Der Feminismus ist noch lange nicht tot
Vor einem Jahr hat #MeToo einen Sturm entfacht. Aus gutem Grund hält die Debatte bis heute an. Denn es geht um die Grenzen des Anstands
Das Requiem war schon angestimmt, das Totenglöckchen läutete nur noch leise. Der Feminismus, so war in den Grabreden zu hören, sei mausetot. Verendet am eigenen Erfolg. Und irgendwie schwang da auch eine gewisse Erleichterung mit. Diese leidigen Geschlechterkämpfe waren vielen anstrengend geworden. Als zickig galten Frauen, die noch immer über männliche Dominanz lamentierten. Ewiggestrige Männerhasserinnen eben. „Emanze“war zum Kampfbegriff geworden. Wer sollte schon noch für Gleichberechtigung einstehen wollen, wo den jungen Frauen doch die Welt offen zu stehen schien? Welch ein Trugschluss! Aus dem lauen Lüftchen, das damals noch wehte, ist innerhalb eines Jahres ein veritabler Sturm geworden. Die Kampagne unter dem Motto #MeToo hat das Verhältnis zwischen Mann und Frau gehörig durcheinandergewirbelt. Me Too – Ich auch, zwei Wörter, die für etwas Großes stehen. Und das aus gutem Grund. Denn die gesellschaftlichen Strukturen sind noch immer von Männern geprägt – für nichts anderes sind sexuelle Übergriffe und Alltagssexismus ein Symptom. Nicht der dumme Spruch, der anzügliche Blick, der Griff ans Knie sind das eigentliche Problem, sondern das, was dahintersteht: Der Mann bestimmt die Regeln, die Frau hat sich zu fügen. Es geht um Macht und Ohnmacht. Und will Frau ganz vorne mitspielen, kratzt sie besser nicht an ungeschriebenen Gesetzen, sondern fügt sich ein. Die Netzwerke sind dicht gespannt, die Rollenbilder festgezurrt. MeToo mag die Welt nicht aus den Angeln gehoben haben, aber die Bewegung hat Probleme sichtbar gemacht. Man mag die #MeToo-Debatte für hysterisch halten. Man mag an der Lust, Männer ohne juristische Grundlage an den Pranger zu stellen, zweifeln. Man mag sich sogar über das jahrelange Schweigen vieler Frauen wundern. Was man nicht darf, ist, der Bewegung ihre Berechtigung absprechen. Ja, der Trommelwirbel ist laut. Aber endlich hört die Welt hin. Und sie erkennt: Der Feminismus ist weder überflüssig noch tot, er wird so dringend gebraucht wie eh und je. Und das nicht nur in Hollywood. Es ist Zeit, dass wir über unser Miteinander nachdenken und die Geschlechterordnung neu aushandeln. Es mag anstrengend sein, es mag bisweilen auch die Schmerzund Nervgrenze überschreiten. Aber eine Gesellschaft, die sich nicht streiten kann, ist zum Stillstand verdammt. Der Weg ist übrigens ganz leicht: Respekt lautet das Zauberwort. Nicht mehr. Nicht weniger. Damit sind auch jene Fragen beantwortet, in denen die Sorge vorgetragen wurde, dass der Flirt und die Leichtigkeit im Umgang der Geschlechter verloren gingen. Nein, meine Herren: Ein Flirt geschieht auf Augenhöhe und hat nicht zum Ziel, das Gegenüber zu erniedrigen. Der sogenannte Altherrenwitz aber ist bisweilen eben durchaus ein Mittel, um Frauen klarzumachen, dass Männer sich ihre Privilegien nicht wegschnappen lassen werden. Er schmiedet Bündnisse, weil Frauen und Männer in ihm in zwei verschiedenen Ligen spielen. Er festigt Hierarchien. Diesen Alltagssexismus kann kein Paragraf dieser Welt für uns unterbinden, das müssen wir selbst tun, indem wir einander klarmachen, wo die Grenzen des Hinnehmbaren liegen. So ist #MeToo im Grunde viel mehr als nur ein feministischer Aufschrei. Es geht nicht um Männer und Frauen. Es geht nicht darum, die einen zum Problemfall zu stempeln, damit die anderen heller strahlen können. Es geht auch nicht darum, dass Frauen nichts falsch und Männer nichts richtig machen können. Es geht um Respekt und Anstand.
Es geht nicht um Mann und Frau, es geht um Respekt