Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (99)
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbruder nennt. Er kommt aus dem Schlamassel, aus seinen Verhältnissen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomisch. ©Pr
Ich habe keine zwanzig Mark mehr“, erklärt Kufalt.
Der Freese sieht ihn lange an. Ein Funke Spott erwacht in seinem Auge. „Traut mir keine zwanzig Mark mehr zu und geht für mich werben … Wie sie sich abstrampeln! Wie sie strampeln!“flüstert er entzückt.
Der Funke erlischt. Ein böser, galliger Mann bleibt. „Die Decke gehört aufs Sofa, verstehen Sie, junger Mann“, sagt er grob. „Das ist ’ne wichtige Decke, verstehen Sie, von der kann ich träumen, he!“
Er kreischt das „he“unnatürlich laut heraus, als schreie ein Vogel, dann schrammt er die Tür zu.
Und Kufalt macht sich an einen Artikel über die Folgen des Nachtbackverbotes für den mittelständischen Bäcker. Dann irrt er in den Roman ab. Es ist elf Uhr geworden und nun ist es so weit: Kufalt hat keinen
Grund mehr, länger zu zögern. Er nimmt seine Aktentasche, sagt zu Herrn Kraft ganz geschäftsmäßig: „Also, ich geh’ jetzt auf die Tour“, und marschiert los.
Die ursprüngliche Tour fing eigentlich zehn Häuser vom ,Stadtund Landboten‘ an, beim Malermeister Retzlaff; aber das hat Kufalt eben im letzten Augenblick noch umgestoßen: seinen ersten Besuch wird er bei Malermeister Benzin machen, in der Ulmenstraße, ziemlich an der Peripherie der Stadt. Hinausgeschoben ist Schonzeit und auf dem Wege kann er außerdem noch seine Rede memorieren. Unterwegs kann er seine Rede nicht mehr memorieren, denn Herr Dietrich stößt zu ihm. Drei Häuser vom ,Boten‘ tritt er an Kufalt heran und sagt: „Guten Tag, Herr Kufalt.“
»Guten Tag, Herr Dietrich«, sagt Kufalt, lüftet den Hut und marschiert weiter. Dietrich marschiert mit. Dietrich sieht heute nicht so gesund rotbraun aus wie am gestrigen Mittag. Dietrich ist fleckig und übernächtig, die Spitze seiner langen Nase ist ganz weiß.
„Ihr blaues Wunder werden Sie erleben“, sagt Dietrich, „beim Abonnentenwerben.“
Kufalt antwortet nicht und geht weiter. Es ist dumm, der Mann hat ihm nichts getan, nein, der Mann hat ihm noch zwanzig Mark geborgt, aber eine Wut hat er doch auf ihn.
„Ich würde nicht mit so ’ner Aktentasche gehen“, sagt Herr Dietrich mißbilligend. „Das sieht immer so nach Reisende aus. Den Quittungsblock stecken Sie einfach in die Manteltasche und jeder Dienstbolzen läßt Sie glückstrahlend als neuen Kunden ein.“
„Danke schön“, sagt Kufalt höflich und geht weiter. Aber dann kann er seine Neugier doch nicht bezähmen und fragt: „Wieso hat der Freese Sie eigentlich rausgeschmissen? Wegen der fünfundzwanzig Prozent, die Sie von mir abhaben wollten?“
„Wissen Sie was“, schlägt Dietrich vor, „ich gebe Ihnen alle Tips, namentlich für die Inseratenwerbung, und dafür geben Sie mir doch die fünfundzwanzig Prozent. Wegen der Abrechnung vertraue ich Ihnen vollkommen.“
„Ohne Kaution?“fragt Kufalt. „Ohne Kaution“, bestätigt Dietrich.
„Ich brauch’ keine Tips“, erklärt Kufalt.
„Auch schön“, sagt Dietrich gleichmütig. „Man weiß nie, manchmal sind die Menschen noch dußliger, als man denkt. Dem Freese tränk’ ich es aber ein. Ich gehe jetzt auf den ,Freund‘.“
„Hier geht es aber nicht zum ,Freund‘“, sagt Kufalt.
„Wissen Sie was, Herr Kufalt“, sagt Dietrich. „Sie brauchen mir meine zwanzig Mark noch nicht wiederzugeben. Ich habe Ihnen gesagt: wir arbeiten zusammen, und wir arbeiten noch zusammen. Aber dem Freese geben Sie die auch nicht, verstanden? Sagen Sie dem Freese ruhig, Sie haben die mir gegeben.“Pause.
„Der kauft sich nämlich doch bloß Kognak dafür.“
Pause.
Dietrich lacht, aber etwas kümmerlich. „Ich kauf mir allerdings auch bloß Kognak dafür.“Er lächelt beglückt: „Hier ist ,Der Tannenbaum‘ von meinem Freunde Schmidt. Wollen wir uns Mut antrinken, ich für den ,Freund‘, Sie für den ersten Kunden?“
„Ich trinke nicht …“
„Ach nee, ach ja, Sie trinken nicht am Vormittag“, sagt der andere hastig. „Weiß ich, goldene Grundsätze, aber ich geh’ rein…“
Er bleibt stehen, sieht nach dem Fenster der Kneipe: „Sagen Sie, haben Sie das auch, wenn Sie zu viel gesoffen haben, daß Sie es am nächsten Tage gar nicht abwarten können, daß Sie wieder saufen? Davon wird der Magen so gelinde…“Er lächelt. Dann trübe: „Aber es hält nicht vor, immer rascher wird er wieder böse…“Abbrechend: „Also, ich hebe einen. Oder kippe.“Nachdenkend: „Mal sehen, ob das Bier schon gelaufen ist, bei meinem Freunde Schmidt. Sonst kippe ich.“
Er streckt die Hand aus: „Dann: Hals- und Beinbruch.“
„Danke, danke“, sagt Kufalt und schüttelt die Hand. Der Zorn ist weg, er ist sogar ein bißchen gerührt. „Wenn Sie heute mal gar nicht tränken, Herr Dietrich?“
„Wissen Sie was“, sagt Herr Dietrich, „wenn Sie mich da auch rausgefunkt haben, den ollen ,Boten‘ muß ich doch weiterlesen. Schreiben Sie ’ne Quittung aus: Dietrich, Wollenweberstraße 37 III.“
Kufalt faßt zögernd Block und Bleistift.
„Ach, Geld?“lacht Dietrich. „Geld! Natürlich kriegen Sie Ihre Mark fünfundzwanzig. Hier…“Er fischt in den Taschen.
„Eine Mark fünfundzwanzig. Stimmt gerade.“
Kufalt schreibt. „Ich danke auch schön“, sagt er und gibt die Quittung an Herrn Dietrich.
„Keine Ursache“, sagt der. „Keine Ursache. Wir arbeiten noch zusammen, ich habe es Ihnen gesagt.“
Und er verschwindet in der Kneipe, den Quittungszettel hat er sich unters Hutband gesteckt.
Das Herz klopfte dem Kufalt doch, als er vor der Tür seines ersten richtigen Kunden stand. Er wartete eine Weile, ehe er die Klingel zog: es sollte erst ruhiger gehen, aber es ging immer stärker.
Schließlich entschloß er sich zum Klingeln, Schritte kamen auf dem Flur, die Tür ging auf und ein junges Mädchen stand da. „Bitte?“fragte sie.
„Kann ich wohl Herrn Malermeister Benzin sprechen?“fragte Kufalt.
„Bitte schön“, sagte sie.
Sie ging voran über den Flur, sie machte eine Tür auf. „Vater, da ist ein Herr.“
Im Zimmer saß eine ältere, nette Frau am Tisch und schnitt Kohl in eine Schüssel. Der Meister, ein bärtiger Mann, stand am Fenster mit einem anderen Herrn.
„Was steht zu Diensten?“fragte der Meister.
Kufalt, in der Mitte des Zimmers, machte eine Verbeugung.