„Manche erben und manche nicht“
Schauspiel Die Theatertruppe „She She Pop“arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Kollektiv. Nun ist sie zum Berliner Theatertreffen geladen – und zum Augsburger Brechtfestival
Das Performance-Kollektiv „She She Pop“hat 2018 sein 25-jähriges Bestehen gefeiert. Frau Papatheodorou, verraten Sie uns als Gründungsmitglied, was Ihr Geheimnis ist, so lange gemeinsam durchzuhalten, das Projekt über einen so langen Zeitraum am Laufen zu halten?
Ilia Papatheodorou: (lacht) Das muss man wollen. Es gibt tatsächlich sehr viele Widerstände, von innen und auch von außen gegen kollektives, unhierarchisches Arbeiten. Es gibt pragmatische Sachen, die dagegen sprechen. Es ist oft leichter, wenn Entscheidungen bei einer Person zusammenlaufen. Was uns zusammengehalten hat, ist die Bereitschaft, Strukturen zu verändern und Anpassungen vorzunehmen, um zusammenbleiben zu können.
Sind noch alle Gründungsmitglieder dabei?
Papatheodorou: Es gab Verluste. Anfangs waren wir acht Frauen vom Institut für angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Drei Mitglieder haben wir verloren und zwei neue hinzugewonnen über die Jahre. Das ist auch ein Zeichen, dass wir Federn gelassen haben, dass wir Transformationen durchgemacht haben, die schmerzhaft waren, die mit Verlusten zu tun haben.
Die Grundidee, nämlich dass Sie im Kollektiv arbeiten, ist immer erhalten geblieben?
Papatheodorou: Das ist eine Maßgabe, die wir uns selbst setzen. Wir sagen jetzt nicht, dass wir wissen, wie das geht. Es bedeutet, dass man hinter die Fassade schaut und nachsieht, was dort los ist. Es geht viel darum, versteckte Hierarchien anzuschauen und Strategien zu entwickeln, wie man bekämpft, dass sich das einprägt und festsetzt. Wir haben zum Beispiel gelernt, Einzelnen für bestimmte Aufgaben klare Mandate zu erteilen, das ist aber ein strategischer, kollektiver Beschluss. Die Gefahr bei Entscheidungen im Kollektiv ist immer, dass Verantwortung anonym wird.
Wenn Sie im Kollektiv entscheiden, dann nach Mehrheitsbeschluss? Papatheodorou: Das machen wir eigentlich nie, wenn es sich vermeiden lässt. In künstlerischen Dingen gibt es keine Mehrheitsentscheidungen.
Dort kommen Sie zu einem Konsens? Papatheodorou: Das dauert lang und länger. Oft muss man den Konsens unter Mühen erreichen und dann ist er brüchig. Das ist hart erkämpft. Und ich will jetzt nicht das schlimme Wort „Kompromiss“sagen. Von außen wird einem immer vorgeworfen, dass es Kompromisskunst ist und die Vision des Einzelnen radikaler ist.
Wie lautet Ihre Antwort auf diese Vorwürfe?
Papatheodorou: Ich glaube das nicht. Der oder die Einzelne macht mit sich selbst auch Kompromisse. Unser Konsens ist hart errungen und muss ständig gemeinsam verkörpert werden. Da ist auch Zwang im Spiel. Aber das ist eine Entscheidung, die die Künstlerinnen, die zusammenarbeiten, zusammen treffen.
Fällt Ihnen dieses Zusammenarbeiten nach mehr als 25 Jahren leichter oder schwerer als zu Beginn? Papatheodorou: Wir sind belastbarer geworden und ein bisschen entspannter. Als junge Künstlerinnen mussten wir uns stärker auch gegenüber anderen in der Gruppe profilieren. Im Alter ist es besser geworden – und natürlich auch mit der Bestätigung von außen. Das ist nicht zu unterschätzen. Ein schöner Satz, den mein Kollege Sebastian einmal darüber gesagt hat, warum man als Kollektiv weitergemacht hat: Man hat immer wieder erfahren, dass man selbst unrecht gehabt hat und die Kolleginnen recht gehabt haben. Diese Erfahrung zu machen, ist sehr wertvoll. Eine solche Bescheidenheit entspricht aber nicht unserem gängigen Künstlerbild. Für den Künstler, das sage ich jetzt absichtlich in der männlichen Form, spielt Bescheidenheit keine Rolle. Der Künstler muss sich aufschwingen. Das Kollektiv lehrt Demut.
Haben Sie auch privat viel miteinander zu tun?
Papatheodorou: Erst waren es Freundschaften und dann sind Arbeitsbeziehungen daraus geworden. Sind es noch Freundschaften? Papatheodorou: Ja. Aber sie erleben natürlich eine andere Belastungsprobe. Auf der einen Seite kann man im professionellen Zusammenhang füreinander vielleicht nicht das sein, was man privat ist. Auf der anderen Seite ist es eine zusätzliche Ebene, auf der Intimität, Produktivität und gemeinsamer Austausch entstehen. Und das ist förderlich für jede Art von Beziehung.
Wie nehmen Sie als Kollektiv den Führungsstil in deutschen Stadttheatern wahr?
Papatheodorou: Unsere Erfahrung mit dem Stadttheater ist nicht so groß einerseits; andererseits ist sie in Stuttgart 2014/2015 sehr intensiv geworden. In einer anderthalbjährigen Recherche-Phase haben wir dort über Brechts Lehrstück-Theorie zusammen mit den Angestellten des Theaters gearbeitet. Wir haben in dem Mehrspartenhaus gesehen, wie stark hierarchisiert und abgegrenzt die Arbeitsbereiche im Theater voneinander sind. Die Menschen, die gemeinsam an einem Kunstwerk arbeiten, kennen sich kaum, deren Wege kreuzen sich fast nie. In so einem Zusammenhang entsteht viel Fehlwahrnehmung. Die Expertise der Hut- und Schuhmacher zum Beispiel kann gar nicht richtig wertgeschätzt werden. Diese Erfahrung hat uns stark geprägt.
Es ist ja nicht nur ein Segen, frei als Künstler zu arbeiten, sondern auch ein Fluch. Wie finanzieren Sie sich? Papatheodorou: Wir verdienen alle nicht viel. Wir verdienen auch nicht so viel wie ein Einzelkünstler. Wir müssen uns zum Beispiel eine Regie-Gage teilen, die sonst einer allein bekommt. Deswegen werden wir alle nicht reich. Wir sind finanziell nicht da, wo ein Regisseur ist. Aber: Wir haben in Deutschland eine sehr gut finanzierte Theaterszene im Allgemeinen. Und die freie Szene kommt auch noch dahin, dass sie nicht nur gefördert, sondern auch finanziert wird. Davon bin ich überzeugt.
Wie erarbeitet sich „She She Pop“seine Stoffe?
Papatheodorou: Meistens machen wir uns ein Konzept, in dem ein Thema und ein formaler Zugang im Zentrum stehen. In Stuttgart haben wir viel mit spontanen Chören gearbeitet. Für „Oratorium“haben wir beschlossen, die Arbeit mit Zuschauer-Chören fortzuführen. Das Thema, das häufig von unserer eigenen Lebenszeit geprägt ist, war Eigentum. Jetzt kommen wir in ein Alter, in dem wir die Herkunftsverhältnisse sehr stark zu spüren bekommen. Manche erben und manche nicht. Was macht das mit uns als Gruppe und wie gehen wir damit um? Die Grundidee ist dann: Im Kollektiv über das Eigentum zu sprechen und dabei das spontane Chor-Sprechen weiterzuentwickeln.
Die Kritiken für „Oratorium“waren eher verhalten bis skeptisch. Papatheodorou: Das Stück hat fast keine gute Kritik bekommen.
„She She Pop“wird aber mit dem Berliner Theaterpreis ausgezeichnet und ist mit „Oratorium“für das Berliner Theatertreffen eingeladen. Papatheodorou: (lacht) Ich verstehe das so: In dieses Stück soll man sich als Zuschauer*in investieren. Es ist partizipatorisch. Als Kritiker kann man das nicht so leicht tun. Man kann nicht in dem Stück sein und darüber schreiben. Man ist immer mit dem einen Auge draußen. Man investiert sich nicht so. Und: Es ist ein sprödes Stück. Es ist superspröde. Ich kann auch verstehen, dass es schlechte Kritiken bekommt.
Wie geht es weiter? Papatheodorou: Wir haben zwei neue Projekte. Das eine heißt „Kanon“– es geht um einen Kanon des postdramatischen Theaters. Das nächste große Projekt heißt „Hexploitation“und beschäftigt sich mit der Stellung der alten Frau in unserer Gesellschaft und mit der Angst vor der Hexe. Der weisen Alten wird die Repräsentation auf der Bühne verweigert. Das ist nämlich auch eine Erfahrung, die wir im Stadttheater gemacht haben: Frauen in unserem Alter verschwinden langsam von der Bühne. Interview: Richard Mayr
„Ein Zeichen, dass wir Federn gelassen haben.“ „Ein sprödes Stück. Es ist superspröde.“