Kanzler mit 31 – warum geht das nicht bei uns?
Angela Merkel verlängert noch einmal – auch, weil kein Nachfolger in Sicht ist. In Österreich regiert schon die nächste Generation. Der Autor Paul Ronzheimer begleitet Sebastian Kurz seit langem und erklärt das Polit-Wunderkind
Herr Ronzheimer, heute lässt sich Angela Merkel zum vierten Mal zur Kanzlerin wählen. Sie ist doppelt so alt wie Sebastian Kurz. Sind die Deutschen noch nicht reif für einen Generationswechsel?
Ronzheimer: Sie sind jedenfalls ein bisschen vorsichtiger. Im Zweifel setzen die Deutschen lieber auf das Altbewährte. Und viele Leute haben ja auch das Gefühl, dass sie mit Angela Merkel ganz gut gefahren sind, zumindest bis zur Flüchtlingskrise.
In Bayern dürfte der 31-jährige Kurz gar nicht regieren. Die Verfassung schreibt vor, dass der Ministerpräsident mindestens 40 Jahre alt sein muss. Ist das noch zeitgemäß? Ronzheimer: Zumindest passt es nicht zum Wunsch vieler Menschen nach etwas Neuem, etwas Frischem. Den gibt es ja auch in Deutschland. Nur fehlt eben das Personal, um ihn zu erfüllen.
Sie haben Sebastian Kurz hautnah erlebt, waren auf dem Bauernhof, auf dem er aufgewachsen ist, und haben mit seinen Eltern gesprochen. Wie hat er es geschafft, die Zweifel wegen seiner Jugend zu zerstreuen?
Ronzheimer: Das war natürlich auch in Österreich am Anfang ein Riesenthema, als er mit 24 Jahren Staatssekretär wurde. Da hatte er gerade einen sehr platten Wahlkampf hinter sich. Er fuhr damals mit einem „Geilomobil“durch Wien und versprach, die Konservativen wieder geil zu machen. Passanten haben ihm zugerufen, er solle sich schämen und erst einmal sein Studium zu Ende machen. Es war wirklich peinlich. Als er dann im Amt war, hat er sich aber durch einen sehr geschickten Umgang mit den Medien und harte Arbeit neu erfunden.
Wem trauen Sie zu, der deutsche Kurz zu werden?
Ronzheimer: Karl-Theodor zu Guttenberg wäre so einer gewesen. Auch für ihn ging es ja in jungen Jahren sehr schnell nach oben. Aber eben auch schnell wieder nach unten.
Was ist mit Jens Spahn? Die Konservativen sehen in ihm schon den Mann nach Merkel.
Ronzheimer: Er muss sich jetzt erst einmal als Minister beweisen. Das hat Kurz ja schon lange hinter sicher. Es ist eben ein Unterschied, ob einer kritisiert, was falsch läuft oder ob er selbst Verantwortung übernimmt. Als Außenminister hat Kurz die Großen dieser Welt getroffen. Und natürlich hat es die Österreicher beeindruckt, wie dieser junge Mann beispielsweise im Ukraine-Konflikt mit dem berüchtigten russischen Kollegen Sergej Lawrow auf Augenhöhe gesprochen hat.
Ist Kurz ein Vorbild für Spahn? Ronzheimer: Ich habe die beiden gerade zusammen auf dem Wiener Opernball erlebt. Das kann man schon als Freundschaft bezeichnen. Jens Spahn schaut zu Sebastian Kurz auf, der ja noch deutlich jünger ist, aber schon viel mehr erreicht hat. Und ich habe das Gefühl, dass Spahn ein bisschen neidisch ist, weil die Kritik an der Flüchtlingspolitik in Österreich noch viel mehr gefruchtet hat als in Deutschland.
Aber auch Spahn hat doch massiv von seinem Widerstand gegen die Kanzlerin profitiert?
Ronzheimer: Das ist richtig. Er konnte damit allerdings nur bei den Konservativen und KonservativRechten punkten. In der Mitte gibt es aber eben auch viele Menschen, die seine Attacken auf Merkel als zu schroff empfunden haben.
Wird er trotzdem der nächste Kanzlerkandidat der Union? Ronzheimer: Ich glaube, der Jens Spahn von heute kann mit seinen Positionen und seiner Tonalität nicht Kanzler werden, weil er das Mehrheitsgefühl der Deutschen nicht trifft. Wenn Sie mal vergleichen, wie Spahn und Kurz über Flüchtlingsthemen sprechen, dann werden Sie feststellen: Kurz ist schon einen Schritt weiter. Beide sagen das Gleiche, aber Spahn tritt noch viel aggressiver auf.
Kurz ist als One-Man-Show durchgestartet, Christian Lindner hat die FDP mit einer ähnlichen Kampagne zurück in den Bundestag geführt. Warum ist diese Strategie erfolgreich? Ronzheimer: Das hat viel mit der digitalen Welt zu tun, in der sich Politiker heute viel leichter inszenieren können. Inhalte lassen sich am besten durch Bilder und Personen transportieren. Kurz hat das erkannt und konsequent durchgezogen. Das ging so weit, dass der Parteiname ÖVP durch „Liste Kurz“ersetzt wurde und die Parteifarbe Schwarz durch ein modernes Türkis.
Ist Ausstrahlung wichtiger als politische Positionen?
Ronzheimer: Ich glaube, dass Ausstrahlung oder sogar ein gewisser Personenkult nur dann helfen, wenn jemand seine Positionen glaubhaft vertritt. Das kann auch nach hinten losgehen.
Christian Lindner ist für seine stylishen Wahlplakate zum Teil belächelt worden. Hat er es mit der Inszenierung übertrieben?
Ronzheimer: Man darf nicht vergessen, dass Lindners Wahlkampf trotzdem sehr erfolgreich war. Aber auch wenn er zeitweise dachte, er könnte Kurz oder Macron kopieren, musste er am Ende doch feststellen, dass die FDP keine massentaugliche Partei ist. Und es mag auch sein, dass seine Modelfotos in SchwarzWeiß manche Leute verschreckt haben. Das wäre Kurz nie passiert.
Die Erwartungen an junge Politiker wie Kurz oder auch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron sind riesig. Erhöht das die Gefahr, zur riesigen Enttäuschung zu werden? Ronzheimer: Absolut. Denn keiner fällt tiefer als ein Wunderkind. Die größte Gefahr für Kurz ist, dass er sich in den vergangenen Jahren immer an dem orientiert hat, was populär ist. Nun stellt sich die Frage, ob er auch reale Politik machen kann, wenn er sich so sehr nach Umfragen richtet. Wenn Kurz das Land wirklich verändern will, muss er auch das Risiko eingehen, Leuten wehzutun, wie Gerhard Schröder das zum Beispiel mit der Agenda 2010 getan hat. Ich bin eher skeptisch, ob er sich das traut.
In Österreich wird unter dem Slogan „Answer like Kurz“schon gespöttelt, dass der Kanzler dazu neigt, mit vielen Worten wenig zu sagen. Beginnt da schon eine Entzauberung? Ronzheimer: Wenn man sich die Umfragen in Österreich anschaut, kann man noch keine Entzauberung erkennen. Aber klar ist auch: Jugendlicher Schwung allein hilft nichts. Er muss jetzt liefern.