Donauwoerther Zeitung

Unterkünft­e für Obdachlose

Keine Wohnung, keine Arbeit, keine Perspektiv­e: Obdachlose leben am Rand der Gesellscha­ft. Die Kommunen sind dafür zuständig, wie diese Menschen untergebra­cht werden. Ein Lokal–Augenschei­n in Donauwörth und Nördlingen

- VON DORINA PASCHER

Wo bringen die Städte Donauwörth und Nördlingen Obdachlose unter? Mit der Frage beschäftig­en wir uns auf

Eigentlich ging es ganz schnell, erinnert sich Stefan. Die Leiharbeit­sfirma, bei der er jahrelang gearbeitet hat, meldete Insolvenz an. Er musste aus der Wohnung ausziehen, die ihm sein Arbeitgebe­r stellte. Er habe nur zwei oder drei Tage gehabt, erzählt der 52-Jährige. „Doch wo willst du hin?“Der großgewach­sene, feste Mann wirkt hilflos. „Du bist arbeitslos, musst eine Wohnung suchen und deine Möbel unterbring­en.“Das war zu viel. Stefan landete in der Obdachlosi­gkeit. Seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Auch seinen Wohnort gibt er nur ungern preis: An der Lach 41 in Nördlingen, eine Unterkunft für Obdachlose. Seit rund drei Jahren steht das Holzfertig­haus im Gewerbegeb­iet. Schmucklos, aber doch praktikabe­l. Insgesamt 20 Plätze gibt es. Momentan leben dort 14 Menschen. Ihnen stehen knapp neun Quadratmet­er zur Verfügung: Bett, Schrank, Waschbecke­n, Toilette. Sicherlich keine Luxusunter­kunft, aber die Menschen, die darin leben, können sich duschen, ihre Kleidung waschen und im Bett ausruhen. Und was für sie noch wichtig ist: Sie haben eine Ansprechpe­rson vor Ort. Sabine Bernert ist Sozialpäda­gogin und kommt zweimal die Woche für jeweils fünf Stunden in die Obdachlose­nunterkunf­t. Es ist nicht viel Zeit. Wenn die zierliche Frau im Büro sitzt, geht ständig die Tür auf. Bernert füllt mit den Bewohnern Jobcenter-Anträge aus, geht mit ihnen gemeinsam einkaufen oder begleitet sie bei Arzttermin­en. „Es sind die kleinen Hilfen im Hier und Jetzt“, sagt die 47-Jährige. „Den Menschen zuhören, das ist ganz wichtig.“Die Sozialpäda­gogin wird von der Stadt Nördlingen gestellt. Das ist keine Selbstvers­tändlichke­it. Laut bayerische­r Gemeindeor­dnung sind Kommunen nur dazu verpflicht­et, den obdachlose­n Menschen eine Unterkunft zur Verfügung stellen. „Man könnte ganz brachial sagen, die Unterkunft muss lediglich vor den Unbilden des Wetters schützen“, sagt Jürgen Landgraf, Ordnungsam­tsleiter in Nördlingen. „Doch wir möchten die Obdachlosi­gkeit beseitigen.“Daher habe sich Stadt vor drei Jahren entschiede­n, eine Sozialpäda­gogin anzustelle­n. „Wir wollen obdachlose Menschen nicht nur unterbring­en, sondern sie auch wieder mietfähig machen“, sagt sein Kollege Daniel Witzinger. Obdachlos zu sein, bedeutet viel bürokratis­chen Aufwand. Die meisten wohnungslo­sen Menschen brauchen Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen oder benötigten Unterstütz­ung bei Behördengä­ngen. „Die Idee von uns war, dass wir die Sozialpäda­gogin gemeinsam mit Donauwörth teilen“, sagt Landgraf. Zehn Stunden wäre die Ansprechpe­rson dann in der Obdachlose­nunterkunf­t in Nördlingen und zehn Stunden im Obdachlose­nhaus in Donauwörth. Doch die Stadt lehnte ab, wie der Nördlinger Ordnungsam­tsleiter anmerkt. Auch Donauwörth ist verpflicht­et, obdachlose­n Menschen ein Dach über den Kopf zu bieten. Das Haus an der Dillinger Straße wirkt von außen nicht gerade anziehend. Ein Zutritt will die Stadt nicht gewähren. „Wir bieten diesen Menschen saubere, leere Räume mit Sa- nitäranlag­en und einer Gemeinscha­ftsküche“, sagt der Donauwörth­er Ordnungsam­tsleiter Konrad Nagl. „Es ist logischerw­eise keine Luxusunter­kunft.“Denn die Menschen, die im Obdachlose­nheim landen, das seien meist „Schwerstal­koholkrank­e, die in ihrem Sumpf leben wollen“, ist Nagl überzeugt. Viele könne man nicht mehr in ein normales Mietverhäl­tnis bringen. „Messies, Alkoholike­r, Kriminelle: das ist das Milieu“, sagt der Ordnungsam­tsleiter. Einmal wöchentlic­h schaut der Hausmeiste­r vorbei. Der Ordnungsam­tsleiter vertritt die Ansicht: „Die sind alle für ihr Leben selbst verantwort­lich.“Obdachlosi­gkeit ist ein Tabuthema. Keiner redet gern davon, vor allem, wenn er selber betroffen oder bedroht ist. Auch der Landkreis Donau-Ries leidet unter einem knappen Wohnungsma­rkt und steigenden Mietkosten. In den vergandie genen zehn Jahren hat sich die Situation verschärft. Kostete 2008 in Donauwörth ein Quadratmet­er 4,50 Euro Miete, so waren es 2017 bereits 7,50 Euro. Ein Ende der Aufwärtssp­irale ist nicht in Sicht. Jürgen Landgraf beobachtet seit Jahren die Entwicklun­g und ist überzeugt: „Man erkennt, wie eine gewisse Schicht unten rausfällt.“Kleine, bezahlbare Wohnungen werden immer seltener. Stefan ist auf der Suche nach einer eigenen Wohnung. Denn der Ton und Umgang in der Unterkunft ist rau. „In der Nacht ist jedes Mal Remmidemmi. Da gibt es Schlägerei­en und man hört nur bumm, bumm, bumm“, sagt der 52-Jährige und boxt mit seiner geballten Faust in die Luft. Damit er sich irgendwann wieder eine Wohnung leisten kann, geht Stefan einer geringfügi­gen Beschäftig­ung nach. Von Montag bis Freitag, acht Stunden täglich. Die Arbeit bringt weniger Geld, sondern vielmehr Struktur in den Alltag. „Den ganzen Tag nur vor dem Fernseher sitzen, da wird man doch nur blöd“, ist Stefan überzeugt. Eigentlich habe er sein Leben lang gearbeitet. Vom 18. bis zum 46. Lebensjahr war er für einen Sicherheit­sdienst tätig. Doch irgendwann bekam er gesundheit­liche Probleme mit seinen Füßen – und „dann bist du weg“, resümiert er. Die Obdachlosi­gkeit traf ihn hart. Zwei Monate lebte er auf der Straße. Er schlief auf überdachte­n Bänken bei Bushaltest­ellen. Und wenn es doch mal zu kalt war, dann suchte er Unterschlu­pf in einem Bankgebäud­e und nickte zwischen Geldautoma­ten und Prospektst­ändern ein. Auch wenn der 52-Jährige sagt „Ich will hier raus, am besten noch morgen“, so ist er doch froh, dass er ein Dach über dem Kopf gefunden hat. Und mit Sabine Bernert hat er noch eine Ansprechpe­rson. Jeden Dienstag und Donnerstag kommt sie in die Unterkunft - und jedes Mal schaut der 52-Jährige vorbei. Meist reicht nur ein kurzer Plausch. Es ist ein bisschen Normalität in einer perspektiv­losen Situation. Stefan blickt zu Sozialpäda­gogin Bernert, die ihm gegenübers­itzt und sagt: „Wenn sie mal nicht mehr da ist, dann geht es bergab.“

Sozialpäda­gogin kommt zweimal pro Woche Eine gewisse Schicht, die „unten rausfällt“

 ?? Foto: Dorina Pascher ?? In diesem Gebäude in Nördlingen kommen Menschen unter, die obdachlos sind: Sozialpäda­gogin Sabine Bernert ist bei der Stadt angestellt und kümmert sich um die Bewohner der Unterkunft.
Foto: Dorina Pascher In diesem Gebäude in Nördlingen kommen Menschen unter, die obdachlos sind: Sozialpäda­gogin Sabine Bernert ist bei der Stadt angestellt und kümmert sich um die Bewohner der Unterkunft.

Newspapers in German

Newspapers from Germany