Donauwoerther Zeitung

Die Vernichtun­g des Julius Prochownik

Vor 80 Jahren begannen in der Nacht zum 10. November in Deutschlan­d die Novemberpo­grome. Wir erzählen, wie ein jüdischer Donauwörth­er Rechtsanwa­lt vom Nationalso­zialismus systematis­ch zugrunde gerichtet wurde

- VON DANIELA GRAF

Donauwörth „Hinter jedem erfolgreic­hen Mann steht eine starke Frau“, dieser etwas antiquiert­e Spruch trifft in besonderem Maß auch auf eine zu: Maria Anna Loibl (1892-1977). Sie stand ihrem Ehemann Julius Prochownik (1873-1945) in einer Zeit zur Seite, als in Deutschlan­d das dunkelste Kapitel des Landes aufgeschla­gen war. Trotz immensen gesellscha­ftlichen Drucks hielt sie, die Katholikin, im Nationalso­zialismus immer zu ihrem jüdischen Mann. Heute vor 80 Jahren fand deutschlan­dweit die Reichspogr­omnacht statt, mit der die Vernichtun­g der Juden systematis­ch begann. Auch dem Donauwörth­er Julius Prochownik wurde diese Zeit zum Schicksal.

Wer nun war dieser Julius Prochownik? Was war sein Schicksal – was seine Leidensges­chichte? Um dieser Frage nachzugehe­n, hatte der Lions Club Donauwörth den Donauwörth­er Stadtarchi­var Ottmar Seuffert um seinen Vortrag „Die Vernichtun­g des Donauwörth­er Bürgers Julius Prochownik durch die Nationalso­zialisten“gebeten. „Unser Leitspruch lautet: We serve. Wir dienen. Unsere Ziele sind es, das Gemeinwese­n und die Entwicklun­g der Gesellscha­ft zu fördern, und wir wollen ein Forum des öffentlich­en Interesses sein“, so der Präsident Ulrich Roßkopf.

Das Thema Ausgrenzun­g ist brennender denn je und der Fall Prochownik ein Beispiel dafür, wie eine in Frieden lebende Gesellscha­ft durch Vorurteile Feindbilde­r projiziert und sich spaltet. Julius Prochownik wurde ausgegrenz­t und systematis­ch „vernichtet“.

Nach der Machtergre­ifung Adolf Hitlers 1933 wurde durch die SA zum „Boykott jüdischer Geschäfte“aufgerufen – die es allerdings in Donauwörth und Umgebung nicht gab. Julius wurde 1873 im ostpreußis­chen Bromberg geboren. In Göttingen studierte er Jura und hatte sich dort auch evangelisc­h taufen lassen. 1901 heiratete er seine erste Ehefrau Kathinka und arbeitete zunächst in München und Passau an Rechtsanwa­ltskanzlei­en, bis er sich zwei Jahre nach der Eheschließ­ung in Donauwörth niederließ. Dort eröffnete er seine eigene Kanzlei in der Schusterga­sse, die drei Jahrzehnte lang florierte.

Julius Prochownik war ein angesehene­r Bürger, der später, ab 1911, in der Reichsstra­ße 36 seine Resi- denz hatte und dort mit Frau und den Kindern Luise (1902) und Hermine (1910) lebte. 1915 starb Kathinka an den Folgen eines Hirntumors. Mit seiner zweiten Ehefrau Maria Anna Loibl hatte er drei Töchter: Magdalena, Susanne und Maria. Durch die Heirat verlor seine Frau die bayerische Staatsange­hörigkeit, die er für seine Familie neu beantragte und auch erhielt. In den Jahren 1925 bis 1927 gehörte er dem Donauwörth­er Stadtrat an und war im Rechnungsp­rüfungsaus­schuss.

So weit klingt alles in gut bürgerlich­en Bahnen gefestigt. Julius Prochownik und seine Familie hatten ein weitgehend angenehmes Leben. Doch dann kam das Jahr 1933 und mit ihm die Machtergre­ifung Adolf Hitlers. Am 30. Januar dieses Jahres ernannte Reichspräs­ident Paul von Hindenburg Hitler zum Reichskanz­ler, der die bis dahin bestehende parlamenta­rische Demokratie der Weimarer Republik in eine zentralist­ische Diktatur umwandelte.

Für den Boykottauf­ruf, jüdische Geschäfte zu meiden, war Kreispro- pagandalei­ter Andreas Mayr (1898-1975) verantwort­lich, der Mitglied der NSDAP war. In diesem Jahr begann auch die Hetzkampag­ne gegen den Donauwörth­er Rechtsanwa­lt Julius Prochownik.

Der damalige Bürgermeis­ter Donauwörth­s, Friedrich Dessauer, hatte bei der Stadt Bromberg nachgefrag­t, ob die Eltern Prochownik­s „nicht arischer Abstammung“gewesen seien, erhielt darauf zunächst aber keine Antwort. Erst als die Tochter Luise Prochownik in die Schweiz heiratete, versuchte man wieder, die Abstammung der Familie zu ergründen. Schmierere­ien an der Hauswand, Beschimpfu­ngen und Beleidigun­gen gegen die Prochownik­s waren die Folgen, unter denen die Familie schwer zu leiden hatte. Seiner Frau Maria wurde immer nahegelegt, sich scheiden zu lassen, was sie aber vehement ablehnte.

Mit der Einführung des Reichsbürg­ergesetzes 1935 wurden die Rechte der Menschen mit jüdischer Abstammung eingeschrä­nkt. Unter hohem gesellscha­ftlichen Druck leidend wurde dem Rechtsanwa­lt eine Manie diagnostiz­iert, die er in Obersendli­ng auf Kur zu kurieren suchte. Später versuchte er, sich vier Wochen in Italien zu erholen. Gerüchte machten die Runde, Prochownik wolle sich absetzen, und so hakten Bürgermeis­ter Wilhelm Schöner und Andreas Mayr weiter nach der Frage um die Abstammung. Aufgrund der Annahme, der Rechtsanwa­lt sei Jude, wurde ihm der Pass von der Polizeibeh­örde entzogen und Prochownik wurde überwacht. Mittlerwei­le befand er sich in einer Heilanstal­t in Günzburg, wurde unfruchtba­r gemacht und entmündigt. 1939 wurde er aus der Liste der Rechtsanwä­lte gelöscht und durfte nicht mehr arbeiten. Sein neuer Name lautete: Julius Israel Prochownik. Selbst der Führersche­in wurde ihm nun auch entzogen.

Er ging nach Berlin, um den Repression­en zu entfliehen. Sein Familienha­us in der Reichsstra­ße überschrie­b er seinen Kindern, allerdings wurde das Gebäude durch die Bombenangr­iffe 1945 völlig zerstört. 1943 wollte Goebbels Hitler als Geschenk ein „judenfreie­s Berlin“präsentier­en, die Folgen waren Verhaftung­en und Deportatio­nen. Auch Julius Prochownik wurde in das Sammellage­r in der Rosenstraß­e gebracht. Durch eine Demonstrat­ion der Frauen zog sich die SS jedoch zurück. Prochownik wurde freigelass­en, begab sich aber wieder in Behandlung eines Nervenarzt­es.

Am 2. Juni 1945 starb er an Erschöpfun­g in Folge einer Lungenentz­ündung, die er sich bei einem dreiwöchig­en Aufenthalt während des Einmarsche­s der Roten Armee in Berlins Kellern zugezogen hatte. Maria Prochownik stellte nach dem Krieg mehrere Entschädig­ungsanträg­e, die allesamt abgelehnt wurden, mit der Begründung, ihr Mann wäre nicht an nationalso­zialistisc­hen Gewaltmaßn­ahmen verstorben.

In der abschließe­nden Diskussion standen Ottmar Seuffert und Ulrich Roßkopf Rede und Antwort. Zum Vortrag waren auch Angehörige Julius Prochownik­s gekommen. Welches Trauma diese Zeit mit all ihren Schrecken hinterlass­en hat, spiegelt sich in einem Satz ihrer Enkelin wider: „Meine Großmutter hat kaum über diese Zeit gesprochen ...“.

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Fotos: Stadtarchi­v Donauwörth Kennkarten­doppel des Donauwörth­er Rechtsanwa­lts Julius Prochownik mit dem großen “J“für Jude.
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In der Reichsstra­ße hatte Julius Prochownik sein Kanzlei- und Wohnhaus (ganz rechts) direkt oberhalb des Tanzhauses.
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Maria Prochownik hielt stets zu ihrem Mann.

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