Dem Verfall entrissen – auf zu neuer Schönheit
Ausgezeichnete Häuser in Harburg und in Nördlingen. Bei der Preisverleihung gab es am Samstag viel Lob für die Bewahrung historischer Architektur, das Engagement und den Mut von Privatleuten
Harburg/Nördlingen Jedes von ihnen ist rund 500 Jahre alt – und doch wirken sie frisch und wie aus dem Ei gepellt: das Harburger Hertle-Haus und das Anwesen in der Nördlinger Eisengasse 3. Kein Wunder, denn die hässlichen Spuren des Verfalls, die die Jahre an den beiden Wohn- und Handelshäusern im Landkreis Donau-Ries hinterlassen haben, sind beseitigt. Für den Mut und das Engagement, das die Eigentümer bei der Sanierung im Sinne der Denkmalpflege bewiesen haben, und letztlich für die überzeugenden Ergebnisse zeichnete der Bezirk Schwaben am Samstag das Harburger Hertle-Haus mit dem ersten Preis und das Gebäude in Nördlingen mit dem Sonderpreis aus. Ein weiterer Sonderpreis wurde für die Sanierung der Ehemaligen Synagoge Fellheim (Landkreis Unterallgäu) ausgelobt.
Historische Altstadtfeste, das Aufleben von Bräuchen, altem Handwerk oder wieder Tracht zu tragen erfreuen sich hierzulande großer Beliebtheit. Das neue Interesse an Heimat und Tradition fördert auch ein neues Bewusstsein für die langwierige, aber nachhaltige Arbeit der Denkmalpflege als einen unschätzbar wichtigen Dienst an der Allgemeinheit: „Denn Dorf- und Stadtbilder erhalten heißt Heimat erhalten“, betonte Bezirkstagspräsident Jürgen Reichert bei der Preisverleihung am Samstag: „Zunehmend erscheint auch vielen ein liebloser oder rein nach materiellem Nutzen ausgerich- Umgang mit der historischen Substanz unserer gewachsenen Kulturlandschaften unverständlich. Dank des außerordentlichen Engagements tatkräftiger Bürger wurden mit Denkmalpreis 2017 wieder besondere Objekte aus unserer Region ausgezeichnet“, freut sich Reichert.
Den mit 15000 Euro dotierten Denkmalpreis 2017 erhielt der Eigentümer Wilhelm Hertle für seine denkmalpflegerische Sanierung und Umnutzung des Gebäudekomplexes Egelseestraße 4 in Harburg. Die besondere Qualität der Sanierung liegt im Erhalt sowie der Wiederverwendung historischer Bauteile und der Ergänzung im Material des Baus, sodass laut Bezirksheimatpfleger Peter Fassl „ein einzigartiges Gesamtkunstwerk entstanden ist“.
Die bislang einzige bekannte Mikwe (Ritualbad) in einem Privathaus in Schwaben wurde wiederentdeckt. Insgesamt war das Gesamtgebäude äußerst gefährdet. Im Verlauf der Sanierung wurden rund 160 neue Balken und Kanthölzer eingebaut, Fundamente bis zu drei Metern Tiefe unterfangen, alte Eichenfenster restauriert. Die Sanierungskosten betrugen 1,36 Millionen Euro, an öffentlichen Zuschüssen gab es dafür 490000 Euro.
Peter Fassl lobte in seiner Ansprache, dass es sich beim Baudenkmal in Harburg um ein bedeutendes Beispiel aus einer Reihe von ehemaligen jüdischen Wohn- und Handelshäusern handelt, die nach dem Dreißigjähri- gen Krieg im Wohnviertel Egelsee gebaut wurden. Seit 1575 befand sich ein Anwesen an dieser Stelle. 1693 erwarb es der Hoffaktor Simon Oppenheimer, kaiserlicher Proviantjude, und errichtete bis 1702 einen Neubau. Vermutlich wurden bereits damals im Keller die Mikwe eingebaut sowie unter dem Dach die sogenannte Laubhütte für die Begehung des gleichnamigen jüdischen Fests.
In der Folgezeit wechselten sich jüdische Besitzer ab. Seit 1851 besaßen christliche Harburger Handwerker das Haus, seit 1861 wurde darin eine Schreinerei betrieben. Ab 1903 war sie im Besitz der Familie Hertle. 2006 übernahm Wilhelm Hertle den Familienbesitz und begann mit der Sanierung des Anwesens, das sich wegen 20-jährigen Leerstands in baulich schlechtem Zustand befand. In der Teilunterkellerung entdeckte Hertle die Mikwe, die kultur- und baugeschichtlich bedeutsam ist, weil es sich um die bislang einzige bekannte Mikwe in einem Privathaus in Schwaben handelt.
Das Haus hat heute rund 800 Quadratmeter Nutzfläche. Im einstigen Wohnhaus befinden sich sieben Gästezimmer und eine Wohnung, in der früheren Werkstatt ein großer Gastraum mit 70 Plätzen sowie im ersten Stock ein separater Tagungsraum. Im oberen Stockwerk wurden das Fachwerk freigelegt und eine Wandheizung installiert, die umweltfreundlich mit Wasser aus der hauseigenen Quelle und Grundwasser mittels eiteter ner Wärmepumpe betrieben wird. Das Holz blieb chemisch unbehandelt. Die alten Solnhofener Platten im Hausflur wurden aus- und wieder eingebaut. Alles, was aus dem alten Bestand noch brauchbar war, wurde wiederverwendet, auch Fenster, Türen und Kleinteile wie geschmiedete Nägel und Bänder. Die 300 Jahre alten gedrechselten Eichensäulen, die den Mittelbau tragen, stehen noch.
Behutsam saniert für eine zeitgemäße Nutzung
Der Denkmalsonderpreis für das Nördlinger Anwesen in der Eisengasse 3 ist mit 7500 Euro dotiert und ging an dessen Eigentümer Werner Luther aus Nördlingen für die denkmalpflegerische Sanierung und Umnutzung. Bezirksheimatpfleger Fassl: „Die städtebaulich und denkmalpflegerisch hervorragende Sanierung kann überzeugend darlegen, wie durch ein überlegtes Nutzungskonzept und ein zurückhaltendes Vorgehen auch ein über 500 Jahre altes Gebäude heutigen Ansprüchen gemäß saniert und genutzt werden kann.“Die Sanierung hat 1,8 Millionen Euro gekostet, die öffentlichen Zuschüsse liegen bei 31 860 Euro.
Wie Fassl in seiner Laudatio sagte, prägt „das mächtige, viergeschossige Wohn- und Geschäftshaus sowohl die südliche Eisengasse als auch den nördlichen Hafenmarkt“. Das 1446 erstmals erwähnte Haus war im Besitz führender Nördlinger Familien und wurde nach 1470 und 1518 in seiner heutigen Kubatur erstellt. Umbauten erfolgten 1782/83, 1881 und 1919.
Vor Sanierungsbeginn stand das Gebäude 15 Jahre lang leer und war in einem teilweise gefährdeten Zustand. Die Fenster wurden nach historischem Vorbild erneuert, die Fassade mit grauen Faschen und Lisenen nach Beispielen aus dem 19. Jahrhundert gestaltet. Wandputz wurde instand gesetzt, Stuckdecken und -voluten wiederhergestellt. Die Holzdecken des dritten Obergeschosses wurden vollständig erhalten. Das Sichtfachwerk wurde farbig gefasst. Durch geringe Eingriffe konnten in jedem Stock zwei Wohnungen abgetrennt werden, wobei die Grundrisse aller ursprünglichen Wohnräume erhalten blieben.
Die Redner der Preisverleihung waren sich einig: Denkmale bewahren die historische Baukultur. Dorf- und Stadtbilder erhalten heißt Heimat erhalten. Erinnerungen an vertraute Orte geben Halt und Sicherheit, jeder Ort, jedes Gebäude ist einzigartig. Denkmale sind gebaute Geschichte. Sie bewahren die Erinnerung und ermöglichen Orientierung.
In Bayern hat Denkmalschutz übrigens nach Artikel 141 sogar Verfassungsrang: „Staat, Gemeinden und Körperschaften des öffentlichen Rechts haben die Aufgabe, die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie der Landschaft zu schützen und zu pflegen“.