Müllwagen erschlägt Familie in Auto
Der Prozess gegen den 55-jährigen Fahrer beginnt mit erheblichen Sicherheitsvorkehrungen. Angeklagter schildert Unfallhergang unter Tränen
Tübingen Der Angeklagte verbirgt sein Gesicht mit dem grauen Schnauzbart in den Händen und versucht, sich zu erinnern. Doch wann genau er vor dem tragischen Unfall mit fünf Toten den Hebel für die Motorbremse seines Müllwagens gezogen hat und wann er mit dem Bremspedal gebremst hat oder bremsen wollte – es mag am ersten Prozesstag am Landgericht Tübingen nicht ganz klar werden. Sein Müllauto rollte zu schnell auf eine Kreuzung zu, wo es umkippte und ein Auto mit fünf Menschen unter sich begrub. Alle Insassen starben, darunter zwei Kinder.
Im Prozess muss geklärt werden: Wie konnte es zu dem Unfall kommen? Die Staatsanwaltschaft wirft dem 55-Jährigen fahrlässige Tötung vor. Demnach fuhr der Lastwagen mit Tempo 51 statt 30 in die Kreuzung. Für den Fahrer sei es vorhersehbar und vermeidbar gewesen, dass das Fahrzeug bei dieser Geschwindigkeit beim Rechtsabbiegen außer Kontrolle gerät, sagte der Staatsanwalt. Der Angeklagte schilderte indes seine Verzweiflung, als er auf abschüssiger Strecke vor der Kreuzung Probleme beim Bremsen bemerkte. „Das Pedal ging nicht weiter“, sagte er.
Bei der Polizei hatte er laut Gericht noch geschildert, dass er das Pedal ganz durchgedrückt hat, aber keine Bremswirkung spürte. Ein Gutachten ist jedoch zum Ergebnis gekommen, dass am Müllwagen kein technischer Defekt bestand. Hat möglicherweise eine Vesperdose unter dem Pedal gelegen? Eine solche Dose aus dem Fahrerhaus wurde daraufhin untersucht. Ent- sprechende Spuren habe man daran nicht gefunden, sagte ein Polizist. Trotzdem sei das Szenario nicht völlig auszuschließen, fügte er hinzu.
Auch andere mögliche Ursachen wurden schon abgeklopft: Der Angeklagte hatte laut Alkoholtest nichts getrunken. Er hatte zwar zwei Handys dabei – eines dienstlich, eines privat –, hat aber Nachforschungen der Polizei zufolge zum Unfallzeitpunkt nicht damit telefoniert. Er habe das Auto der späteren Opfer heranfahren sehen. Dann sei sein Wagen umgekippt. Nachdem er sich befreit hatte, habe er sich nach dem Auto umgesehen. Erst beim Herumgehen um seinen Müllwagen habe er ein Stück des Autos darunter gesehen. Als er das erzählt, kommen ihm die Tränen.
Er ist gezeichnet von der psychischen Belastung durch den Unfall. Nach seiner Aussage wirkt er kraftlos, er lässt den Kopf hängen, schließt die Augen. Am Ende des Verhandlungstages bittet er die Angehörigen der Opfer weinend und mit zitternden Händen um Verzeihung. Was passiert sei, sei auch für ihn sehr schmerzhaft, sagt er. Die juristische Frage, die zu klären ist: Liegt tatsächlich Fahrlässigkeit vor? Das Strafgesetzbuch sieht bei fahrlässiger Tötung eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vor. Die rund 30 Besucher wurden erst nach eingehenden Sicherheitskontrollen in den Saal gelassen. Offenbar hatte es nach der Tat Befürchtungen der Polizei gegeben, die Familie der Getöteten könnten „Blutrachepläne verfolgen“, wie die Richterin aus den Akten verlas.