„Wenn ich schreibe, bin ich nicht alltagsbereit“
Jan Weiler sagt, Krimis interessieren ihn nicht. Nun ist der zweite Roman um seinen Münchner Kommissar Martin Kühn erschienen. Der vielschichtige Fall hat eine reale Vorgeschichte
Jan Weiler: Kühn hat Ärger Piper, 400 Seiten, 20 ¤
Macht es Sie stolz, dass Eltern in Deutschland nur noch von Pubertieren sprechen, wenn sie ihre bockenden Kinder meinen? Weiler: Das ist lustig… Da hat man einen Begriff erschaffen, der in die Alltagssprache eingesickert ist. Das Wort ist inzwischen ganz alltäglich im Gebrauch. Stolz macht mich das nicht. Ich denke ja nicht ununterbrochen darüber nach. Man darf sich da aber auch nicht so wichtig nehmen, die Menschen verbinden es ja nicht mit einer enormen Wertschätzung für mich. Aber ich freue mich.
Sie haben mit Ihren Büchern über Ihr Familienleben so viel Erfolg, nun ist im März die Fortsetzung Ihres ersten Kühn-Krimis auf den Markt gekommen? Was gefällt Ihnen am Krimischreiben?
Weiler: Gar nichts. Ich schreibe keine Krimis. Die Kühn-Bücher sind Gesellschaftsromane. Die Krimihandlung dient nur dazu, die anderen Bestandteile, die da drin sind, zu vermitteln. Das ist wie Schluckimpfung. Das Gesellschaftsromanige ist die Medizin und der Krimi ist der Zucker, auf dem das transportiert wird. Ich habe nichts gegen Krimis, aber ich bin kein Krimiautor. Werde ich auch nicht mehr.
Es gibt einen Mord und den ermittelnden Kommissar Martin Kühn. Meinen Sie nicht, dass der Großteil der Leser Ihr Buch als Krimi lesen wird? Weiler: Ja, ja, da muss ich durch.
Das Wichtigste in Kürze, wie würden Sie Ihren Roman in wenigen Sätzen zusammenfassen?
Weiler: Er handelt vom Leben einer überforderten Gesellschaft, in der die Ansprüche immer größer werden und die Versprechen immer kleiner. Diese Überforderung, alles mitzubekommen, von allem angetan zu sein… und irgendwie klarzukommen… Das ist das Thema. Es geht aber auch um die unfassbare gesellschaftliche Kluft. Innerhalb von wenigen Kilometern teilt sich das Meer, muss man fast schon sagen. Da ist der Arme aus Neuperlach, der eigentlich schon aussortiert ist. Da gibt es den Kühn, der sein Mittelklasseleben lebt. Und als dritten Pol diese unfassbar duften, extrem wohlhabenden Menschen…
Im Buch verlieben sich Amir aus Neuperlach und Julia aus Grünwald, die sich bei einer Charity-Aktion kennenlernen. Das entwickelt sich alles hoffnungsvoll. Doch dann lassen Sie einen großen Traum platzen: nämlich dass Habenichtse und Großbürger irgendwo eine gemeinsame Ebene auf Augenhöhe finden können. Es endet schlimm. Was bricht sich da Bahn?
Weiler: Die Angst. Die Angst vor dem Verlust des Status. Wenn Sie mit richtig, richtig steinreichen Menschen sprechen, sagen die immer so kokett, ach, ich brauche eigentlich nicht mehr als ein gutes Brot, mit gesalzener Butter und Schnittlauch … Dann bin ich glücklich. In Wirklichkeit haben die eine panische Angst zu verarmen. Den Fall mit Amir und den reichen Leuten hat es übrigens wirklich gegeben. Über ihn habe ich mal eine Reportage geschrieben. Das war ein Junge aus dem Hasenbergl. Ein Intensivstraftäter, der tatsächlich bei einer Charity-Aktion mit einer Tochter aus Grünwald in Kontakt kam. Doch er wurde vom System wieder abgestoßen, das muss man so sagen. Er ist dann übrigens nach Augsburg in eine betreute Wohngruppe gekommen und hat, glaube ich, eine Schreinerlehre gemacht. Das habe ich nie vergessen. Ich habe immer gedacht, irgendwann kannst du das mal gebrauchen.
Wie sind Sie bei der Entwicklung Ihres Kommissar Kühn vorgegangen? Mittelstand, verheiratet, normaler Typ, geht nicht zum Arzt… Sie hätten sich auch austoben können.
Weiler: Er sollte einer sein, wie die Leute, die ihn lesen. Ein normaler Mensch. Diese einfachen, normalen Leute sind unheimlich gefährdet in unserer Gesellschaft, obwohl sie ja ihr Rückgrat sein sollten. Die Identifikation der Leserschaft ist groß mit diesem Kühn. Zum Beispiel diese Rechnerei unter der Dusche. Wie viele Familienväter rechnen sich unter der Dusche aus, wie das jeden Tag funktionieren soll? Und die Kinder sitzen unten in der Küche und sagen, sie möchten eigentlich den Sahnejoghurt, weil der geiler schmeckt. Ich habe ein Mitgefühl mit diesen Menschen, ich mag die. Kühn ist das Ergebnis einer Langzeit-Beobachtung, die schon lange vor dem ersten Buch begonnen hat.
Krimi-Kommissare müssen immer an der Welt verzweifeln. Und haben stets einen unfehlbaren Instinkt? Auch Kühn. Warum ist das so?
Weiler: Polizisten haben diesen Instinkt. Sie müssen ihn haben! Das gehört zum Berufsbild. Das können Sie sich fürs Leben merken: Einen erfahrenen Polizisten täuschen Sie bei einer Alkoholkontrolle nicht, da können Sie versuchen, was Sie wollen. Der untrügliche Instinkt gehört zum Berufsinstrumentarium eines Polizisten. Und dass Polizisten an der Welt verzweifeln, ist eine berufliche Deformation. Es ist doch zum Verzweifeln, wenn Polizisten Drogendealer einkassieren, ihnen das Zeug wegnehmen und sie sind alle am nächsten Tag wieder da und sind wieder da und sind wieder da. Beobachtungen nehmen in Ihrem Buch großen Raum ein. Sind Sie ein Momente-Sammler?
Weiler: Ich bin ja gelernter Journalist. Und habe viele Reportagen geschrieben. Da nimmt man diese Beobachtungen mit. Ich habe mal eine Reportage über einen Polizisten geschrieben, der im Einsatz einen Kioskbesitzer umgebracht hat. Aus Versehen. Und hinterher stellte sich heraus, die Familie des Polizisten und die des Toten lebten in der gleichen Stadt im Rheinland. Ich war bei beiden Familien. In jeder gab es den Premiere-Decoder zum Fußballgucken. Bei beiden gab es den Kaffee in Thermoskannen, der schon mittags gemacht wird und dann tagsüber weggetrunken wird. Und in beiden Familien gab es diese gefliesten Couchtische .
Was glauben Sie, macht die enorme Anziehungskraft von Krimis aus? Weiler: Ich lese keine Krimis. Was mich null interessiert, ist Gut und Böse, der Kommissar auf Verbrecherjagd. Erstaunlich ist doch, die blutrünstigsten Krimis kommen aus der friedliebendsten Weltgegend, nämlich Skandinavien. Da gibt es keine Morde, aber unfassbare Serientäter. Ich glaube, das Krimilesen ist eine Art seelische Entlastung.
Wie haben Sie für Ihr Buch den Polizeialltag recherchiert?
Weiler: Ich habe mich mit Fachleuten unterhalten. Tatsächlich ist der polizeiliche Alltag entschieden viel langweiliger als im „Tatort“. Die fahren nicht ununterbrochen mit dem 5er-BMW durch die Gegend und fragen die Leute, wo waren Sie gestern um sieben? Die sitzen im Büro, werten Spuren aus und bringen Dinge in Zusammenhang. Ein Schulfreund von mir ist Polizist in Düsseldorf und ein wenig das Vorbild für Kühn, der hat einen hochkomplizierten Fall nur im Büro aufgeklärt, in dem stundenlang Tankstellenvideos ausgewertet wurden.
„Maria, ihm schmeckt’s nicht“, Ihren ersten großen Erfolg, haben Sie in zehn Tagen geschrieben. Sie müssen ein sehr strategischer Mensch sein.
Weiler: Ob ich ein strategischer Mensch bin, wage ich vorsichtig zu bezweifeln. Ich bin ein sehr strategischer Autor. Man fängt ja nicht an, aufs Geratewohl vor sich hinzutippen. Jedenfalls ich nicht.
Fällt Ihnen das Schreiben immer so leicht? Wie gehen Sie vor?
Weiler: Ich fange erst an, ein Buch zu schreiben, wenn ich die Geschichte im Kopf fertig habe. Ich mache mir keine Notizen. Die Figuren, der erste Satz und der letzte Satz, Absätze, ganze Seiten, mit Kapitelnummern… Das ist alles in meinem Kopf. Ich weiß schon, wie Kühn sich in Band drei entwickeln wird, vielleicht auch in vier und fünf.
Sie schreiben nicht nachts schnell Sätze auf, weil Sie Angst haben, der Gedanke könnte gleich wieder weg sein? Weiler: Dann war er nicht gut genug.
Wie kann da noch Platz für alltägliche Dinge sein?
Weiler: Ich bin nicht sehr belastbar mit Alltagskram. Ich kann kochen, ich kann die Steuer machen, ich kann Fensterputzen. Aber wenn ich wirklich im Tunnel bin, für große Projekte, dann bin ich nicht alltagsbereit. Wenn ich schreibe, bin ich weg. Das ist nicht romantisch, sondern körperlich anstrengend. Es geht auf die Gelenke, auf den Rücken, dann habe ich abends viereckige Augen… Aber ich kann nicht anders arbeiten.
Ihr Erfolg mit „Maria, ihm schmeckt’s nicht“war mit einem Schlag da. Wie hat er Ihr Leben verändert?
Weiler: Mein Leben hat sich völlig verändert. Das Buch war fünf Jahre auf der Bestsellerliste. Jürgen von der Lippe – er hatte mal eine Literatur-Fernsehsendung – hat aus dem Buch vorgelesen… Und ist beim Lesen vor Lachen fast vom Stuhl gefallen. Diese paar Minuten haben dafür gesorgt, dass das Buch – schwupps – auf Platz fünf der Liste geschossen ist. Irgendwann habe ich mir gedacht, okay, wenn das so ist, dann versuchst du jetzt ein Leben als freier Schriftsteller.
Sie waren damals ja Chefredakteur des SZ-Magazins…
Weiler: Vielleicht fand ich es nach vielen Jahren reizvoll, etwas anderes zu machen. Ich habe mir das vorgestellt wie ein Sabbatical. Wenn das mit dem zweiten Buch nicht hingehauen hätte, dann wäre ich halt woanders hingegangen.
Sind Sie ein sehr strukturierter Mensch? Wie sieht Ihr Tag aus? Weiler: Ich mache Frühstück. Die Kinder gehen zur Schule und ich lese Zeitung bis um 10 Uhr. Dann gehe ich in mein Büro. Ich habe einen Kolumnentag und einen Bürotag. Struktur, Struktur, Struktur… Ja, das ist für mich sehr wichtig!