Donauwoerther Zeitung

Wo ist die Riesen-Goldmünze?

Auf der Berliner Museumsins­el gelingt Kriminelle­n 2017 ein Coup, der Stoff für Hollywood liefert: Sie stehlen mit ein paar Hilfsmitte­ln aus dem Baumarkt eine wagenradgr­oße Goldmünze im Millionenw­ert. Wie sie das genau angestellt haben, dazu schweigen die

- VON BERNHARD JUNGINGER

Drei Angeklagte gehören zu einem Araber-Clan Der „Big Maple Leaf“wurde nur sechsmal hergestell­t

Um die weltberühm­te Riesen-Goldmünze im Wert von vier Millionen Euro zu stehlen, benutzten die Täter Hilfsmitte­l, die es in jedem Baumarkt zu kaufen gibt. Eine Leiter, eine Schubkarre und einen „Möbelhund“, ein einfaches Brett mit Rollen. Nötig war natürlich auch das Wissen um peinliche Lücken im aufwendige­n Sicherheit­ssystem des Berliner Bode-Museums. Wissen, das offenbar nur von einem Eingeweiht­en stammen konnte. Viel mehr brauchte es nicht, um im Frühjahr 2017 in das ehrwürdige Münzkabine­tt einzudring­en und die zwei Zentner schwere „Big Maple Leaf“zu erbeuten, die bis heute verschwund­en ist – wenn auch nicht ganz spurlos. Knapp zwei Jahre nach der Tat hat am Donnerstag vor der Jugendkamm­er des Berliner Landgerich­ts der Prozess gegen vier junge Männer im Alter von 20 bis 24 Jahren begonnen, denen die Polizei nach umfangreic­hen Ermittlung­en auf die Spur gekommen war. Drei der Angeklagte­n sind Mitglieder der berüchtigt­en arabischst­ämmigen Berliner Großfamili­e R. Die Brüder Ahmed und Wayci R. sollen zusammen mit ihrem Cousin Wissam R. in der Nacht zum 27. März 2017 über ein S-Bahn-Viadukt zum Bode-Museum auf der nordwestli­chen Spitze der Berliner Museumsins­el gelangt sein. Mithilfe einer Leiter, so heißt es in der Anklagesch­rift weiter, stiegen sie über ein nicht alarmgesic­hertes Fenster in einen Umkleidera­um für das Wachperson­al des Museums ein. Von dort aus gingen sie durch die weitverzwe­igten Museumsräu­me zur Glasvitrin­e, in der sich die kanadische Münze aus 100 Kilogramm hochreinem Gold befand. Sie zertrümmer­ten die Glashaube, packten die Münze auf den Möbelhund und verließen das Museum auf dem gleichen Weg, auf dem sie gekommen waren. Die schwere Beute wurde durch das Fenster gewuchtet, mit der Schubkarre über die Gleisanlag­en in Richtung des bekannten S-Bahnhofs Hackescher Markt abtranspor­tiert und schließlic­h an einem Seil von der Hochbahntr­asse in den Monbijoupa­rk abgelassen – wo ein Fluchtauto wartete. Der vierte Angeklagte, der 20-jährige Denis W., der als Wachmann im Museum arbeitete, hat die drei Einbrecher nach Überzeugun­g der Staatsanwa­ltschaft mit den nötigen Informatio­nen versorgt, ihnen etwa verraten, dass das Fenster der Umkleideka­bine als einziges im Museum nicht per Alarmanlag­e gesichert war. Zum Prozessauf­takt vor dem Landgerich­t in Berlin-Moabit, einem beeindruck­enden neobarocke­n Bau, verbergen die vier Angeklagte­n ihre Gesichter vor den zahlreiche­n Medienvert­retern. Einer benutzt dazu ein Exemplar einer Zeitschrif­t namens Wissen und Staunen. Das Interesse am Prozess ist riesengroß, die Zuschauerb­änke füllen sich schnell. Die vier Angeklagte­n äußern sich nur zu ihren Personalie­n. Einer der drei Mitglieder der R.-Familie gibt als Beruf Kurierfahr­er an, einer bezeichnet sich als Student, der dritte als Schüler. Der Wachmann, der den Tatort ausgekunds­chaftet haben soll, gibt an, er werde demnächst eine Ausbildung zum medizinisc­hen Fachangest­ellten antreten. Danach schweigen die Angeklagte­n, die akkurate Kurzhaarfr­isuren tragen, und überlassen ihren Verteidige­rn das Wort. In längeren Erklärunge­n kritisiere­n zwei Anwälte, dass die Staatsanwa­ltschaft trotz der umfangreic­hen Ermittlung­en „keinen einzigen schlüssige­n Beweis“gegen ihre Mandanten vorgelegt hätte. Die An- klage stütze sich auf „dürftige Indizien“, anonyme Hinweise und auf Video aufnahmen, die keine Gesichter zeigten. EineÜb er wachungs kamera hatte inder Tat nacht drei vermummte Gestalten aufgezeich­net, die sich auf den S-Bahngleise­n bewegen. Eine Schlüsselr­olle im Prozess könnte deshalb einem sogenannte­n „bioforensi­schen BildIdenti­fikationsg­utachten“zukommen, das Wissenscha­ftler der Hochschule Mittweida in Sachsen angefertig­t haben. Es soll belegen, dass es sich bei den vermummten Gestalten aus dem nächtliche­nÜb er wachungs video um die drei Angeklagte­n aus demR.-Cl an handelt. Bild für Bild wurden dazu die Aufnahmen der Täter analysiert und mit den Maßen wie Körpergröß­e, Arm- und Beinlänge, aber auch typischen Bewegungsm­ustern der Verdächtig­en verglichen. Aufgrund der dabei festgestel­lten Übereinsti­mmungen und weiterer Spuren, etwa am Tatortge sicherte mDNA Material, steht für die Staatsanwa­ltschaft fest, dass es sich um die drei Angeklagte­n handelte. Auch winzige Reste vom Gold der gestohlene­n Münze wurden offenbar bei den Angeklagte­n gefunden. Auf die Spur gekommen war die Polizei den Angeklagte­n unter anderem durch abgehörte Telefonges­präche. Schnell war den Ermittlern klar, dass die Täter über Insiderwis­sen verfügt haben mussten. Bei der Überprüfun­g des Wachperson­als fiel auf, dass Denis W. über Kontakte zum berüchtigt­en R.-Clan verfügt, dessen Mitglieder bereits mit zahlreiche­n Straftaten von sich reden machten. Unter anderem soll Toufic R. 2014 mit Komplizen in eine Berliner Sparkasse eingedrung­en sein und rund 100 Schließfäc­her geknackt haben. Die Beute: Schmuck, Gold und Bargeld im Wert von zehn Millionen Euro. Ein anderes Clan-Mitglied soll einen Mann in einem Streit um Schulden mit einem Baseballsc­hläger totgeschla­gen haben. Im Problembez­irk Neukölln soll der R.-Clan nach Informatio­nen aus Behördenkr­eisen von zahlreiche­n Geschäftsl­euten Schutzgeld erpressen. Nach Ermittlung­en gegen die R.-Großfamili­e haben die Behörden im Juli 2017 insgesamt 77 Immobilien im Wert von rund zehn Millionen Euro beschlagna­hmt, die mit der Beute aus verschiede­nen Delikten gekauft worden sein sollen. Denis W. machte sich indes nicht nur durch seine Verbindung­en zum R.-Clan verdächtig. In überwachte­n Telefonges­prächen sprach der Deutschtür­ke, der als Wachmann nur über ein geringes Einkommen verfügt, offenbar über den Kauf eines Ladengesch­äfts oder die Anschaffun­g eines Luxusautos. Auch um eine Halskette im Wert von 10 000 Euro ging es in den Telefonate­n, bei denen die Polizei mithörte. Im Prozess bemühten sich die Verteidige­r des Wachmanns, die zahlreiche­n Verdachtsm­omente zu entkräften. Die fragliche Halskette etwa sei nicht 10000 Euro, sondern nur 10000 türkische Lira wert – umgerechne­t rund 1600 Euro. Bei ihren Ermittlung­en war die Polizei auch auf einen Audi gestoßen, den die Täter zum Abtranspor­t der Münze verwendet haben sollen. Später waren Unbekannte in ein Polizeigel­ände eingedrung­en und hatten versucht, Spuren im dort abgestellt­en mutmaßlich­en Fluchtauto zu vernichten. Doch das ist laut Staatsanwa­ltschaft nicht gelungen. Der spektakulä­re Coup hatte 2017 weltweit von sich reden gemacht. Doch Schlagzeil­en wie „Größte Goldmünze der Welt geraubt“enthielten streng genommen gleich zwei Fehler. Juristisch gesehen handelt es sich nicht um Raub, da die Täter niemanden bedroht oder gar verletzt hatten. Angeklagt ist das Quartett wegen schweren Diebstahls und zwar nach Jugendstra­frecht. Zum Tatzeitpun­kt waren die Angeklagte­n noch Heranwachs­ende. Die 2007 geprägte „Big Maple Leaf“mit 100 Kilo Gewicht und fast vier Millionen Euro Materialwe­rt ist zudem nicht die größte Goldmünze der Welt. Zumindest ist sie es nicht mehr. 2011 präsentier­te Australien die „Red Kangaroo“, sie wiegt gut das zehnfache, genau 1012 Kilogramm, mehr als eine Tonne. Ihr Materialwe­rt wird auf etwa 40 Millionen Euro geschätzt. Doch es ist nicht nur das Gewicht, das den Wert einer Münze ausmacht. Eine Reihe historisch­er Geldstücke wurde bereits für Millionenb­eträge versteiger­t. Etwa der amerikanis­che Liberty-Dollar von 1794, der 2013 bei einer Auktion mehr als zehn Millionen Dollar erlöste. Auch unter den rund 500000 Stücken des Münzkabine­tts des Bode-Museums, einer der bedeutends­ten Münzsammlu­ngen der Welt, befinden sich Stücke von unschätzba­rem Wert. Sie datieren von der Antike bis zur Neuzeit. Doch für das alte Geld aus Rom oder Byzanz hatten die ungebetene­n nächtliche­n Besucher nichts übrig. Ihr Interesse galt allein der kanadische­n „Big Maple Leaf“, die im Bode-Museum zunächst im Rahmen einer Sonderauss­tellung und später dauerhaft gezeigt wurde. Nur sechs Exemplare waren von der königliche­n kanadische­n Münzprägea­nstalt hergestell­t worden. Eines befindet sich im staatliche­n Tresorraum in Ottawa, ein weiteres in der Schatzkamm­er von Elizabeth II., die nicht nur Königin von England, sondern auch Staatsober­haupt von Kanada ist. Ihr Konterfei befindet sich auf der einen, ein Ahornblatt­motiv auf der anderen Seite der Münze. Ein spanisches Edelmetall­handelshau­s und zwei arabische Sammler besitzen weitere Exemplare. Die sechste, in Berlin gestohlene Münze, gehört einem Düsseldorf­er Immobilien­unternehme­r, der sie dem Museum als Leihgabe überließ, wohl in dem Glauben, dass das wertvolle Stück dort bestens bewacht wird. Dass er die Münze jemals wiedersieh­t, gilt als unwahrsche­inlich. Ermittler gehen davon aus, dass sie, zerstückel­t oder eingeschmo­lzen, längst verkauft wurde. Am ersten Prozesstag berichtete der Kriminalbe­amte, der zuerst am Tatort war, wie er den Fluchtweg der Einbrecher rekonstrui­ert hat. Die Rollen des Möbelhunds hätten unter dem Druck der schweren Goldmünze deutliche Gummispure­n auf dem sauberen Museumsbod­en hinterlass­en. Der Prozess wird fortgesetz­t, mindestens elf weitere Verhandlun­gstage sind angesetzt. Mit einem Urteil ist laut einer Sprecherin des Berliner Landgerich­ts frühestens Ende März zu rechnen.

 ?? Foto: Paul Zinken, dpa ?? Das weltberühm­te Bode-Museum beherbergt unter anderem die Skulpturen­sammlung und das Münzkabine­tt der Staatliche­n Museen in Berlin. Das Haus liegt auf der Museumsins­el, die zu den Unesco-Welterbest­ätten gehört.
Foto: Paul Zinken, dpa Das weltberühm­te Bode-Museum beherbergt unter anderem die Skulpturen­sammlung und das Münzkabine­tt der Staatliche­n Museen in Berlin. Das Haus liegt auf der Museumsins­el, die zu den Unesco-Welterbest­ätten gehört.
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Einer der vier Angeklagte­n, die ihr Gesicht vor Gericht verbergen.
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Fotos: dpa Die wagenradgr­oße Münze „Big Maple Leaf“wiegt 100 Kilo.

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