Die politische Zweckehe bröckelt
Regierung SPD und Union bemühen sich bei ihren Klausuren um eine klarere Abgrenzung. Das wird das gemeinsame Regieren schwieriger machen. Bereiten sie sich schon auf den Bruch vor?
Berlin Die einen betreiben Selbsttherapie, indem sie den Sozialstaat nach links rücken wollen. Die anderen versuchen, bei einem Werkstattgespräch die eigene Politik zumindest ein Stück weit nach rechts zu manövrieren. Am Mittwoch aber, da werden CDU, CSU und SPD nach langer Zeit einmal wieder beim Koalitionsausschuss gemeinsam zusammenkommen müssen. Mit der Christdemokratin Annegret Kramp-Karrenbauer und dem Christsozialen Markus Söder nehmen zwei Parteichefs zum ersten Mal an dem Spitzentreffen teil. Nicht neu ist, dass es pünktlich zum Koalitionsausschuss heftigen Streit zwischen Schwarz und Rot gibt. Auf dem Spiel steht dabei nicht weniger als die Fortsetzung der Koalition.
Der bayerische Ministerpräsident Söder hatte zwar kürzlich erst angemahnt, der Koalitionsausschuss dürfe nicht immer nur ein Streitschlichtungsinstrument sein. Doch sein Flehen verhallte offenbar wirkungslos. Nachdem die SPD am Montag ihre Klausurtagung der Parteispitze beendet und ihre Pläne zur Abschaffung des Hartz-IV-Systems noch einmal erläutert hatte, stellte sich die Union sofort quer.
„Die SPD ist mit ihren jüngsten sozialpolitischen Vorschlägen auf dem Weg in die Vergangenheit und nicht in die Zukunft“, schimpfte der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Peter Weiß. Die SPD mache „eine rückwärts zum Fürsorgestaat“, beklagte der CDU-Politiker.
Nahles wies das zurück und versuchte sich in Abwiegelung. Die Vorschläge seien „erst einmal eine Positionierung und klare Aufstellung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“, sagte sie. Das ganze Paket könne in der laufenden Legislaturperiode sicher nicht umgesetzt werden.
Ganz glaubwürdig ist das nicht, denn Nahles und die SPD sind unter dem Druck von schlechten Umfragewerten. Am 26. Mai stehen die Europa- sowie die Landtagswahl (Bürgerschaft) in Bremen an, und bei beiden Urnengängen sieht es für die Sozialdemokraten schlecht aus. Im Stammland Bremen droht der Machtverlust an die CDU, für die Europawahl ist mit herben Stimmverlusten zu rechnen.
Die Reformvorschläge der SPD, inklusive des Vorschlags von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zur Schaffung einer Grundrente, sollen eine Antwort auf den schleichenden Popularitätsverfall der Partei sein. Was auch Nahles deutlich machte, denn sie betonte gleichzeitig, ihre Partei wolle bis zur nächsten Wahl durchaus noch einige Reformen umsetzen, darunter etwa die geplanten Änderungen bei den Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher.
Für die SPD und ihre Themen wird es im Koalitionsausschuss doppelt schwer, weil CDU und CSU untereinander gerade mit sich im ReiRolle nen sind. Dazu beigetragen hat das „Werkstattgespräch“, das am Montag im Konrad-Adenauer-Haus zu Ende ging. Die dort vorgenommene Aufarbeitung der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel im Herbst 2015 geriet nicht etwa zum Streit zwischen den Schwesterparteien, sie schweißte sie eher zusammen. Kramp-Karrenbauer und der CSU-Vertreter, Innenminister Joachim Herrmann, zeigten sich jedenfalls versöhnlich, die heftigen Vorwürfe der letzten Jahre sollen der Geschichte angehören.
Der demonstrative Schulterschluss in der Union sowie der plötzliche Reformeifer der SPD haben mit dem Zustand der Koalition
Koalitionsausschuss beginnt wieder mit Streit
Sogar Minderheitsregierung ist wieder im Spiel
zu tun. Beide Seiten wappnen sich für ein Ende der politischen Zweckehe, von der es bei Rot und Schwarz heißt, sie sei nicht einmal mehr annähernd so gut wie die Große Koalition vor der Bundestagswahl 2017. CDU und CSU wollen geeint sein, wenn es in eine Minderheitsregierung mit Grünen oder FDP ginge. Die SPD versucht sich in Profilschärfung für den Fall von vorgezogenen Neuwahlen.
Dem Koalitionsausschuss kommt deshalb nicht nur eine besondere Bedeutung zu, weil einige Neulinge am Tisch sitzen. Es wird vor allem darum gehen, eine tragfähige Lösung für die weitere Arbeit zu finden. Eine, die den Wählern vermittelbar ist. Andersfalls könnte der erste rot-schwarze Koalitionsausschuss für AKK und Söder auch schon ihr letzter gewesen sein.