Zweimal Dschungel, bitte!
Sri Lanka Die Insel ist bekannt für ihre Ayurveda-Kuren und traumhaften Strandkulissen. Dabei gibt es dort noch viel mehr zu sehen. Zwei Orte für Entdecker, die unterschiedlicher nicht sein könnten
Es hätte dieser magische Moment werden können. Dieser Moment, in dem man sich kneifen möchte, ob das denn nun die Wirklichkeit ist. Dieser Augenblick, von dem man noch Jahre nach einer Reise erzählt. Stell dir nur vor! Was mir passiert ist … Doch ich habe diesen Moment verschlafen.
Nach fünf Tagen auf Sri Lanka habe ich mich längst an die Geräusche des Dschungels gewöhnt. Er raschelt, kreischt, brummt, pfeift und surrt. Am lautesten sind die Affen. Die Geräusche in meinem Garten wecken mich zwar auch in dieser Nacht, ich sorge mich aber mehr um die Schwüle in meinem Zimmer, stöhne kurz auf und schlafe sofort wieder ein. Hätte ich nur einmal Richtung Terrassentür geblickt, wäre ich schlagartig wach gewesen. Doch ich werde erst beim Frühstück erfahren: Ich hatte heute Nacht Besuch – von einem Elefanten.
Ich genieße gerade meinen Obstsalat, als Ranger Praneeth mich aufklärt. „Du musst einen sehr festen Schlaf haben“, sagt der 31-Jährige auf Englisch, leicht amüsiert, leicht verwundert, aber wohl auch erleichtert, dass er mir tags zuvor noch erklärt hatte, dass ich meine Lodge nach Einbruch der Dunkelheit aus Sicherheitsgründen nur in Begleitung eines Rangers verlassen dürfe. Gleich drei Experten, sagt er, hätten die verirrte Elefantendame behutsam wieder auf den richtigen Weg gebracht. Die 14 Lodges der „Chena Huts“haben die Ranger rund um die Uhr im Blick. Das Resort liegt mitten in der Wildnis, nahe des bekannten Yala-Nationalparks.
Wer eine Reise nach Sri Lanka plant, denkt meist nicht zuerst an die Elefanten, von denen im Osten Süden schätzungsweise 6000 leben. Die Insel, die gerade einmal so groß ist wie Bayern, ist bekannt für ihre Ayurveda-Kuren, historischen Tempel und traumhaften Strandkulissen. Dabei ist der Inselstaat südlich von Indien noch gar nicht lange komplett für Urlauber zugänglich. 26 Jahre lang herrschte Bürgerkrieg, die „Tamil Tigers“kämpften für Unabhängigkeit der von Tamilen bewohnten Gebiete im Norden und Osten Sri Lankas, doch die Mehrheit der Singhalesen setzte sich gewaltsam durch. 2009 kehrte Frieden ein – der Start einer Rekord-Entwicklung. Tourismus ist nun ein Hauptwirtschaftszweig, neben dem Anbau von Tee. Viele Urlauber reisen allerdings nur zu den klassischen, von Touristen überlaufenen Strandzielen wie Beruwala oder Hikkaduwa an der Westküste. Tatsächlich aber bietet kaum ein Land Asiens auf so kleiner Fläche eine solche Vielfalt: Berge, Städte, Strände, Tempel, Tiere und Natur.
In Sri Lanka bedecken 22 Nationalparks und 90 Naturschutzgebiete etwa 15 Prozent der Landesfläche. Yala ist das älteste Naturschutzgebiet der Insel. Nur ein kleinerer Teil der meernahen Savannenlandschaft darf von Touristen besucht werden, die zumindest einen Teil von Sri Lankas „Big Five“, bestehend aus Leopard, Elefant, Wasserbüffel, Lippenbär und Blauwal, sehen wollen. „Bereit für die Elefanten?“, ruft mir Praneeth zu, als ich mit ihm und zwei weiteren Touristinnen in den Jeep steige.
Das Gelände des Nationalparks ist überraschend wasserreich und dschungelig. Leicht zu erspähen sind blaue Pfaue, Hirsche und turnende Affen, faule Krokodile und glotzende Wasserbüffel. Wenn nicht gerade ein Tier ruft, ist es ruhig. wenn nicht gerade ein Anruf kommt. Ranger Praneeth hat einen Tipp von einem Kollegen bekommen – und unser Fahrer schaltet einen Gang höher.
Rush Hour mitten in der Natur. Ein Geländewagen nach dem anderen rauscht an, nach fünf Minuten sind es acht Fahrzeuge. Ein Fahrer schimpft auf Singhalesisch, die anderen rangieren und die Touristen auf den Rückbänken bringen sich in Position. Alle Augen, Ferngläser und Fotoapparate sind nach rechts gerichtet. Und er, um den es hier geht, liegt einfach nur da und genießt die Sonne. Kurz hebt der junge Leopard seinen Kopf, gähnt und entblößt seine Reißzähne. Dann trottet er fast schon gelangweilt ins Gebüsch. Die Show war kurz, die Touristen sind trotzdem glücklich und zeigen sich stolz ihre Beute auf den Displays ihrer Kameras.
Das Treffen mit dem ganz Ground ßen findet eine Stunde später statt. Wir stören ihn gerade beim Fressen. „Der ist zu allem fähig“, analysiert Praneeth mit einem Blick Richtung Elefantenbulle, der sich gerade vor unserem Jeep aufbaut. Seine Ohren hat der Dickhäuter schnell bedrohlich hoch aufgestellt und den Rüssel verdächtig nach innen gerollt. Immer wieder macht er einen Schritt auf uns zu, immer wieder legt der Fahrer den Rückwärtsgang ein. Dann, nach fünf Minuten Imponiergehabe, verschwindet der Bulle im Dickicht. Und ich bin plötzlich ganz froh, dass ich meine nächtliche Besucherin verpasst habe.
Auf Safari in Sri Lanka gehen, das wollen immer mehr. Knapp 400 000 Besucher zählte der Yala-Nationalpark im vergangenen Jahr, etwa die Hälfte davon waren Einheimische. Insgesamt kamen 2017 rund zwei Millionen Touristen auf die Insel – und die Ziele des Landes sind ambiOder tioniert. Laut Botschaft soll sich diese Zahl bis 2020 verdoppeln. Die Aussichten sind nicht schlecht: Der Kultreiseführer „Lonely Planet“hat Sri Lanka eben erst zum Top-Reiseziel für das Jahr 2019 ernannt.
„Wir sind glücklich, dass jetzt immer mehr Besucher kommen“, freut sich Mark Forbes. Der Fremdenführer, hier im Land geboren, mit schottisch-niederländischen Vorfahren, ist stolz auf die Entwicklung Sri Lankas. Seit sieben Jahren führt der Fotograf Touristen durch Colombo und zeigt, welche Erfolge dort während der kurzen Friedenszeit bereits zu verzeichnen sind. Während der Stadtführer von den architektonischen Sehenswürdigkeiten und Museen, die sich hier neuerdings entdecken lassen, schwärmt, können wir kaum glauben, dass wir vor wenigen Stunden noch mitten im Dschungel waren. Links türmt sich nun moderne Glasfassaden-Architektur auf, rechts sehen wir restaurierte Kolonialbauten. Forbes freut sich über die erstaunten Blicke. „Vor zehn Jahren noch zeigte kein Besucher Interesse an der Hauptstadt, es wird besser, aber ich fürchte, unsere Strände sind einfach zu schön“, sagt der Fotograf, der seine Freizeit selbst am liebsten im Dschungel verbringt – um mit seiner Kamera Leoparden zu jagen.
Colombo mit seinen 700 000 Einwohnern hat nicht einen, sondern viele Mittelpunkte. Das PettahViertel ist ein südasiatischer Basar wie aus dem Bilderbuch, der aus dem rasterförmigen Straßenplan förmlich herausquillt. Das Gewusel ist ohrenbetäubend, staubig und es duftet mal nach Jasmin, mal nach Leder, mal nach Rauch. In den Gassen stapeln sich Obst, Gemüse, säckeweise farbenfrohe Pulver und Kräuter. Es gilt, sich treiben zu lassen zwischen Dreiradtaxis und Lastkarren, Händlern und Lotterie-Verkäufern. Die schieben ihre Fahrräder durch die Gassen, den Lautsprecher am Lenker, und versprechen das große Glück.
Bei allem vermeintlichen Chaos – die Straßen sind nach Waren getrennt wie zu alten Zunftzeiten: Stoffe in der einen, Gewürze und Gemüse in der anderen. Schweißgebadete Lastenträger balancieren Körbe auf ihren Köpfen, hieven Säcke und Kisten durch das Gedränge. Wir, die versuchen, das alles auf einem Foto festzuhalten – denn das werden wir nirgendwo sonst zu sehen bekommen –, werden von den Fremden immer wieder gegrüßt. „Herzlich willkommen“, sagen sie. Und so fühlt es sich auch an.
Am späten Abend in der Park Street ist das alles ganz weit weg – die staubige, bunte Altstadt und die Elefanten erst recht. Wir ziehen von Bar zu Bar und könnten dabei gerade genauso gut in jeder anderen Großstadt dieser Welt sein. Überall ist Englisch zu hören, GraffitiKunst ziert die Wände, stimmungsvolle Lichterketten sind über die Straße gespannt – in einem Lokal gibt es Tapas, nebenan italienisches Eis. Ja, Colombo kann auch Metropole und zeigt einmal mehr seine Vielseitigkeit, mit der die ganze Insel mithalten kann.
Zurück im Hotel, mitten im Großstadtdschungel, kehrt überraschend schnell Ruhe ein. Anders als 250 Kilometer entfernt erwartet mich zum Einschlafen nur ein Geräusch: das nervige Gesumme einer Mücke.
Sich einfach treiben lassen in Colombo