Gefangen im „Wahnsystem“
Der 63-Jährige, der seinen Schwager beinahe mit einem Beil erschlagen hätte, ist schuldunfähig. Er muss dauerhaft in die Psychiatrie
Ingolstadt Der 63-Jährige, der seinen Schwager im März 2017 beinahe mit einem Beil umgebracht hätte, kommt in die Psychiatrie. Das ordnete das Landgericht Ingolstadt am Montag an. Im Übrigen sprach es den wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung angeklagten Ingolstädter frei. Es sei zwar erwiesen, dass er heimtückisch und in Tötungsabsicht gehandelt habe, aber: Der Angeklagte ist schuldunfähig. Der psychiatrische Gutachter hatte ihm eine „wahnhafte Störung“attestiert. Die 1. Strafkammer unter Vorsitz von Landgerichtsvizepräsident Jochen Bösl folgte dieser Einschätzung. Genau wie Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung. Die hatten vergangene Woche alle seine Einweisung in die Psychiatrie beantragt. Er sei auch für die Allgemeinheit gefährlich.
Wie berichtet, ist Hintergrund der Tat ein Familienstreit: Nach einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung hätte der Angeklagte schließlich am Tag nach der Beilattacke seine Wohnung in seinem früheren Elternhaus, das er gemeinsam mit seiner Schwester und deren Mann bewohnte, räumen müssen.
Der Angeklagte ist überzeugt, dass sein Schwager ihn aus dem Haus „mobben“wollte. Früher hatte er deshalb mehrfach die Polizei bemüht. Weil Reifen zerstochen oder seine Mikrowelle manipuliert worden sein sollen. Hinter diesen vorgeblichen Mobbing-Vorgängen – und auch hinter dem aus seiner Sicht von außen beeinflussten Zivilprozess – sieht der Angeklagte eine große Verschwörung. Daran beteiligt seien nicht nur die eigene Familie, sondern auch höchste Kreise der Politik. Die Schwester des Angeklagten und ihr Mann, denen das Haus gehört, hatten das Vertrauensverhältnis schließlich so nachhaltig zerstört gesehen, dass für sie ein Leben unter einem Dach nicht mehr infrage kam. Der 65-jährige Pensionist hatte die Schläge mit der stumpfen Seite des Beils nach einer Notoperation überlebt. Er hatte unter anderem ein offenes Schädelhirntrauma erlitten. Sein Schwiegersohn hatte wohl das Schlimmste gerade noch verhindern können, als er ihn mit einem Kleiderständer aus dem Haus vertrieb. Die Attacke hatte sich am Rande einer Geburtstagsfeier ereignet. Der Angeklagte hatte danach selbst die Polizei gerufen und sich dabei auf ein „Naturrecht“berufen. Richter Bösl betonte gestern, das Urteil sei keine Verschwörung gegen ihn, keine Strafe, er sei krank, er habe keine Schuld. Genauso wie dessen Familie keine moralische Mitverantwortung für das Geschehen trage. Das hatte der Verteidiger behauptet. Bösl widersprach explizit: Was passiert sei, sei eine unglückliche Verkettung von Umständen gewesen.