Wenn Kinder Pornos schauen
Mediennutzung Schon Grundschüler haben Smartphones und kommen mit ihnen leicht an Sex-Videos im Internet. Eine große Gefahr, warnt die Polizei. Worauf Eltern achten müssen
Augsburg Lucy Cat ist Pornodarstellerin, auf Instagram hat die 24-Jährige aus Rostock mehr als 750000 Follower. Sie ist auch auf Youtube, auf Twitter, auf Facebook. Sogar einen Wikipedia-Eintrag hat Lucia Berger. In den sozialen Medien lässt sie Hunderttausende an ihrem Alltag teilhaben. „Die Leute finden es einfach cool, dass ich auch meinen Sex eben mitteile“, sagt sie in der WDR-Doku „Wenn Kinder Pornos schauen“, die am späten Mittwochabend gesendet wurde. Sie bezeichnet sich als Influencerin, als jemand, der andere durch seine Präsenz im Netz beeinflusst. Um einen ihrer Hardcore-Pornos sehen zu können, bedarf es nur eines Klicks.
„Was macht das mit Jugendlichen, wenn sie schon früh Kontakt mit Pornostars und Hardcore-Filmen im Netz haben?“, fragt die Sprecherin in der WDR-Doku, die 190000 Zuschauer sahen.
Klaus Kratzer weiß das nur zu genau. Und er weiß, dass es längst nicht mehr bloß um Jugendliche geht. Er hält am Mittwochabend in einer Augsburger Grundschule einen Vortrag vor mehr als hundert Eltern, mit dem er aufrütteln möchte. „Leute, passt’s auf eure Kinder auf!“Kratzer, Kriminalhauptkommissar bei der Kriminalpolizeilichen Beratungsstelle der Kripo Augsburg, hält diesen und ähnliche Vorträge oft, die Nachfrage ist groß. Bereits Eltern von Erstklässlern wollen wissen: Wie schützen wir unser Kind vor Mobbing, vor Gewalt, vor all dem Dreck im Internet?
Ihre Sorge ist berechtigt. Einer Studie der Universitäten Münster und Hohenheim aus dem Jahr 2017 zufolge sagte fast die Hälfte der 1048 befragten 14- bis 20-Jährigen, „Hardcore-Pornografie“gesehen zu haben. 14- und 15-Jährige gaben an, im Durchschnitt 12,7 Jahre alt gewesen zu sein, als sie zum ersten Mal damit in Kontakt kamen. Der „Erstkontakt“finde immer früher statt, stellten die Forscher fest. Andere, auch aktuellere Studien bestätigen diese Befunde.
Kratzer sagt, dass schon Grundschüler auf ihren Smartphones Pornos schauten. Dass sie bis tief in die Nacht hinein hunderte von WhatsApp-Nachrichten verschickten. Dass sie in Gefahr seien. Zwei seiner Tipps: Kinder sollten so spät wie möglich ein eigenes Smartphone bekommen, und zwar eines ohne Flatrate; im Kinderzimmer habe es nachts nichts zu suchen.
Auch die Augsburger Sexualtherapeutin Birgit Andree weiß: „Durch die mediale Präsenz entkommen Kinder in der heutigen Zeit Pornografie nicht mehr.“Und: Durchschnittlich im Alter zwischen 15 und 17 Jahren hätten Jugendliche zum ersten Mal Geschlechtsverkehr. Sie und Kratzer plädieren dafür, dass Eltern für ihre Kinder da sein müssen. Präsenz zeigen. Mit ihnen reden. Sie nicht alleinlassen mit ihren Problemen. Und mit den Medien. Aufgabe der Eltern sei es, sagt Birgit Andree, ihren Kindern klarzumachen: Das, was sie im Internet oder im Fernsehen – etwa in den Castingshows „Germany’s Next Topmodel“oder „Deutschland sucht den Superstar“– vorgeführt bekommen, entspreche nicht der Realität. Schon gar nicht das, was in Pornos gezeigt wird. Die Jugendlichen „fühlen sich sonst unter Druck gesetzt. Jungs meinen, sie müssen performen, das ganze Repertoire beherrschen, das in Pornos gezeigt wird – inklusive teilweise bizarrer Praktiken. Mädels meinen, sie müssen zu allem bereit sein.“
Doch wie können Eltern mit ihren Kindern darüber sprechen, ohne dass es peinlich wird? „Wie mit der kompletten Aufklärung wird es schwierig, wenn darüber noch nie gesprochen wurde“, sagt Andree. Den einen perfekten Satz, mit dem Eltern ein Gespräch über Pornografie beginnen können, gebe es nicht. Wichtig sei, den Kindern Gesprächsangebote zu unterbreiten. „Spätestens nach der Grundschule, so mit zehn oder elf Jahren, sobald Kinder eigene Handys haben und ins Internet kommen, gehen solche Videos herum.“Andree hat zwei Töchter, sie weiß, wovon sie spricht. „Wenn Eltern merken, da ist Getuschel und Gekicher, können sie ihren Kindern sagen: ,Du, ich merke, da ist etwas, das dich beschäftigt. Komm auf mich zu, wenn du darüber sprechen möchtest.‘“Kinder sollten merken, „dass sie Fragen stellen können und die Eltern nicht abblocken oder sich beschämt zurückziehen“. Als Gesprächseinstieg schlägt sie vor: „Für mich ist das auch ein komisches Thema, ich bin da auch nicht so locker. Lass uns gemeinsam einen Weg und Worte finden, wie wir damit umgehen können.“
Wenn Kinder Pornos schauen, macht das etwas mit ihnen: Es überfordert sie. Und es kann ihnen viele falsche Eindrücke vermitteln. Unter anderem den, dass es in Ordnung sei, Nacktfotos oder -videos von sich zu machen und diese an die Freundin, den Freund zu schicken. Wenn die Aufnahmen dann in einer WhatsApp-Gruppe geteilt werden – etwa nach einem Streit mit der Freundin, dem Freund –, kann das Folgen fürs ganze Leben haben.
Auch davon erzählt Kommissar Kratzer in der Augsburger Grundschule. Er kennt Schülerinnen, die sich nicht mehr in die Schule trauen, die die Schule wechseln mussten. Das Netz vergesse nichts, mahnt er.