Verdi als Albtraum
Der Intendant nimmt sich der „Macht des Schicksals“an und reist mit ihr nach Lateinamerika. Dort geraten Ensemble wie Publikum in eine Koks-Küche
Augsburg Giuseppe Verdi hängte es nicht an die große Glocke. Aber er wusste genau, was er mit „La forza del destino“vertonte. Gegenüber seinem Verleger Ricordi äußerte er humoristisch pointiert zum Stück: „Bei so vielen Mängeln und so vielen Absurditäten des Librettos ist es ein Wunder, dass nicht wenigstens der [römische] Impresario davon getötet worden ist.“
Ja, „Die Macht des Schicksals“, diese Oper, die besser „Die Macht des Zufalls“heißen sollte, ist eine arge Räuberpistole aus schauriger Mantel- und Degenzeit. Was unwahrscheinlicherweise mal irgendwann passieren könnte, geschieht darin am laufenden Band – vom unbeabsichtigt sich lösenden (und treffenden) Pistolenschuss im 1. Akt bis hin zu demselben Bußorden, dem sich das aus den Augen gekommene Paar Leonora/Alvaro anschließt. Das Krude des Stücks hat schon fast surreal-dadaistische Momente, nicht zuletzt im kriegslüsternen Rataplan-Chor; und mancher Regisseur – wie etwa einst Hans Neuenfels – begegnete dem WahnsinnsPlot angemessen mit Bizarrerien im ganz normalen Weltgeschehen: Standes- und Rassendünkel, Kriegstreiberei, die katholische Kirche als Vater- und Autoritätsersatz.
Nun ist „La forza del destino“, diese große (Chor-)Oper mit ihren vielen gut zu organisierenden Auftritten und Abgängen, am Theater Augsburg in dessen ziemlich beengter Ausweichspielstätte Martinipark herausgekommen – als Chefsache des Intendanten, der – nach Ibsens „Peer Gynt“– mit dieser Kolportage erneut keinen leichten Weg beschreitet. Sein Kniff in aller Kürze: Leonora albträumt. Zu Beginn aller vier Akte liegt sie auf ihrem geräumigen Bett in geräumiger Kemenate unter hispanischen Architektureinflüssen: Die Nischen ähneln Seitenaltären (Bühne: Jan Steigert). So schlägt Bücker zwei Fliegen mit einer Klappe: Erstens muss ein Traum keine plausible Geschichte erzählen; er ist per se voller Absurditäten, Brüche, Phantasmagorien. Zweitens braucht es keine aufwendigen Szenen- bzw. Ortswechsel; alles findet im Hirn auf dem Kopfkissen im eigenen Zimmer statt. Es braucht kein spanisches Wirtshaus, kein spanisches Kloster, kein italienisches Gefechtsfeld plus Lager, Markt und Lazarett. Mit Leonora und ihren Halluzinationen bleibt der Zuschauer in ihrem Gemach.
Aber findet ihr Horrortrip überhaupt in Spanien und Italien statt? Nein, es gibt eine kontinentale Transposition, ins hispanisch beeinflusste Süd- und Mittelamerika, Heimat von Leonoras Latin-Lover. Deswegen ihr Schwarzer Panther als Zimmerstatue, die Sombreros im dritten Akt, die mexikanische Tödin, die immer wieder über die Szene geistert, die Rauschgiftküche, die Kokain-Briefchen. Bis hin zum Klerus sind hier alle bis an die Zähne bewaffnet – und richten immer mal wieder das MG ins Publikum, damit dieses auch was davon hat. Nicht das 18. und 19. Jahrhundert sind hier Sache (als Spiel- bzw. Entstehungszeit des Werks), sondern die Kokain-Hochzeit Südamerikas um 1980. Mit allem kunterbunt quietschenden Pop-, Plastik-, Psychedelicund Klamottenkram drumrum (Kostüme: Suse Tobisch). Ein schon sehr spezieller Geschmack. Und mit einer Komik durchzogen, die mal gezielt persifliert (Ouvertüren-Höhepunkt zum Öffnen von Leonoras gut bestückter Kleiderkammer), dann aber immer wieder auch ziemlich ungelenk, stereotyp, unfreiwillig wirkt. (Eben noch übt sich Leonora in Morgengymnastik, da schickt sie ihr Vater schon wieder mit „Addio“ins Bett).
Wie all das bewertet werden kann und darf – bis hin zum mindestens zwei-, wenn nicht dreifach tödlichen Finale, wo auch noch Schlaftabletten und ein Messer ins letale Spiel geraten?
Es kommt darauf an. Mit Fug und Recht kann wohlmeinend erklärt werden, André Bücker habe durch seinen inszenierten Albtraum den hanebüchenen Plot nachvollziehbar gemacht. Man kann aber auch einwenden: Er hat sich nur geschickt aus der Affäre gezogen, Probleme umschifft (Rassendünkel!) und Lateinamerika als fern liegende Folie/ Krücke herangezogen. Warum er jetzt und hier, in Mitteleuropa, diese Inszenierung, diese Regie-Idee zeigt, bleibt jedenfalls nicht recht ersichtlich.
Hörbar aber bleiben die schlagende Dramatik und die kantablen Schönheiten Verdis, denen die Augsburger Philharmoniker unter Domonkos Héja federnd, mitatmend,
Große Oper auf begrenzter Bühne
Differenzierter Applaus zum Schluss des Abends
glutvoll, überdies transparent begegnen. Sie und Sally du Randt als Leonora sind es vor allem, die der Produktion durchgehend Klasse verleihen. Weil Sally du Randt in einem künstlerischen Stadium ist, in dem ihr vokal die jugendlich-engelsgleiche Höhe im Prinzip genauso glückt wie die erwachsen-bittere Tiefe. Wenn an diesem Abend eine Stimme leuchtete, so war es die ihre, etwa in ihrem Miserere.
Leonardo Gramegna als ihr tenoraler Lover Alvaro hatte starke Momente, aber auch solche, da er deutlich hörbar an seine Grenzen stieß. Man staunte hier und wunderte sich dort – auch über die Siegerpose, mit der er zum Schlussapplaus an die Rampe trat. Profund und zuverlässig Stanislav Sergeev (Guardiano), Alejandro Marco-Buhrmester als Don Carlo (Steigerung im vierten Akt!) sowie Tobias Pfülb als Marchese/Melitone. Rita Kapfhammer bewies als Preziosilla Wendigkeit.
Der Applaus war differenziert: laut für die Musiker, darunter auch der formidable Chor, schwächer für das Inszenierungsteam. O Nächste Aufführungen 28., 31. März, 5., 7., 13., 15., 17., 24., 25., 27., 28. April sowie 11., 13., 25. Mai