Der beste deutsche Eishockeyspieler
Den Gewinn der Silbermedaille konnte Leon Draisaitl nur als Zuschauer verfolgen. Doch bei der WM ist der Edmonton-Star dabei und mit 22 Jahren der Schlüsselspieler
Augsburg Normalerweise muss Marco Sturm auf das Kollektiv bauen. Nur weil die deutschen Eishockeyspieler bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang als Einheit funktionierten, flogen sie mit der Silbermedaille in die Heimat. Ganz Deutschland interessierte sich zwei Wochen weniger für den Fußball als für das Spiel mit dem Puck. Bei der am Freitag beginnenden WM in Dänemark steht dem Bundestrainer allerdings ein Star zur Verfügung. Leon Draisaitl aus der nordamerikanischen Profiliga NHL hatte sich bereit erklärt zu kommen. Wie wichtig er ist, umreißt Dennis Seidenberg, Stanley-Cup-Sieger und mit 36 Jahren ältester Profi im Sturm-Team: „Leon ist der beste deutsche Eishockeyspieler, den es gibt.“
So einfach ist das. Bei den Oilers verdient der gebürtige Kölner umgerechnet 7,3 Millionen Euro pro Saison. Sein Achtjahresvertrag läuft bis 2025. Allein die Dimension zeigt, wie wertvoll auch die Experten jenseits des Atlantiks die Fähigkeiten des Deutschen einstufen. Draisaitl ist weniger der Torjäger, er liest das Spiel unheimlich schnell, läuft dorthin, wo die Scheibe demnächst landen wird, und füttert seine Sturmkollegen mit genialen Pässen. In Edmonton stürmt er in einer Reihe mit dem kanadischen Superstar Connor McDavid, der als Kapitän die Nordamerikaner anführt. Beide Stürmer laufen von Beginn an in Dänemark auf, weil die Saison mit den Oilers enttäuschend verlief. Als Anwärter auf den Stanley Cup waren sie gehandelt worden, am Ende verpassten sie die Play-offs. Auch in der schwierigen Spielzeit gehörte Draisaitl mit 70 Punkten aus 78 Spielen wieder zu den Top-Spielern.
Obwohl der Angreifer erst 22 Jahre jung ist, nennt ihn der Bundestrainer den „Chef auf dem Eis“, weil er alle offensiven Aktionen auf sich ziehen will. Zur Heim-WM vor einem Jahr in Köln war der Sohn des ehemaligen Nationalstürmers und jetzigen Köln-Trainers Peter Draisaitl über Nacht eingeflogen worden. Nach einer langen Anreise war der Stürmer vormittags um 11 Uhr in Frankfurt eingetroffen. Nach einem Nickerchen zu Hause bei der Mama in Köln und anschließendem Kaffee und Kuchen führte er Deutschland neun Stunden nach der Landung zum 4:1 gegen Frankreich und schließlich ins WM-Viertelfinale. So lautet auch das Ziel der anstehenden WM. Draisaitl konnte es wegen des frühen Saisonendes der Oilers gemächlich angehen lassen. Er genoss den Luxus von drei Vorbereitungsspielen, in denen er zwei Mal selbst traf und vier Treffer vorbereitete. „Es ist schon einfacher als beim letzten Mal“, sagt der Stürmer mit der Nummer 29.
Moritz Müller lacht, als er nach den Vorteilen der frühen Anwesenheit seines berühmten Mitspielers gefragt wird. Das sei gut für Draisaitl, so habe er Zeit, sich an „das Niveau, an das Tempo der anderen
Jungs“zu gewöhnen, sagt der Nationalverteidiger aus Köln. Er meint: das niedrigere Niveau, das langsamere Tempo. Denn Draisaitl ist eigentlich zu gut für die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes.
Bundestrainer Marco Sturm wird sich genau überlegen, wen er an die Seite seines NHL-Stars stellt. Denn nicht jeder deutsche Stürmer kann gedanklich und spielerisch mit dem 22-Jährigen mithalten. Gerade im so wichtigen Überzahlspiel soll Draisaitl wie eine Art Quarterback im Football die Fäden ziehen und die Pucks verteilen. In Südkorea durfte er nicht dabei sein, weil die NHL keine Profis für das Olympiaturnier abstellte. Jetzt will Draisaitl die WM als seine Bühne nutzen.