Die wundersame Wandlung des Volkswagen-Konzerns
VW will sich vom Diesel-Sünder zum E-Mobilitäts-Vorreiter entwickeln. Noch lastet die Vergangenheit auf dem Unternehmen
Christen wissen das: Wer glaubt und hofft, führt ein glücklicheres Leben. Aber für viel zu lange Zeit konnte man den Glauben an die Fortschrittlichkeit der deutschen Auto-Bosse verlieren. Zu sehr hielten sie am Althergebrachten fest. Zu zaghaft formulierten sie Konzepte für einen umweltfreundlicheren Verkehr. Immer größer wurden die Autos. Mit immer mehr PS wurden sie aufgerüstet. Damit diese SUVs nicht Unmengen des Klimakillers CO2 ausstoßen und Grenzwerte überschreiten, wurde ausgerechnet der weniger CO2-lastige, dafür aber giftige Stickoxide ausstoßende Diesel zum Umweltauto ausgerufen. Das Lügengebäude brach zusammen. VW erschien als Saulus der Autobranche. Wie die biblische Gestalt einst Büttel römischer Imperialisten war, zeigte sich Volkswagen als willfähriger Diener einer auf kurzfristigen Erfolg ausgerichteten Geschäftspolitik.
Dann wurde einem Mann in Wolfsburg die Macht übertragen, der sie im VW-Imperium unter normalen Umständen nie bekommen hätte: Der Bayer Matthias Müller musste mit dem Konzern durch die Hölle gehen, um vor Weihnachten auf wundersame Weise Zeugnis von seiner offensichtlichen Wandlung vom Saulus zum Paulus abzulegen – und das mit 64 Jahren.
Die Hoffnung stirbt eben doch zuletzt. Wie Paulus zum Missionar Europas wurde, schickt sich der äußerlich einem römischen Imperator nicht ganz unähnliche VW-Chef an, Branche und Politik zu bekehren. Aus Sicht von Daimler und BMW begeht Müller dabei den Sündenfall schlechthin: Er hat sich als Manager geoutet, der glaubt, dass der Diesel-Motor „nicht auf alle Zeiten weiter wie bisher subventioniert werden kann“. Das Geld ist aus Sicht von Paulus Müller, der einst Porsche-Boss war, „sinnvoller in der Förderung umweltschonender Antriebstechniken aufgehoben. Dabei gibt sich der Geläuterte entspannt: Abstriche bei der Diesel-Förderung würde VW aushalten, „ohne gleich Existenzängste haben zu müssen“.
Diesel ist bekanntlich an der Zapfsäule günstiger als Benzin, weil der Kraftstoff subventioniert wird. So ergab eine Anfrage der Grünen an die Bundesregierung, dass sich der Steuervorteil auf mehr als 9,5 Milliarden Euro im Jahr summiert. Doch die Fahrer müssen mehr Kfz-Steuer zahlen.
Das Revolutionäre ist: Müller kann sich vorstellen, das DieselPrivileg schrittweise abzuschaffen, wenn der Staat im gleichen Zug Milliarden etwa in den Ausbau von Ladeplätzen für Elektroautos steckt. Weil aber VW in großem Umfang E-Mobile bauen will und mit einer weiteren rückläufigen Nachfrage nach Diesel-Fahrzeugen rechnet, steuert der Manager aus betriebswirtschaftlichen Gründen um. Vom Saulus zum Paulus wurde er also nicht durch eine ökologische Blitzbekehrung, sondern den Druck, auch künftig den Aktionären auskömmliche Gewinne vorweisen zu können. Dabei hat Müller Kanzlerin Merkel links überholt. Entsprechend verdutzt reagieren die Mächtigen in Berlin. Dort wollen verständlicherweise viele am Diesel festhalten, damit Deutschlands CO2-Bilanz besser ausfällt. Doch sie würde noch vorteilhaftere Werte aufweisen, wenn die Bürger reichlich Elektro-Autos kaufen. Denn die Öko-Flitzer stoßen auch nicht wie Diesel-Fahrzeuge Stickoxide aus, die Menschen krank machen und für tausende Todesfälle verantwortlich sein sollen.
Auf alle Fälle ist VW mächtig genug, um auch bei Rivalen die Saulus-Paulus-Wandlung zu befördern. Revoluzzer Müller kann sich sogar eine überfällige Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen vorstellen. Der Greenpeace-Verkehrsexperte Tobias Austrup kommentiert die vorweihnachtliche VWWunder-Story bissig: „Die Bundesregierung wird ausgerechnet vom größten Dieselbetrüger zum Subventionsabbau angehalten. Das ist etwa so, als würde der Schwarzfahrer den Schaffner bitten, das Ticket zu kontrollieren.“Die VWMetamorphose lässt sich auch freundlicher betrachten: Am Ende setzt sich das Gute durch. Das ist ein kluger VW-Image-Schachzug. Jetzt wissen viele, dass Volkswagen zum Elektro-Riesen werden will. Das ist gut für Deutschland!
Doch noch kämpft Müller mit den Folgen der VW-Saulus-Zeit: Auch mehr als zwei Jahre nach dem Beginn erschüttert der DieselSkandal den Konzern. So hat das Kraftfahrtbundesamt auch beim VW-Geländewagen Touareg wegen unzulässiger Abgastechnik einen Rückruf angeordnet. Allein in Deutschland geht es um 25800 Autos. Müller hat die Hölle immer noch nicht hinter sich gelassen.