV Rain, ist ebenfalls kein Freund des Videobewei­ses: „Er nimmt den Spielfluss und wirft viele Diskussion­en auf. Dabei lebt der Fußball von TatsachenE­ntscheidun­gen.“Das Eingreifen des Assistente­n in Köln müsse sich auf ein Minimum beschränke­n, so Schreitmül­ler weiter: „Tor, Rote Karte und Abseits. Sonst fordern Spieler immer wieder den Videobewei­s, wodurch es zu Rudelbildu­ngen kommt.“Der 46-Jährige fordert, dass ein Urteil gefällt wird, ob man den Videobewei­s im Fußball haben möchte oder nicht. „Bis zur WM“, hofft Schreitmül­ler, „wird er hoffentlic­h gekippt und kommt nicht mehr zum Einsatz.“

Den Videobewei­s grundsätzl­ich gut findet Wolfgang Beck, Schiedsric­hter-Obmann der Gruppe Nordschwab­en: „Er verfolgt ja schließlic­h den Gedanken, krasse Fehler zu vermeiden. Ich finde es auch gut, dass er bei der WM zum Einsatz kommen soll. Die FIFA wird sicherlich aus den Fehlern des DFB lernen.“Diesem wirft Beck vor, eine klare Definition verpasst zu haben. „Es wird zu viel diskutiert, der Schiedsric­hter auf dem Platz muss der Entscheide­r sein. Fußball lebt von Tatsachen-Entscheidu­ngen. Man muss den Assistente­n eher vorschreib­en, wann sie nicht einzugreif­en haben.“Aber der 47-Jährige kann dem Videobewei­s auch Gutes abgewinnen: „Ein Eingreifen bei Abseits oder Elfmeter finde ich absolut super – da haben die Unparteiis­chen in Köln bessere Hilfsmitte­l.“Als mögliche Verbesseru­ng bringt der Obmann zudem sogenannte „Challenges“ins Spiel. Eine Mannschaft dürfte dann den Videobewei­s anfordern, das ist im Tennis und American Football schon gang und gäbe. „Schiedsric­hter wären dann nicht mehr in der Verantwort­ung.“

 ?? Foto: Gambarini, dpa ?? Der Videobewei­s (hier hält Schiedsric­hter Christian Dingert beim Bundesliga­spiel zwi schen Mönchengla­dbach und Hannover Rücksprach­e mit Köln) sorgt für reichlich Dis kussionsst­off. Auch bei Unparteiis­chen und Trainern in der Region.
Foto: Gambarini, dpa Der Videobewei­s (hier hält Schiedsric­hter Christian Dingert beim Bundesliga­spiel zwi schen Mönchengla­dbach und Hannover Rücksprach­e mit Köln) sorgt für reichlich Dis kussionsst­off. Auch bei Unparteiis­chen und Trainern in der Region.

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