Wie zeitgemäß sind unangekündigte Tests?
Bei Schülern sind sie nicht gerade beliebt. Für Lehrer aber ein wichtiges Mittel, um den Wissensstand ihrer Schützlinge zu prüfen. Warum manche Schulen die Stegreifaufgaben trotzdem bereits abgeschafft haben
Augsburg Es ist die Ungewissheit, die viele Schüler auch lange nach Unterrichtsende noch plagt. Spätabends brüten sie dann über den Schulbüchern, weil immer wieder die gleichen Fragen durch den Kopf schießen: Überrascht mich einer meiner Lehrer morgen wieder mit einem Test? Wenn ja, in welchem Fach? Soll ich Mathe lernen – oder doch lieber Physik büffeln? Die allermeisten bayerischen Gymnasiasten und Realschüler kennen den Druck, sich regelmäßig auf die unangekündigten Proben, genannt Extemporalen oder kurz Exen, vorbereiten zu müssen. Doch sind solche Stegreifaufgaben, die den Inhalt der vergangenen Unterrichts- oder Doppelstunde prüfen, überhaupt noch zeitgemäß?
Fragt man betroffene Schüler, gehen die Antworten meist in eine Richtung. Der 17-jährige Magnus Lehmkuhl etwa, Schülersprecher am Paul-Klee-Gymnasium in Gersthofen (Landkreis Augsburg) sowie Bundesdelegierter des Landesschülerrats Bayern, sagt offen: „Die meisten Schüler halten Exen für total unnötig.“Dass sich einige seiner Mitschüler morgens mit Angst auf den Schulweg machen, hält er für unwahrscheinlich. Lehmkuhl erklärt: „Denn die meisten Lehrer deuten im Unterricht an, dass es bald wieder so weit ist. Auch am Stoff merkt man meist, wann eine Ex ansteht.“
Der Leistungsdruck in der Schule sei wichtig, um auf das Berufsleben vorbereitet zu sein: „Es kann ja nicht sein, dass man locker durch die Schule geht und später einknickt oder nicht zurechtkommt, wenn der Chef etwas von einem fordert.“Persönlich findet Lehmkuhl das Prinzip der Stegreifaufgaben „gar nicht so schlecht“. In Sprachen sei es, anders als in Geschichte oder Sozialkunde, durchaus sinnvoll regelmäßig abzufragen, etwa Grammatik oder Vokabeln.
Einer möglichen Abschaffung der Exen steht er kritisch gegenüber. „Sollte es dazu kommen, wird dann nur für ein Fach ausgesetzt oder für alle?“, fragt er sich. Wie ein Schulleben ohne unangekündigte Exen aussehen kann, weiß Ralf Schabel. Der Schulleiter am Illertal-Gymnasium in Vöhringen (Landkreis Neu-Ulm) spricht aus den Erfahrungen, die er und seine Lehrerkollegen in den vergangenen vier Jahren gesammelt haben. Das Illertal-Gymnasium war eine der ersten Schulen in Schwaben, die die unangekündigten Tests komplett abgeschafft haben. „Seitdem ist der Umgang mit den Schülern fairer. Auch Schulklima und
haben sich verbessert“, sagt er.
Der Jubelsturm bei den Schülern sei damals riesig gewesen. Doch der genaue Blick verrät: Nach wie vor schreiben die Vöhringer Schüler gleich viele Prüfungen. Der einzige Unterschied: Sie wissen eine Woche vor dem Test Bescheid. An den Noten habe sich seitdem wenig verändert, wie Rektor Schabel erklärt: „Der Leistungsunterschied zwischen guten und schlechten Schülern ist geblieben.“
Anfangs sei die Schulaufsicht über die Pionier-Entscheidung, die laut Schulordnung möglich ist, „nicht rasend begeistert gewesen“, erinnert sich Schabel. Eine ganze
an Schulen, etwa in Illertissen und Memmingen, hat seitdem nachgezogen. Ganz verbannt sind die Exen aus Vöhringen nicht, denn am Anfang jedes Schuljahres wird neu abgestimmt. Eine kleine Minderheit der Lehrer sehe die Abschaffung noch immer kritisch.
Mit dieser Auffassung sind sie nicht allein: Einige Lehrer wollen sich diese Art der Abfrage nicht nehmen lassen. Doch gerade bei jüngeren Lehrerkollegen sei die Tendenz auszumachen, vermehrt auf unangekündigte Exen zu verzichten. Das bestätigt Gerhard Schurr, zuständig für Schulpolitik beim Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband . „Als Verband geAtmosphäre
hen wir sehr in Richtung weniger Noten. Dementsprechend sind auch weniger Exen sinnvoll“, erklärt Schurr. „Überfallartige Tests, die zu Schweißausbrüchen führen“und von Lehrern als Druckmittel eingesetzt werden, seien nicht mehr zeitgemäß. Sinnvoll sind Exen seiner Meinung nach nur bei Sprachen.
Umstritten sind die unangekündigten Proben auch bei den Eltern. Für Susanne Arndt, Vorsitzende der Landeseltern-Vereinigung der Gymnasien in Bayern, steht fest: „Exen dürfen nicht dafür da sein, um Schüler mit einer Note zu bestrafe.“Um „einen Lernerfolg vor Augen zu führen“, seien Stegreifaufgaben aber wichtig. Ihre ErfahReihe
rung habe gezeigt, dass manche Schüler die kurzen Tests jedoch falsch interpretieren und viel Zeit und Energie investieren, sich viele Gedanken und auch Sorgen machen. „Es kann nicht sein, dass Exen zu Kurzarbeiten ausarten“, warnt sie.
Der Landesvorsitzende des Bayerischen Elternverbands, Martin Löwe aus Rosenheim, bestätigt die „starke Belastung“der Schüler durch Exen. Unterricht wie er aktuell in vielen Schulen stattfinde, fördere das Bulimie-Lernen und sei hauptsächlich damit beschäftigt, reines Wissen abzufragen. „Das ist unserer Meinung nach nicht nachhaltig und vor allem nicht mehr zeitgemäß“, sagt Löwe.