Aus (mal wieder) gegebenem Anlass: Ein Porträt unseres Lieblingsfeindes
Gerade erst hat er sich richtig wohlgefühlt. Sich breit gemacht, seinen Triumph über Herrchen oder Frauchen gefeiert und sich im Wohlgefallen gesuhlt wie ein Wildschwein im Schlamm. Damit soll jetzt Schluss sein. Die Jagdsaison auf den inneren Schweinehund ist eröffnet. Doch obwohl das Tier unsportlich ist, am liebsten Chips und Schokolade futtert und sich bevorzugt auf dem Sofa, im Bett oder vor dem Kamin aufhält, ist es nicht zu erwischen. Nur wenige Menschen können Geschichten davon erzählen, wie sie es vertrieben haben. Mit den Beschreibungen ihrer Schlachten gegen das Tier füllen sie Blogs, die sich lesen wie moderne Heldensagen. Die meisten anderen scheitern beim Austreibungsversuch.
Kein Wunder, denn die Tiere sind schwer zu finden – und das, obwohl jeder weiß, wo sie wohnen: in unserem Inneren. Dort verbringen sie ihre Tage damit, ihre Besitzer zu demotivieren und zurückzuhalten. Denn die Tiere sind zwar träge, aber das auch am liebsten in Gesellschaft.
Obwohl also jeder weiß, wo sich der Schweinehund aufhält, hat ihn noch niemand gesehen. Nicht einmal die Helden hängen ihn als Trophäe an die Wand. Doch alle wissen: Es gibt ihn. Nur sein Aussehen ist ein Rätsel.
Manche munkeln, er sei groß, behaart und hässlich. Kommt der Jäger ihm zu nahe, fletscht das Tier die Reißzähne. Schon aus Angst weicht der Jäger zurück. Andere wollen ein kleines, flauschiges Tierchen in ihm erkennen. Große Kulleraugen soll es haben und seine Niedlichkeit gleiche Katzen- oder Hundebabys. Seine Anziehungskraft sei so gewaltig, dass man sich nicht abwenden könne. Verscheuchen lasse sich diese Ausgeburt an Putzigkeit schon gar nicht. Doch egal, ob dämonenhaft oder drollig, allen Exemplaren ist eine hohe Willens- und Widerstandskraft gemein. Und obwohl sie sonst jede Anstrengung meiden, zeigen sie eine enorme Ausdauer, wenn es darum geht, nicht verjagt zu werden.
Nur zu Beginn des Jahres, scheinen sie sich zurückzuziehen. Dann machen die Schweinehunde bereitwillig mit beim Sport, beim Tabak- und Alkoholverzicht. Wirken bereit mehr zu lesen, früher aufzustehen und sich gesünder zu ernähren. Doch das ist nur ein Trick – denn die Tiere sind gewieft.
Schon nach wenigen Wochen schlägt ihr träger Charakter wieder durch. Und je weiter das Jahr voranschreitet, desto mehr verführen sie auch ihre Besitzer zur Trägheit. Dann liegen sie morgens im Bett und flüstern ihnen ins Ohr: „Drück doch noch mal die Schlummertaste, ich bin noch soooo müde!“Auf dem Weg von der Arbeit zum Sport verweigern sie wie Dreijährige in der Trotzphase das Mitkommen: „Wahre Entspannung bietet die Couch, nicht das Laufband“, jammern sie. Im Supermarkt driften sie von der Gemüseabteilung zu Tiefkühlpizza, Schokolade und Chips. Ihr liebster Satz: „Ach, komm, morgen ist auch noch ein Tag. Dann können wir das immer noch machen.“(Das lässt sich wahlweise ersetzen durch Steuererklärung, Badputz, Großeinkauf oder Joggingrunde.)
Am meisten lieben innere Schweinehunde die Weihnachtszeit. Sie schlemmen Lebkuchen und Plätzchen. „Das können wir uns doch leisten. Schließlich ist bald Weihnachten!“, sagen sie dann.Und sie wissen: Zu dieser Jahreszeit müssen sie auf keinen Fall mehr vor die Tür. „Guck dir mal das Schmuddelwetter an. Hier im Kerzenschein ist es doch viel schöner.“Solche Argument setzen sich dann durch. Herrchen und Frauchen folgen brav. Denn jedes Jahr in der Weihnachtszeit offenbart sich: Auch diesmal sind alle Bändigungsversuche fehlgeschlagen. Der Schweinehund macht weiter, was er will. Und nur das.
Heerscharen von Psychologen und Motivationstrainern haben schon versucht, die Besitzern zue ein bisschen Rebellion aufzuwiegeln. Sie predigen: Setzt euch bei der Erziehung des inneren Schweinehunds machbare Ziele. Denkt nicht zu groß. Versucht dem Tier klarzumachen: Ab jetzt gehen wir jeden Mittwoch eine Stunde Schwimmen. Wenn das klappt, belohnt euch – und ihn. Er muss wissen: Für ihn ist es gut, wenn er nach eurer Pfeife tanzt und nicht umgekehrt. Natürlich sollte die Belohnung keine Schokolade sein, das könnte zu Rückschlägen führen. Die Motivationstrainer meinen, den natürlichen Feind der Spezies zu kennen: die Disziplin.
Doch in Wahrheit hasst der innere Schweinehund nur eins: Veränderung. Er will, dass alles immer so bleibt, wie er es kennt. Das ist seine größte Schwäche. Denn schafft es sein Besitzer, aus Sport eine Gewohnheit zu machen, merkt der Schweinehund es gar nicht mehr, dass er Anstrengung eigentlich doof findet. Das Problem: Wer solche Tricks ausprobiert, kommt nicht ohne Bisswunden davon. Aber den Schweinehund zu überlisten, ist leichter, als ihn zu verjagen.