Was Kinder sich wünschen
Ein Besuch im Weihnachtspostamt in Unterfranken. Dort kommen kistenweise Briefe von Kindern aus der ganzen Welt an – mit Wünschen, die mal zum Lachen, mal zum Weinen sind
Himmelstadt Bernd Schotte öffnet die Briefe. Links rein in die Maschine, rechts wieder raus. Ein Brief und noch ein Brief und noch ein Brief und... Links neben Bernd Schotte steht eine volle Postkiste auf dem Boden, rechts neben ihm eine fast volle Kiste, hinter ihm stehen gelbe Kisten. Aufeinandergestapelt, bis hoch unter die Decke. „Jetzt kommen die Ausländer“, sagt Bernd Schotte und zieht einen Packen mit vielen exotischen Briefmarken und Stempeln aus der Kiste links. Wahrscheinlich hat in Taiwan ein ganzer Deutschkurs ans Christkind gedacht. Und einer in Hongkong auch.
Um Viertel vor acht hat Bernd Schotte schon die Wannen mit aberhunderten von Briefen ans Weihnachtspostamt Himmelstadt im großen Postamt in Zellingen abgeholt. Im Rathaus Himmelstadt (Landkreis Main-spessart), wo die Weihnachtspostfiliale ihren Sitz hat, auf den Briefträger zu warten, würde zu lange dauern. Wenn die Helfer um neun Uhr kommen, soll schon ein erster Schwung Umschläge geschlitzt sein.
Wochenlang schon hatten die Helfer des Christkinds Wunschzettel gelesen und Antworten geschrieben. Am ersten Advent konnten die ersten Briefe endlich raus an die Kinder. Zur Eröffnung war Landtagspräsidentin Ilse Aigner da. Am Montag danach gingen fast 8500 frankierte und gestempelte Briefe hinaus in die Welt. Und seitdem geht das ohne Unterbrechung so, Tag für Tag, Kiste für Kiste für Kiste für Kiste. Die Briefe werden geöffnet – und erst einmal sortiert. Standard. Zusatz. Ausland. Kinderund Seniorenheime. Sonderfälle. „Gerührt ist man schon öfters. Ich hab’ schon oft geweint“, sagt Roswitha Schotte. Zusatz heißt: Wer besonders schön schreibt, den Wunschzettel gedichtet, gemalt und ausgeschmückt hat oder dem Christkind vielleicht noch eine kleine Bastelei in den Umschlag steckte, bekommt außer dem Standardbrief des Christkinds einen kleinen persönlichen Text zurückgeschickt. Handschriftlich.
Seit 1994 leitet Rosemarie Schotte in Himmelstadt das Weihnachtspostamt und stellt sicher, dass tausende Kinder in aller Welt Post vom Christkind bekommen. 78 Jahre ist sie jetzt, heftig erkältet und überhaupt gesundheitlich angeschlagen – aber kistenweise wollen die Briefe beantwortet sein, also sitzt sie Tag für Tag im Rathaus mit ihren Hel- fern. Personalstand heuer: 42 Leute, ehrenamtlich allesamt.
Unten im ersten Stock füllen sich die Kisten mit den sortierten Wunschzetteln. Gleich werden die ersten Schreiber kommen und jeweils einen Stapel mitnehmen. Das Christkind schreibt und antwortet von daheim, manchmal bis tief in die Nacht. Auch die Kiste „Recherche“ ist an diesem Vormittag schon gut gefüllt. Wenn irgendwo ein Nachname fehlt, ein Kind nicht die komplette Adresse auf seinen Wunschzettel geschrieben hat, versuchen die Helfer des Christkinds, alle Daten herauszufinden. Apropos: „Das ist in diesem Jahr ganz arg mit dem Datenschutz“, sagt Bernd Schotte. Besorgte Eltern rufen an und wollen ganz genau wissen, wie das ist und wie das läuft mit den Kindernamen und Adressen und überhaupt.
„Wir sind für die Kinder da. Aber die langen Briefe kommen von Erwachsenen“, sagt Rosemarie Schotte über die Kiste mit den Problemfällen gebeugt und grübelt. „Hier: Mama tot. Papa tot. Leukämie. Oma im Himmel. Schwester tot. Ein Kind Krebs. Armut“, liest die 78-Jährige die Stichworte vor, die ihr die Helfer beim Sortieren auf den Umschlag geschrieben haben.
Bundesweit gibt es sieben Weihnachtspostfilialen: zwei vom Weihnachtsmann, drei vom Christkind und zwei vom Nikolaus. „Aber unser Alleinstellungsmerkmal ist: Wir machen alles selbst“, sagt die Chefin, die heuer das Ehrenzeichen des bayerischen Ministerpräsidenten verliehen bekam. „Bei den anderen macht eine Agentur die Briefe, und die Marke ist auch schon drauf.“Die Kosten für die Briefe aus den Weihnachtspostämtern übernimmt die Deutsche Post AG. Wie viel Geld sie dafür ausgibt, verrät sie nicht. Ganz zu Beginn, Mitte der 1980er Jahre, da begann alles mit ein paar hundert Briefen. Als Rosemarie Schotte vor einem Vierteljahrhundert ihren Himmelspost-job antrat, kamen jedes Jahr 25 000 Briefe nach Himmelstadt. Jetzt sind es schon 80 000.
Am Sortiertisch wird gelacht, jemand liest kurz mal trotz Briefgeheimnis vor: „Ich wünsche mir einen Hund. Er sollte nicht wachsen.“Man merke, was gerade in der Werbung sei, sagen die Helferinnen des Christkinds. Und neben den Spielzeugklassikern gibt’s manchmal auch Spezialaufträge: einen Zahn vom Hai, aber „von einem echten und großen“. Dass es bitte den anderen Kindern gut geht. Und ein Mädchen wünscht sich Sprühsahne. Rosemarie Schotte sagt: „Ich maße mir nicht an, das Christkind zu sein.“Ihr geht es darum, Kinderaugen zum Strahlen zu bringen. Und vielleicht ein wenig Trost zu geben und Hoffnung zu spenden.
Aus 120 Ländern haben Kinder dem Christkind schon nach Himmelstadt geschrieben. Wenn die Wunschzettel bis zum 17. Dezember abgeschickt werden, ist eine Antwort garantiert, versprechen die Helfer und schreiben sich bis Heiligabend die Finger wund. Und auch noch eine ganze Weile nach dem Fest, da ist Rosemarie Schotte resolut: „Jeder bekommt Antwort.“Die Adresse vom Christkind ist ganz einfach: An das Christkind, 97267 Himmelstadt.